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Thatcher On Ice

Mehr als ein Biopic: Der Film »I, Tonya« zeichnet eine hintergrün­dige Karikatur des amerikanis­chen Traums

- Von Felix Bartels

»That girl is your enemy«, schreit die Mutter übers Eis, als ihre Tochter mit einem anderen Kind redet, das neben ihr trainiert.

Filmische Biographie­n müssen enttäusche­n. Sie provoziere­n die Erwartung, getreu zu erzählen, wie es war, und langweilen, wenn sie das tun, weil das Ende doch immer schon bekannt ist. Jeglicher Film über Jesus wird dessen Tod am Kreuz zeigen, jeder Film über die US-amerikanis­che Eiskunstlä­uferin Tonya Harding den Hergang des Attentats auf ihre Konkurrent­in Nancy Kerrigan erzählen. Also kommt es hier mehr noch als in der reinen Fiktion darauf an, wie die Sache erzählt wird. Was immer sich sonst für oder gegen »I, Tonya« vorbringen ließe, dieses Problem hat der Film exzellent gelöst.

Bemerkensw­ert, dass diese Lösung nicht durch die Struktur entsteht. Die Erzählung bleibt weitgehend linear, der Wechsel von retrospekt­iven Interviews und szenischer Darstellun­g ist konvention­ell und macht alles, was Szene ist, zur Rückblende. Auch die technische­n Mittel sind geschickt eingesetzt, aber nicht außergewöh­nlich. Bei den Eislaufsze­nen zeigen sich sogar ein paar Schwächen, indem die üblichen Tricks (visuelle Nachbereit­ung, Nä- he der Kamera, schnelle Schnitte) nicht kaschieren können, dass Margot Robbie weniger gut ist in der Disziplin Eiskunstla­uf, als die von ihr dargestell­te Tonya Harding es war.

Nicht die Erzählweis­e also, der Inhalt selbst löst das Problem. Nämlich durch einen flapsigen Umgang mit der Wahrheit, der nicht als Nachlässig­keit, sondern als Programm verstanden werden muss. Die eröffnende Texttafel (»Based on irony free, wildly contradict­ory, totally true interviews«) geht in diesem Moment noch als Witz durch, doch schnell hat man raus, dass damit das Konzept des gesamten Films angedeutet wurde. Bilder widersprec­hen Worten, Worte widersprec­hen Worten, und ein Feuerwerk aus rüder Sprache und situativer Komik gibt die Figuren immer wieder der Lächerlich­keit preis. Überhaupt ist das alles sehr unterhalts­am und dynamisch, doch auf intuitive, möglicherw­eise ganz unbewusste Weise haben Autor und Regisseur hier einen wichtigen gesellscha­ftlichen Zusammenha­ng erspürt.

Am Anfang des Tonya-Komplexes steht die böse Mutter. LaVona Harding, gespielt von der alles überragend­en Allison Janney, hat eine starke Waffe: Sie weigert sich, ihrer Tochter Liebe zu zeigen. Das führt bei der sonst robusten Tonya zu hilflosen Gesten, im Wechsel aus Trotz und Sehnsucht. Noch am Ende will sie, unbelehrt von aller Enttäuschu­ng, bloß in den Arm genommen werden. Kein Kind kann anders als seine Eltern zu lieben, und sei es in Form des Zorns gegen die Zurückweis­ung.

Mit einem Satz wie »I made you a fighter« rationalis­iert Mama ihre körperlich­e Gewalt und seelische Grausamkei­t. Diese Art Erziehung sollte Tonya ermögliche­n, aus dem Mist herauszuko­mmen, und hat tatsächlic­h dafür gesorgt, dass sie den Mist mit sich herumträgt, wohin immer sie noch gehen wird. Zuerst natürlich in die Ehe mit Jeff, in der Tonya wiederum Gewalt erfährt, jetzt aber mit Gewalt reagiert. Das Verhältnis zur Mutter setzt sich insofern fort, als die Tochter auch hier den Schatten der Übermacht bloß bekämpft anstatt aus ihm herauszutr­eten. So nimmt sich ihr Leben aus als eine einzige Lektion darüber, dass Gesellscha­ft kein Miteinande­r sein kann, nicht einmal in ihren intimsten Zusammenhä­ngen. Und diese Lektion ist Tonyas Mutter nicht einfach unterlaufe­n, es ruht dahinter eine schwer verrückbar­e Ideologie.

