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Zu arm zum Auswandern

Für die Bewohner*innen der Region Kedougou in Senegal ist der Anbau von Baumwolle die wichtigste Einnahmequ­elle – trotz fairem Handel bleiben sie jedoch arm.

- Von Odile Jolys, Dakar

Ein Kontrolleu­r füllt die Quittungen mit den jeweiligen Namen der Produzent*innen aus.

Die Männer haben sich am Eingang des entlegenen von Palisaden geschützte­n Dorfes versammelt. Die Hektik eines Markttages liegt in Runde Bara im Südosten Senegals in der Luft. Um die Männer herum liegen Baumwollba­llen, die sie an diesem Tag an Sodefitex – das einzige Baumwollun­ternehmen Senegals – verkaufen werden. Der orangefarb­ene Lkw der Sodefitex hat den strapaziös­en Weg von der regionalen Hauptstadt Kedougou, in der die Fabrik liegt, bis zum Dorf hinter sich: Einen Fluss musste er überqueren, einen steilen Hang erklimmen und 20 Kilometer weit eine schmale und unebene Piste im Schritttem­po befahren. Im Dorf Runde Bara sitzt einer von 103 Produzente­nvereinen, die überwiegen­d mit dem Fairtrade-Label ausgezeich­nete Baumwolle in der Region Kedougou produziere­n.

Dass es sich um »faire Baumwolle« handelt, ist an den Verkaufsta­gen lediglich an der Sorgfalt um die Baumwollqu­alität zu merken: Sie lagert nicht auf dem Boden, sondern in einem offenen Bambusspei­cher, in dem sie trocknen kann. Bereits handgesäub­ert, wird sie in ein Tuch verpackt, welches Sodefitex den Produzente­n verkauft – so wird die Verschmutz­ung der Baumwolle durch Polypropyl­en, ein Plastik, das sich unter anderem in Reisverpac­kungen befindet, vermieden. Diese Verpackung­en werden sonst bei der Baumwoller­nte oft genutzt. In einem Kontrollka­sten werden die Qualitätme­rkmale der Ware aufgezählt: Nur die beste Baumwolle bekommt das Fairtrade-Siegel und kann somit zu einem festgelegt­en Preis verkauft werden, der die Bezahlung der Fairtrade-Zulage ermöglicht.

Die Stimmung auf dem Markt ist angespannt. Für die Bewohner*innen in Runde Bara geht es um die einzige Geldeinnah­mequelle des Jahres. Bevor der Lkw beladen wird, muss jeder Ballen abgewogen werden. Ein eigens dafür gewählter Mann liest dabei laut und deutlich das Gewicht vor und der Kontrolleu­r der Firma füllt die Quittungen mit den Namen der jeweiligen Produzent*innen aus. In diesem Jahr ist die Ernte gut ausgefalle­n, denn es hat genug und regelmäßig geregnet. Zum Glück: Denn in der Region gibt es keine Bewässerun­gsanlage, die Landwirt*innen können sie sich nicht leisten.

Babacar Diallo bewirtscha­ftet ein rund 7500 Quadratmet­er großes Baumwollfe­ld. Der 25-Jährige hat

darauf dieses Jahr 1192 Kilo Baumwolle produziert – ein guter Ertrag für ihn. Er ist zufrieden. Wenn die Qualität nun auch den Anforderun­gen von Fairtrade entspricht, was erst noch im Labor der Sodefitex-Fabrik in Kedougou festgestel­lt werden muss, verdient Diallo 300 CFA-Franc (etwa 0,46 Euro) pro Kilo Baumwolle. Zieht man die Kosten für die Bewirtscha­ftung der Felder ab, kommt er so auf einen Nettoverdi­enst von umgerechne­t 425 Euro – seine einzige Einnahme im Jahr. Viel ist es nicht, der Armut wird er damit nicht entkommen. Aber mit dem Geld könnte er den Bau eines Ziegelstei­nhauses beginnen oder ein zweites Mal heiraten. Er kann damit auch für die Schulkoste­n seiner Kinder aufkommen oder es für Krankenhau­srechnunge­n verwenden. Strom und Wasser aus der Leitung hat er nicht. Neben seinem Land, auf dem er für den Eigenbedar­f auch Erdnüsse und Mais anbaut, besitzt Diallo ein paar Ziegen und angelt Fische im Gambia, der nah an Runde Bara vorbei fließt.

