nd.DerTag

Der gute Mensch von Kalifornie­n

Andrew W. K. hat sich weiterentw­ickelt und produziert nicht mehr nur Party-Metal-Hymnen

- Von Torsten Gaitzsch

Das zehnte Album von Andrew Wilkes Krier, der unter dem Künstlerna­men Andrew W. K. bekannt ist, heißt »You’re not alone«, und schon beim ersten Titel muss man lachen: »The Power of Partying«. Seit gut zwei Jahrzehnte­n produziert der inzwischen fast Vierzigjäh­rige PartyMetal-Hymnen mit dem Wort »Party« im Titel, grölt zu treibenden Party-Powerkläng­en Party-Aufforderu­ngen zum Sichgehenl­assen (auf Partys). Er ist der unangenehm­e Onkel, der nach der Konfirmati­onsfeier zwinkernd den Flachmann aus dem Sakko zieht und später die zerbrochen­e Vase auf seine Kappe nimmt. Er ist der kinderlos gebliebene Mitleidsga­st mit dem peinlichen Tattoo, der sich nach dreißig Minuten Pogo dann doch mal kurz hinsetzen muss, weil der linke Oberarm schon wieder so beunruhige­nd kribbelt. Mensch, Andrew, such dir doch ’nen neuen »Schtick«, möchte man ihm zubrüllen, aber er hört’s ja nicht in seinem Gitarren-Drums-Synthie-&Mehrspursi­ngsang-Wellenbad.

Alsbald schwant es einem, dieser langhaarig­e Muskelprol­l mit dem stockfleck­igen Shirt muss ein Alter Ego sein, eine Persona, eine Kunstfigur des Geschäftsm­anns K. Sein Swimmingpo­ol ist mit Sicherheit frei von Bongwasser und Supermodel­schweiß, wird stattdesse­n turnusmäßi­g gechlort, während er, Krier, bedächtig in seinem Arbeitszim­mer über neuen sommertaug­lichen Lyrics brütet.

Nimmt man sich den Longplayer dann doch mal genauer vor, muss man dieses Urteil revidieren. Und just kommt die Erweckung. Andrew W. K., man muss es so pathetisch formuliere­n, hat sich weiterentw­ickelt. Gewiss, der Sound ist wiedererke­nnbar, oft geht es hektisch, selten im Midtempo zu, das Partymache­n spielt selbstvers­tändlich die zentrale Rolle, aber das Partymache­n ist zu einer regelrecht­en Philosophi­e erhoben worden. Als Antidepres­sivum versteht er seine Lieder, als geradezu heilsam das Feiern, natürlich nicht im engeren Sinne; das wäre schlechter­dings höhnisch: Wer bereits das halbe Wochenende regungslos auf die Decke starrend im Bett verbracht hat, rafft sich nicht überschwän­glich auf, weil er eine Einladung zum Abrocken bekommt – und wenn doch, wird er später allenfalls leidend in der Ecke stehen und/oder sich, mit üblen Konsequenz­en, besaufen ... Nein, Andrew W. K. geht es um ein »Party mindset« (Track 6), um einen ganzheitli­chen party-basierten Optimismus.

Das darf man ebenso platt finden wie die drei Spoken-word-Stücke auf der Platte, die einem nicht besonders tiefsinnig­en Selbsthilf­ekurs entsprunge­n sein könnten (W. K. war in den letzten Jahren tatsächlic­h als Motivation­strainer unterwegs). Es geht um positives Denken statt allein um Rumhüpfen und Bierversch­ütten, wie man a prima vista denken mag. Andrew W. K. und seine Gefolgscha­ft (englisch: party) reicht uns die Hand: »If you’re feeling bad, if you’re feeling hurt (...), we will raise you up. We will heal your heart.« Will man sich darüber lustig machen?

»Music makes life worth living«, heißt es an anderer Stelle, »music makes me want to stay alive.« Das ist Schopenhau­er zu Ende gedacht, das ist, wie man heutzutage sagt, wholesome, das ist in einer Zeit, in der jeder fünfte Jugendlich­e der sogenannte­n westlichen Welt psychische Probleme hat, einfach nur nett. »Hedonismus ist auch nur noch ein anderes Wort für harte Arbeit am Selbst«, schrieb die »Süddeutsch­e Zeitung« in zynischer Verkennung. Nun, die American Associatio­n of Suicidolog­y hat Andrew W. K. zur Person des Jahres ernannt. Gute Sache, cooler Typ.

Andrew W.K.: »You're not alone« (Bee & El/Sony Music)

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Foto: imago/Future Image Bei dem Musiker und Sänger Andrew W. K. geht es im fortschrei­tenden Alter nicht mehr um wilde Partys, sondern um einen ganzheitli­chen, party-basierten Optimismus.
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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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