»That girl is your enemy«, schreit LaVona übers Eis, als ihre Tochter mit einem anderen Kind redet, das neben ihr trainiert. Und ihrem Schwiegers­ohn Jeff teilt sie mit, wie sie sich die Liebe denkt, man sei entweder Gärtner oder Blume, Subjekt also oder Objekt. Dem Professor Higgins in George Bernard Shaws »Pygmalion« gleich, nur aller Selbsttäus­chung ledig, betrachtet sie Liebe als asymmetris­ch und ist ihr auch im Verhältnis des Liebens der Liebende sich selbst stets am nächsten. – Was als Kehrseite des amerikanis­chen Traums nicht bloß interpreti­ert werden kann, sondern im Film ganz ausdrückli­ch wird.

Ein Umfeld, in dem der Subjektged­anke stets vor den sozialen Gedanken geschaltet wird, muss, so wie auf der Sonnenseit­e joviale Liberalitä­t, einen destruktiv­en Subjektivi­smus hervorbrin­gen, der durchaus zu dem führen kann, was im Film als »der Vorfall« (the incident) bezeichnet wird, weil keiner wirklich gern dieses Kind beim Namen nennen will. Tonyas Herkommen aus der Unterschic­ht verleiht ihrem Erfolg Grenzen, die ihr von Anbeginn gesteckt sind. Sie hat die Ideologie des Aufstiegs, in der sich jeder selbst am nächsten ist, vollends verinnerli­cht, kann aber den Geruch des white trash nicht ablegen. Technisch bei weitem die beste Läuferin, verliert sie immer wieder in der B-Note. Ihr fehlt die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Kinder gehobener Milieus sich im Eiskunstzi­rkus bewegen. Den grazilen Stil kann man nicht einfach lernen, wenn die Zuspielung­en des Unbewusste­n fehlen. Die Jury nimmt diese Schwäche auf, denn für sie geht es in diesem Sport nie bloß nur um den Sport, sondern immer auch um Marktwerte, die auf der Identifika­tion des Publikums mit dem Athleten beruhen. Dieses Wissen um die durch die Jury gesteckten Grenzen schlägt bei Tonya ins Destruktiv­e um. Der Wettbewerb­sgedanke, besser zu sein als die Andere, bringt den Gedanken hervor, dass hierzu ja auch reicht, die Andere schlechter zu machen. Tonya mag von dem Attentat auf ihre Konkurrent­in nichts gewusst haben, aber ihr Handeln gegen Nancy, ihre vormalige Freundin, war auch vorher schon destruktiv.

Soweit entfaltet wird möglich, jenen flapsigen Umgang mit der Wahrheit, den der Film regelrecht zur Schau stellt, als Kunstgriff zu deuten. Dem hemmungslo­sen Egoismus im Praktische­n korrespond­iert ein Subjektivi­smus im Gedanklich­en. Von Margaret Thatchers »There is no such thing as society« ist es nur ein kleiner Schritt zu »There is no such thing as truth«. Und mit diesen Worten, in der Tat, endet denn auch der Film. So ist der Vorsatz, keine eindeutige Geschichte zu erzählen, sondern gegensätzl­iche Narrative aufeinande­rprallen zu lassen, keine Grußbotsch­aft postmodern­er Beliebigke­it, sondern genauer Ausdruck jener Bewusstsei­nslage, die zu beschreibe­n der Film sich vorgenomme­n hat.

»I, Tonya«, USA 2017. Regie: Craig Gillespie. Drehbuch: Steven Rogers. Darsteller: Margot Robbie, Allison Janney, Sebastian Stan. 120 Min.

 ?? Foto: DCM ?? »I, Tonya« erzählt von einem Sportskand­al, ist aber auch ein Film über die Klassenges­ellschaft.
Foto: DCM »I, Tonya« erzählt von einem Sportskand­al, ist aber auch ein Film über die Klassenges­ellschaft.

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