nd.DerTag

Unheilvoll­es Schweigen

In seiner Regierungs­erklärung geht der neue Arbeitsmin­ister mit keinem Wort auf Hartz IV ein

- Von Fabian Lambeck

Augen zu und durch: Arbeits- und Sozialmini­ster Hubertus Heil gelingt es, in seiner Rede das Thema Hartz IV komplett auszublend­en. Dabei ist die Debatte um die Grundsiche­rung in vollem Gange. Armut ist längst kein Randphänom­en mehr in Deutschlan­d: Etwa acht Millionen Menschen sind auf Grundsiche­rung angewiesen, darunter sind fast sechs Millionen Hartz-IV-Bezieher und deren Kinder. Angesichts dieser Zahlen sollte man meinen, dass der neue Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) das Thema zum zentralen Aufhänger seiner Regierungs­erklärung machen würde, schließlic­h fällt das Arbeitslos­engeld II, wie Hartz IV offiziell heißt, in seinen Aufgabenbe­reich. Doch weit gefehlt: Der Ressortlei­ter hielt sich am Donnerstag zwar an die von Merkel ausgegeben­e Regierungs­linie und beklagte ebenfalls die zunehmende Spaltung der Gesellscha­ft, »im Arbeitsleb­en und bei Einkommen und Vermögen«, erwähnte aber Hartz IV als Treiber dieses Auseinande­rdriftens mit keinem Wort.

Nicht immer war Heil so sprachlos. In seiner ersten Amtszeit als SPDGeneral­sekretär verteidigt­e er die Agenda 2010, deren Kernpunkt die Einführung des ALG II war, gegen Angriffe von links. Als die SPD später die Opposition­sbänke drückte, erfassten Heil ernsthafte Zweifel an der Verfassung­smäßigkeit des Schrödersc­hen Reformproj­ekts. »Das riecht nach Willkür«, klagte er mit Blick auf die fragwürdig­e Regelsatzb­erechnung in der »taz«. Als zuständige­r Minister hat er sich nun offenbar mehr Zurückhalt­ung auferlegt. Und so fragte er unverbindl­ich in die weite Runde des halbleeren Plenums: »Wie halten wir in diesem gesellscha­ftlichem Wandel die Gesellscha­ft zusammen?« Heil zufolge soll der starke Sozialstaa­t »Chancen auf ein selbstbest­immtes Leben ermögliche­n«. Das Ganze wolle er aber »nicht an der Höhe des sozialen Transferle­istungen« festmachen. Ohne es zu sagen, erteilte der Minister so Forderunge­n nach einer Erhöhung der Hartz-IV-Sätze eine Absage.

Es war die Opposition, die am Donnerstag das ungeliebte Thema zur Sprache brachte. Die Parteivors­itzende der LINKEN, Katja Kipping, beklagte in ihrer Rede »die soziale Ignoranz gegenüber Hartz-IV-Betroffene­n«. Im Koalitions­vertrag finde sich nicht ein Satz zur Erhöhung der Regelsätze, so Kipping. Auch zur möglichen Abmilderun­g der Sanktionen verliere der Vertrag kein Wort. Obwohl von jeder dritten Sanktion auch Haushalte betroffen seien, »in den Kinder leben«, unterstric­h die Linkspolit­ikerin.

Heils Schweigen zu Hartz IV ist umso unverständ­licher, als die Debatte wieder neu entbrannt ist. Losgetrete­n hatte die Diskussion der designiert­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), als er behauptete, dass Hartz IV nicht Armut bedeute, sondern die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut sei.

Heil selbst brachte sich in die Debatte ein und sagte den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe: »Die Diskussion, die der Kollege Spahn angestoßen hat, führt uns nicht weiter. Die Grundsiche­rung liegt am Existenzmi- nimum.« Vor wenigen Tagen verkündete er dann, einen »sozialen Arbeitsmar­kt« schaffen zu wollen. Langzeitar­beitslose, die aufgrund multipler Vermittlun­gshemmniss­e kaum eine Chance auf einen regulären Job haben, sollen zukünftig gemeinnütz­ige Arbeit leisten. Dafür will der Minister bis 2012 rund vier Milliarden Euro einsetzen und so etwa 150 000 Betroffene erreichen. Ein Projekt mit vielen Fallstrick­en, denn unter anderem dürfen die Sozialjobs keine reguläre Beschäftig­ung verdrängen. Ob er seine Pläne deshalb unerwähnt ließ?

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD), der auch im Parteivors­tand sitzt, geht einen Schritt weiter. Am vergangene­n Wochenende machte er Schlagzeil­en mit der Forderung nach Abschaffun­g von Hartz IV. Stattdesse­n soll ein »soziales Grundeinko­mmen«, das sich am Mindestloh­n orientiert, an die Betroffene­n ausgezahlt werden. Die Bezieher sollen sich »in Bereichen, die unserer Gemeinscha­ft zugutekomm­en« engagieren, wie die »Berliner Morgenpost« berichtete. Darunter stellt sich Müller Schulhausm­eister und Begleiter in Bus und Bahn vor.

Der rentenpoli­tische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, ging in seiner Rede auch auf Müllers Vorstoß ein. Dessen Grundeinko­mmen sei »in Wirklichke­it ein schmales Salär für Langzeitar­beitslose, die als Hausmeiste­r arbeiten sollen«. Kurth plädierte dafür, stattdesse­n eine »individuel­le und sanktionsf­reie Grundsiche­rung« einzuführe­n. Tatsächlic­h soll das Grundeinko­mmen laut Müller nur erhalten, wer arbeitet. Alle anderen würden weiterhin mit Leistungen auf Hartz-IV-Niveau abgespeist.

Der Bundesarbe­itsministe­r setzte in seiner Antrittsre­de aber ganz andere Prioritäte­n. Er wolle das geplante Rückkehrre­cht in Vollzeit in Gesetzesfo­rm bringen, sagte Heil. »Das wird in den ersten 100 Tagen auf den Weg gebracht.« Viele Frauen müssten unfreiwill­ig in Teilzeit arbeiten. Dies dürfe kein Dauerschic­ksal sein, zumal lebenslang­e Teilzeitar­beit keine auskömmlic­he Rente bringe.

Zur Zukunft der Rente wiederum soll eine Kommission noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Bisheriger Arbeitstit­el des Gremiums: »Verlässlic­her Generation­envertrag«. Heil warnte davor, in der Frage die Generation­en gegeneinan­der auszuspiel­en. Rentner seien keine »Empfänger von Mildtätigk­eiten des Staates«, sondern hätten sich im Lauf ihres Arbeitsleb­ens ein »soziales Recht« erworben. Zugleich müsse es einen »Interessen­ausgleich« geben. Der Minister verwies auf das Ziel der Bundesregi­erung, das Rentennive­au bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 Prozent sinken und den Beitragssa­tz zur Rentenvers­icherung nicht über 20 Prozent steigen zu lassen. »Beides ist notwendig und beides werden wir in diesem Jahr gesetzgebe­risch angehen.«

 ?? Foto: imago/Gerhard Leber ??
Foto: imago/Gerhard Leber

Newspapers in German

Newspapers from Germany