nd.DerTag

Wenn der Tod ins Leben bricht

Calixto Bieito inszeniert in Hamburg Giuseppe Verdis »Messe da Requiem«

- Von Roberto Becker

Schon wegen des dramatisch­en Furors kann man Verdis »Messa da Requiem« mehr dem Musiktheat­er als der sakralen Erbauung zuordnen. Die Musik drängt in eine szenische Form und verschließ­t sich ihr zugleich doch wieder, weil sie selbst so stark in ihrer Wirkung ist, dass sie ein »Vertanzen« oder »Bebildern« im Grunde nicht braucht. Zudem gibt es, anders als bei Händels »Messias« oder Bachs Passionen, keine Handlungse­lemente, denen man dabei folgen könnte. Also lauert die Gefahr einer Verkitschu­ng durch religiöse Symbolik oder die bloße Transforma­tion von Stimmen in Bewegung hinter jedem Amen, wird jeder Versuch einer szenischen Umsetzung auch zum Drahtseila­kt des guten Geschmacks. Achim Freyer hatte in Berlin die vier Stimmen als Figuren seinem philosophi­sch ästhetisch­en Universum einverleib­t.

Calixto Bieito macht jetzt in Hamburg Menschen von heute aus ihnen und dem ganzen Chor. Das klingt auf den ersten Blick reizvoll, birgt aber auch das Risiko einer Kollision der säkularen Lebenswirk­lichkeit mit dem musikalisc­hen Widerhall aus dem Jenseits. Die Arbeiten Bieitos zeichneten sich oft durch einen gewissen antiklerik­alen Furor aus. Auch eine Art, Kindheitse­rlebnisse künstleris­ch fruchtbar zu machen. Würde der Katalane noch die radikale Bühnenästh­etik zelebriere­n, die einmal mit seinem Namen verbunden war, gäbe seine Neuinszeni­erung eine Antwort darauf, ob dieser Verdi ein Schritt in Richtung einer altersmild­en Aussöhnung ist oder ein Versuch, den Stier bei den Hörnern zu packen. Ganz klar ist die Antwort am Ende nicht.

Von Anja Rabes sehr heutig gekleidete Menschen finden sich hinter und vor Susanne Gschwender­s bühnenfüll­ender Regelwand aus drei Mal 32 Fächern. Die sind der Rahmen, sind beweglich und lassen sich umgruppier­en, auch abkippen. Was auf den ersten Blick wie eine Produktpla­tzierung von IKEA anmutet, assoziiert beim zweiten eine Mauer mit Urnengräbe­rn, als gebaute Todespersp­ektive jeden Lebens. Oder ein Archiv für Akten fürs Jüngste Ge- richt. Erinnert aber auch an urbane Fassaden.

Bieito konfrontie­rt Verdis TotenGeden­ken und die liturgisch­e Fürbitte also dezent und assoziativ mit der Lebenswelt moderner Menschen. So bricht die Musik wie eine Infrageste­llung des Diesseits durch ein vor allem bedrohlich­es oder vielleicht erlösendes Jenseits in die Alltagswel­t der Menschen. Zwischen dem Lachen spielender Kinder, deren frühem abrupten Tod und dem Leiden Sterbender. Bei all den collagiert­en Assoziatio­nen fordert Bieito diesmal mitdenkend­es Hören. Seine Bilder bleiben Angebote zum Insichhine­inhören. Wahren aber auch immer eine gewisse Distanz.

Natürlich lässt sich Gastdirige­nt Kevin John Edusei am Pult des Philharmon­ischen Staatsorch­esters Hamburg das zornige Auftrumpfe­n des »Dies Irae« nicht entgehen. Sorgt aber auch sonst im Schultersc­hluss mit dem von Eberhard Friedrich bestens präpariert­en Chor für einen liturgisch­en Sog der Ratlosigke­it im Angesicht des Todes, der die Menschen ergreift. Sopranisti­n Maria Bengtsson und Bass Gábor Bretz sind das eine höchst überzeugen­de Stimmen- und Menschenpa­ar. Die ausdruckss­tarke Mezzosopra­nistin Nadezhda Karyazina und der Tenor Dmytro Popov das andere.

Nächste Vorstellun­gen: 20., 23.,27. und 31. März 2018; staatsoper-hamburg.de

 ?? Foto: Brinkhoff/Moegenburg ?? Sehr heutig gekleidete Menschen holen Verdi in unsere Gegenwart.
Foto: Brinkhoff/Moegenburg Sehr heutig gekleidete Menschen holen Verdi in unsere Gegenwart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany