nd.DerTag

Parlament statt Freizeit

Rot-Rot-Grün möchte noch vor der Sommerpaus­e ein Gesetz zur Jugendförd­erung vorschlage­n

- Von Philip Blees

Am Wochenende diskutiert­en junge Menschen mit Politikern über Formen ihrer Partizipat­ion und stellten ihre Ideen vor. Man konnte sich einig werden: Mehr Beteiligun­g muss her.

Es ist Samstagmor­gen und eine eher ungewöhnli­cher Zeit, das Rathaus Charlotten­burg am Richard-WagnerPlat­z aufzusuche­n. Trotzdem sind mehr als ein Dutzend Kinder und Jugendlich­e zur Abschlussv­eranstaltu­ng eines Modellproj­ektes zum Jugendförd­ergesetz gekommen. Sie wollen ihre Ergebnisse der letzten Wochen den Erwachsene­n präsentier­en, denn für viele ist es nicht der erste Samstag, an dem sie ihre Freizeit für dieses Thema opfern.

An den vorherigen drei Wochenende­n hatten sich bereits 25 Jugendlich­e im Alter von 14 bis 24 Jahren getroffen, um unter der Leitung der Drehscheib­e Kinder- und Jugendpoli­tik der Stiftung Sozialpäda­gogisches Institut (SPI) Ideen zu sammeln und zu diskutiere­n, wie Jugendbete­iligung in ein Gesetz gegossen werden könnte (»nd« berichtete). Erstmals wurden so junge Menschen als Experten in die Erarbeitun­g eines Gesetzentw­urfs eingebunde­n. »Das waren vier ganz tolle Wochen«, sagt Pia Schäfer von der Stiftung SPI. Die Jugendlich­en hätten bei den Se- minartagen mit je fünf Stunden Arbeit und noch darüber hinaus großartige Ergebnisse erzielt. Damit diese Ergebnisse bei anderen Jugendlich­en ankommen, wurde im Rahmen der Workshops ein Video zur Erklärung des Modellproj­ekts gedreht. Dieses Video wurde schon Ende vergangene­r Woche an verschiede­nen Stellen im Internet hochgelade­n. Junge Menschen auf diesem Wege zu erreichen, ist für die Aktiven, die sich oft auch anderswo, beispielsw­eise in einem Jugendparl­ament engagieren, ein zentrales Anliegen. Anders könne in der heutigen Zeit kein Interesse mehr bei den Jugendlich­en geweckt werden, heißt es. Damit junge Menschen dennoch für die Mitarbeit in Netzwerken gewonnen werden können, sollte die Öffentlich­keitsarbei­t »generation­engerecht« gestaltet werden, steht in den Auswertung­spapieren des Modellproj­ekts. Grundsätzl­ich sei die Beteiligun­g gewollt.

Es scheitere jedoch schon oft daran, sich über die Möglichkei­ten der Mitbestimm­ung zu informiere­n. So sei es »Realitätsv­erweigerun­g«, davon auszugehen, dass Kinder und Jugendlich­e Kenntnis über diese Möglichkei­ten haben. Dies erkläre auch, warum sich nur wenige von ihnen aktiv einbringen. Folglich sollten sich Lehrkräfte und Betreuer auf ganz individuel­ler Ebene für Partizipat­ion einsetzen und das vorhandene Interesse an Mitbestimm­ung fördern. Ei- ne Idee sind Informatio­nsveransta­ltungen. Ein weiteres Problem sehen die Jugendlich­en darin, dass bisherige Angebote nur eine bestimmte Gruppe in ihrem Alter anspreche – den Nachwuchs aus Akademiker­familien. Diese haben mehr Zeit für politische­s Engagement und können sich auf Rückhalt in ihren Familien verlassen. Kinder, die viel für die Schule tun müssen oder körperlich beeinträch­tigt sind, fallen dabei raus. Das dürfe eigentlich nicht passieren. »Partizipat­ion muss für alle geöffnet werden«, sagt der 16-jährige Simon. Hierzu gehöre auch, dass alternativ­e selbstorga­nisierte Räume möglich sind und erhalten bleiben – beispielsw­eise die räumungsbe­drohten Jugendzent­ren Potse und Drugstore in Schöneberg.

Für die Jugendlich­en geht es auch erst einmal darum, dass ihre Meinung akzeptiert wird. Die Jugend solle nicht nur dann beteiligt werden, wenn es passt, findet Miguel Góngora, Vorsitzend­er des Jugendparl­a- ments im Bezirk Charlotten­burg-Wilmersdor­f. »Die wirklichen Experten sind die Jugendlich­en selber.« Es sei allerdings nötig, diese kräftig zu unterstütz­en. Dafür benötige man ausreichen­de Ressourcen – beispielsw­eise in Form von einer weiteren Vollzeitst­elle.

Die Politik zeigt sich schon einmal begeistert von den Ideen: Jugendstaa­tssekretär in Sigrid Klebba( SPD) und die junge Abgeordnet­e June Tomiak (Grüne) erhielten bei der Abschlussv­eranstaltu­ng eine Mappe mit den Ergebnisse­n der Workshops. Darin enthalten seien »viele gute Grundlagen«, bedankte sich Klebba. »Man kann an einigen Stellen noch besser werden «, räumte sie ein .» Die Forderunge­n sind schon im Koalitions­v ertrag «, sagteTomia­k. Wichtig sei nun, darüber zu sprechen und mit den Koalitions­partner n SPD und der Links partei zu verhandeln. Laut Klebbasoll­esno ch vor der parlamenta­rischen Sommer pause zu einem Gesetzesvo­rschlag kommen.

Wenn es nach Tomiak gehen würde, sollen auch dabei die Jugendlich­en eingebunde­n werden, was auch ganz nach ihrem Wunsch ist. Der Jugendparl­amentsvors­itzende Miguel Góngora würde gerne persönlich in den verantwort­lichen Ausschüsse­n des Abgeordnet­enhauses Stellung beziehen–ganz im Z eichender Jugend beteiligun­g. Ob dies möglich ist, müssen die Erwachsene­n klären.

»Die wirklichen Experten sind die Jugendlich­en selber.«

Miguel Góngora, Jugendparl­amentschef

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