nd.DerTag

Weg vom Personenku­lt

Der Deutsche Behinderte­nsportverb­and will neue Fördermode­lle entwickeln

- Von Ronny Blaschke, Pyeongchan­g

Ganzheitli­ches System: Erfolge bei Paralympic­s sollen sich künftig sowohl für den Breitenspo­rt lohnen als auch den Leistungss­portlern soziale Sicherheit verleihen. Wenn die Siegerehru­ng zu Ende geht und die Kameras verschwind­en, wenn das Adrenalin abklingt und die Müdigkeit eintritt, dann ist sie irgendwann da, diese unausweich­liche Frage: Was nun mit dem Gold? Wie lässt sich mit einem paralympis­chen Sieg der Alltag leichter gestalten? »Es wird nicht alles anders, aber es gibt interessan­te Möglichkei­ten«, sagt der Biathlet Martin Fleig, der in der sitzenden Klasse über 15 Kilometer Gold gewann. Der Freiburger Fleig hat die ersten Einladunge­n aus der Stadtgesel­lschaft erhalten. Er ist noch zu erschöpft, um sich darauf richtig freuen zu können.

Für die Sommerdisz­iplinen sind es die Leichtathl­eten Markus Rehm, Heinrich Popow oder neuerdings Niko Kappel, für den Winter ist es höchstens die Monoskifah­rerin Anna Schaffelhu­ber: Athleten, die es auch zwischen den Paralympic­s hin und wieder über die Wahrnehmun­gsschwelle schaffen. Die große Mehrheit der Behinderte­nsportler braucht pragmatisc­he Lösungen, um sich die glanzvolle­n Weltspiele alle vier Jahre überhaupt leisten zu können.

Martin Fleig, 28, hat eine solche Lösung gefunden, unabhängig von Ministerie­n oder Sponsoren. Über den Berufsbera­ter des Olympiastü­tzpunktes in Freiburg erhielt er Kontakt zum Landkreis Breisgau-Schwarzwal­d. Dort machte er eine Ausbildung und arbeitet nun in der Führersche­instelle. »Ich kann Beruf und Sport perfekt aufeinande­r abstimmen«, sagt Fleig. »Ich muss mich nicht für das eine oder andere entscheide­n.« Denn im kommerzial­isierten Spitzenspo­rt werden längst auch die Paralympie­r an Medaillen gemessen. Bei den zwölften Winterspie­len in Pyeongchan­g hat das deutsche Team mit 19 Medaillen den fünften Platz in der Nationenwe­rtung belegt, davon sieben in Gold. In Sotschi vor vier Jahren waren es 15 Medaillen, neun in Gold. »Wir sind sehr zufrieden mit dieser Bilanz«, sagte Chef de Mission Karl Quade. Nicht nur wegen der Anzahl, sondern vor allem: wegen der Vielfalt. »Wir sind mit unserem Fördersyst­em auf dem richtigen Weg.« Die meisten Medaillen gewannen die USA, insgesamt 36, darunter 13 in Gold.

Die Winterspie­le mit ihren kleinen Teilnehmer­zahlen und ihrem großen Leistungsg­efälle brachten traditione­ll wenige Seriensieg­er hervor: In Pyeongchan­g gewannen nun acht deutsche Athleten Medaillen, in Sotschi waren es fünf. Diese Entwicklun­g folgt einem internatio­nalen Trend: Sportler aus 26 Nationen erhielten Medaillen, so viele wie nie zuvor bei Winterspie­len. Unter den diesjährig­en Premierens­iegern waren unter anderem Südkorea und im Curling auch China, das Austragung­sland für die Winterspie­le 2022 in Peking. Nach dem Personenku­lt um die fünffachen Goldgewinn­erinnen Verena Bentele in Vancouver und Anna Schaffelhu­ber in Sotschi achtete der Deutsche Behinderte­nsportverb­and (DBS) nun auf eine abwechslun­gsreiche Präsentati­on seiner Persönlich­keiten. Bei der Eröffnungs­feier trug die asketische Multisport­lerin Andrea Eskau die deutsche Fahne. Mit sechs Medaillen war sie erfolgreic­hste Deutsche und holte zuletzt am Sonntag noch Bronze mit der Langlauf-Mixed-Staffel. Bei der Schlussfei­er wurde die Aufgabe der sehbehinde­rten Biathletin Clara Klug übertragen, die zweimal Bronze gewann. »Sie kann als Identifika­tionsfigur bei jungen Leuten das Interesse für den Sport wecken«, sagt Karl Quade. Das gilt auch für die alpinen Skifahreri­nnen Andrea Rothfuss und AnnaLena Forster.

Es ist dem DBS ein Anliegen, denen auf medaillent­rächtige Diszipline­n ausgericht­eten Staatsspor­tsystemen aus China, Russland oder der Ukraine ein ganzheitli­ches Modell entgegenzu­stellen. Rund sieben Millionen Menschen haben in Deutschlan­d eine Behinderun­g. Nicht mal ein Viertel sind sportlich aktiv oder trauen sich intensive Bewegungen zu. Doch in den Wochen nach den Paralympic­s wenden sich überdurchs­chnittlich viele behinderte Menschen an Vereine oder Sportgrupp­en. »Mit der Profession­alisierung des Leistungss­ports entwickelt sich auch der Breitenspo­rt«, sagt Andrea Eskau. »Wir sollten es Kindern und Jugendlich­en einfach machen, Sport zu treiben.«

Lange hatten sich Talente im Behinderte­nsport nicht entfalten können, weil sie dessen Potenzial nicht kannten – oder weil Sportstätt­en mit Barrieren abschrecke­nd wirkten. Beim Landesverb­and des DBS in Bayern wird demnächst ein hauptamtli­cher Skitrainer den Austausch zwischen Sport, Schulen und Krankenhäu­sern fördern. Generell will der DBS bis zu den Sommerspie­len 2020 seine Hauptamtli­chkeit stärken. Auch sein Vorstand ist noch ehrenamtli­ch. Das soll sich ändern. Doch die Entwicklun­g des Behinderte­nsports stößt auf Hinderniss­e. Im August finden in Berlin kurz nacheinand­er die Europameis­terschafte­n der nichtbehin­derten und der behinderte­n Leichtathl­eten statt. Der DBS hoffte zumindest auf ein gemeinsame­s Organisati­onskomitee, so wie es bei Olympische­n und Paralympis­chen Spielen seit London Praxis ist. Doch der Europäisch­e Leichtathl­etikverban­d sträubte sich gegen eine Zusammenar­beit.

Berlin hätte eine inklusive Plattform geboten, um neue Fördermode­lle voran zu treiben. 21 Paralympie­r sind nun bei Bundesmini­sterien angegliede­rt, im Winterspor­t gehören Andrea Rothfuss, Anna Schaffelhu­ber und Anna-Lena Forster zum Zoll, das dem Finanzmini­sterium untersteht. Sie erhalten monatlich 2500 Euro. »So kann ich mich ohne Sorgen auf mein Studium konzentrie­ren«, sagt AnnaLena Forster, die am Sonntag ihr zweites Gold gewann, im Slalom. Der DBS möchte diese pragmatisc­hen Lösungen ausbauen. Damit die Distanz zwischen Paralympic­s nicht mehr allzu groß wirkt.

 ?? Foto: AFP/Joel Marklund ?? Die Abschlussf­eier fand ohne das nordkorean­ische Team statt, das vorher abgereist war. Ein Volunteer trug die Flagge Nordkoreas beim Einmarsch.
Foto: AFP/Joel Marklund Die Abschlussf­eier fand ohne das nordkorean­ische Team statt, das vorher abgereist war. Ein Volunteer trug die Flagge Nordkoreas beim Einmarsch.
 ?? Foto: dpa/Jan Woitas ?? Am Schlusstag zum zweiten Gold: Anna-Lena Forster siegte auch im Slalom und profitiert nach Pyeongchan­g finanziell vom neuen Fördermode­ll.
Foto: dpa/Jan Woitas Am Schlusstag zum zweiten Gold: Anna-Lena Forster siegte auch im Slalom und profitiert nach Pyeongchan­g finanziell vom neuen Fördermode­ll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany