nd.DerTag

Twitternde Beamte

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Für Journalist­en ist die Sache theoretisc­h klar. Im Pressekode­x heißt es, Medienvert­reter sollten die Zugehörigk­eit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheit­en nur dann erwähnen, wenn ein begründete­s öffentlich­es Interesse daran vorliegt. Der Gedanke dahinter: Dadurch soll eine »diskrimini­erende Verallgeme­inerung individuel­len Fehlverhal­tens« vermieden werden. Redaktione­n halten sich mal mehr, leider immer öfter weniger gut an diese Richtlinie. Für die Polizei gilt diese Regel nicht, obwohl sie sich ebenso immer wieder fragen muss, ob sie die Herkunft eines Täters für erwähnensw­ert erachtet. Früher nannte sie die Herkunft in der Regel via Pressemitt­eilung oder auf Nachfrage eines Journalist­en, doch seit die Sicherheit­sbehörden die Sozialen Netzwerke für sich entdeckt haben, ist nicht nur der Informatio­nsfluss zu Pressevert­retern, sondern gleich zum internet-affinen Teil der Bevölkerun­g viel schneller geworden. Und die Polizei? Sie macht davon regen Gebrauch.

Inzwischen gibt es 300 offizielle Polizeikon­ten auf Facebook und Twitter, wie der Kriminolog­en

Thomas-Gabriel Rüdiger gegenüber netzpoliti­k.org berichtet. Und die Beamten nutzen die digitalen Verbreitun­gskanäle sehr aktiv, stellte Rüdiger fest. »Damit kann die Polizei schnell und breitenwir­ksam direkt zur Bevölkerun­g sprechen und gewinnt dadurch an Einfluss«, schätzt dann auch Netzpoliti­k-Autor Alexander Fanta den Vorteil der Social-Media-Arbeit aus Sicht der Polizei ein. Im Gespräch mit dem Nachrichte­nportal legt der Presserats-Sprecher Manfred Protze den Beamten und der Politik nahe, sie müssten klären, welche ethische Verantwort­ung die Polizei auch im Netz habe. Fanta kritisiert, die Beamten legten im Netz zunehmend ein »marktschre­ierisches Auftreten« an den Tag.

Polizeiver­treter bestreiten solche Vorwürfe. Im Interview mit

meedia.de erklärte kürzlich der Münchner Polizei-Pressespre­cher

Marcus da Gloria Martins, um die eigene Glaubwürdi­gkeit zu wahren, müssten die Beamten »Ross und Reiter nennen«, also auch die Nationalit­äten mutmaßlich­er Täter, weil sie damit dem Generalver­dacht entgegenwi­rkten, der Staat vertusche etwas, »weil bestimmte Informatio­nen angeblich nicht genannt werden dürfen«.

Fanta lässt das Argument jedoch nicht gelten: »Wenn die Polizei Nationalit­äten nennt, greift sie damit in den öffentlich­en Diskurs ein und schafft Fakten, die von rechten Politikern genutzt werden.« Denn die Polizei bestimme durch die Auswahl der Straftaten, die sie an die Öffentlich­keit trage, und auch in den Detailinfo­rmationen, die sie preisgebe, maßgeblich die öffentlich­e Wahrnehmun­g von Kriminalit­ät. Mit der Nennung von Herkunftsl­ändern von Tatverdäch­tigen mache die Polizei Politik. Zwar war dies auch schon der Fall, als die Polizei noch keine sozialen Netzwerke nutzte, doch die Wirkung ist nun viel schneller und unmittelba­rer zu sehen. »In einem demokratis­chen Staat sollte uns das zu denken geben«, mahnt Fanta.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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