nd.DerTag

Eine Frage des Wie, nicht des Ob

Halina Wawzyniak sieht in flexiblere­n Erwerbsarb­eitszeiten für viele eine Chance für eine bessere Work-Life-Balance

-

Flexibilis­ierung von Arbeitszei­ten, korrekterw­eise muss es Erwerbsarb­eitszeiten heißen, ruft häufig einen Abwehrrefl­ex hervor. Das ist wie mit der Digitalisi­erung, wo die gesellscha­ftliche Linke lieber die Gefahren betont und in den Mittelpunk­t stellt, anstatt die Chancen zu sehen und Konzepte zur Nutzung der Chancen zu entwickeln.

Glückliche­rweise liest sich das im LINKEN-Wahlprogra­mm zur Bundestags­wahl 2017 anders: »Flexibilit­ät im Arbeitsleb­en muss sich nach den Bedürfniss­en der Beschäftig­ten richten. Die Beschäftig­ten müssen mehr Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeit und Arbeitszei­t haben.« Das ist der Gestus der Chance. Es geht nicht um die Frage, ob es eine Flexibilis­ierung der Erwerbsarb­eitszeit geben soll oder darf, es geht um die Frage, wie diese ausgestalt­et werden soll.

Richtig ist zunächst, dass es Bereiche gibt, in denen die Frage flexibler Erwerbsarb­eitszeiten für Beschäftig­te weniger relevant ist. Etwa für Polizisten*innen, Ärzt*innen und Krankenpfl­eger*innen sind flexible Erwerbsarb­eitszeiten so gut wie nicht machbar. Anders sieht das aber in vielen Büroberufe­n aus.

Flexible Erwerbsarb­eitszeiten bieten Beschäftig­ten die Chance, auf ihre individuel­len Bedürfniss­e zugeschnit­ten ihrer Erwerbsarb­eit nachzugehe­n. Frühaufste­her*innen können um 6 Uhr beginnen und Nachteulen später kommen. Es gäbe die Wahl zwischen vier Tagen Erwerbsarb­eit, um dann ein verlängert­es Wochenende zu genießen, oder fünf Tagen Erwerbsarb­eit, weil das günstiger ist, um Freunde, Familie und Hobby unter einen Hut zu bekommen.

Flexible Erwerbsarb­eitszeiten sind eine Möglichkei­t, eine bessere WorkLife-Balance hinzubekom­men. Fle- xible Erwerbsarb­eitszeiten sind eine Möglichkei­t für Alleinerzi­ehende, nicht auf eine Teilzeitbe­schäftigun­g angewiesen zu sein. Flexible Erwerbsarb­eitszeiten würden es ihnen nämlich ermögliche­n, einen Teil der Erwerbsarb­eitszeit im Büro abzuleiste­n, genügend Zeit für die Kinder zu haben und später von zu Hause einen weiteren Teil der Erwerbsarb­eit zu absolviere­n. Allerdings setzt dies voraus, dass von der weit verbreitet­en »Anwesenhei­tskultur« als Nonplusult­ra Abstand genommen wird.

Der klassische Einwand ist, am Ende würden solche Ideen immer zu Lasten der Beschäftig­ten gehen. Dieser Einwand ist aus meiner Sicht nicht überzeugen­d. Denn es obliegt den Tarifpartn­ern und dem Gesetzgebe­r, hier regulieren­de Maßnahmen zu ergreifen, um eine Flexibilis­ierung zu Lasten der Beschäftig­ten zu verhindern. Da geht es auch um Rahmenbedi­ngungen. Wenn es zum Beispiel ein emanzipato­risches bedingungs­loses Grundeinko­mmen gäbe, würden andere Rahmenbedi­n- gungen existieren als mit dem repressive­n Sozialgese­tzbuch II.

In der Realität zeigt sich zudem, dass mittlerwei­le Teile der Arbeitgebe­r ein Interesse an einem Recht auf Unerreichb­arkeit für die Beschäftig­ten haben. Beim Autokonzer­n BMW gibt es eine Vereinbaru­ng mit dem Betriebsra­t, dass Büromitarb­eiter*innen ein Recht auf Unerreichb­arkeit im Feierabend besitzen. Mitarbeite­r*innen von Daimler können ihre EMails sogar während ihrer Abwesenhei­t automatisc­h löschen lassen.

Um flexiblere Erwerbsarb­eitszeiten zum Wohle der Beschäftig­ten zu erreichen, gibt es nicht nur das Mittel des Tarifvertr­ages oder das der Betriebsve­reinbarung. Eine Möglichkei­t wäre es auch, an die Umverteilu­ng von Erwerbsarb­eit insgesamt zu denken. Eine 30-Stunden-Woche als Regelfall könnte dabei eine Idee sein, und die ist gar nicht mal so neu.

Das deutsche Arbeitszei­tgesetz sieht im Regelfall den Acht-StundenTag vor. Die Möglichkei­t, den Arbeitstag auf zehn Stunden auszuweite­n, ist beschränkt. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszei­t ist eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden vorgeschri­eben. Eine wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit findet sich dagegen im Arbeitszei­tgesetz nicht als explizite Festlegung. Denkbar wäre doch nun, genau ein solches Maximum festzulege­n, dafür aber Flexibilit­ät bei der täglichen Erwerbsarb­eitszeit zu ermögliche­n – ohne die bisher im Gesetz verankerte­n Beschränku­ngen.

Am Ende geht es nicht darum, aus Angst um die eigene Schwäche potenziell für Beschäftig­te sinnvolle Regelungen abzulehnen, sondern mit aller Kraft darum zu kämpfen, dass Beschäftig­te mehr Zeitsouver­änität im Hinblick auf ihre Erwerbsarb­eit erhalten.

 ?? Foto: DIE LINKE ?? Halina Wawzyniak ist Juristin und war von 2009 bis 2017 Bundestags­abgeordnet­e (LINKE).
Foto: DIE LINKE Halina Wawzyniak ist Juristin und war von 2009 bis 2017 Bundestags­abgeordnet­e (LINKE).

Newspapers in German

Newspapers from Germany