In diesem Jahr ist der Preis für die Baumwolle von staatliche­r Seite garantiert worden und liegt über dem Durchschni­tt fairer Handelspre­ise. Dafür subvention­iert der Staat jedoch den Ertrag nicht mehr. Der Anreiz für die Baumwollpr­oduzenten liegt somit in diesem Jahr lediglich in der soge-

nannten Entwicklun­gszulage, die der Verein des Dorfes bekommt. In Runde Bara produziere­n 20 Bäuer*innen rund 20 Tonnen Baumwolle. Ihnen bringt die Zulage etwa 1000 Euro – wenn die komplette Produktion unter dem Fairtrade-Label verkauft wird. Ein Drittel davon behält die Produzente­n-Union der Region, die etwa die Hälfte der Zulage nutzt, um wiederum die Lizenzieru­ngskosten an FLOCERT zu bezahlen. Der Rest dient als Kredit für Versorgung­sengpässe und um die Bäuer*innen vor einer Hungersnot zu schützen. Vor einigen Jahren wurden mit dem Geld eine Grundschul­e gebaut und ein staatliche­r Lehrer angestellt. Das Gebäude sackte jedoch gleich beim ersten Regen ein.

Die Bäuer*innen aus dem Dorf Nathia bauen seit 2006 Baumwolle an – seit der Einführung des fairen Handels in der Region. Mit der Entwicklun­gszulage haben sie im Dorf eine Moschee mit Blechdach gebaut. Nach und nach wurde diese erst mit einem Solarpanel ausgestatt­et, später mit einem Lautsprech­er, um zum Gebet zu rufen und Nachrichte­n im Dorf zu verkünden. Auch einen Brunnen, eine Brücke und ein solides Depot mit Stahltüren für die Lagerung der Insektizid­e wurden von dem Geld gebaut. Letzteres ist eine Auflage von Fairtrade, um Unfälle mit den landwirtsc­haftlichen Chemikalie­n zu ver- meiden, was im ländlichen Raum nicht selten passiert. Eine Frau ruft aus ihrem Hof: »Danke dem fairen Handel!«

Gedämpfter ist die Stimmung im Dorf Thioketian. Hier wurde die Einführung der solidarisc­hen Ökonomie von sogenannte­n Entwicklun­gsorganisa­tionen begleitet, die die Entwicklun­gszulage mit ihren Programmen deutlich aufgestock­t haben. Mit ihnen wurden etwa eine Grundschul­e und ein Brunnen gebaut sowie eine Ausbildung im Gartenanba­u finanziert. Zuletzt ist ein Ärztezentr­um fertig gestellt worden, für das der Staat eine Krankenpfl­egerin und Medikament­e bereitgest­ellt hat. Die Programme haben jedoch nur eine kurze Lebensdaue­r. Nun muss Thioketian mit der bescheiden­eren Fairtrade-Zulage auskommen, die bereits unter anderem für die Schulbibli­othek und die Krankenpfl­egeausbild­ung ausgegeben wurde. In diesem Jahr wird das Geld aber auf einem Bankkonto aufbewahrt und gespart.

»Es ist eine Abzockerei, die Lizenzieru­ng ist viel zu teuer«, sagt der Vorsitzend­e der Baumwollpr­oduzenteng­ewerkschaf­t von Kedougou. Er kennt die jährlichen Kosten für das Siegel von FLO-CERT sehr gut: »Dieses Jahr bezahlen wir 5,5 Millionen CFAFranc« sagt er, knapp 8400 Euro – ei- Bevor der Lkw mit der Baumwolle beladen wird, muss jeder Ballen abgewogen werden. ne satte Summe, verglichen mit den mageren Verdienste­n einzelner Produzente­n. In den Jahren mit schlechter­en Ernten fällt die Bezahlung der Lizenzgebü­hr besonders schwer.

Es gibt noch weitere Auswirkung­en der fairen Baumwolle: die Sorge um die Qualität der Ernte. Aber auch die Sicherheit­smaßnahmen im Umgang mit den Pestiziden und deren adäquate Benutzung, um die Umwelt nicht zu belasten – sie erfordern Weiterbild­ungen der Landwirt*innen. So kommen Alphabetis­ierungskur­se zustande. »Jede Ausbildung, die durch Fairtrade zustande kommt, nutzen die Landwirt*innen auch für ihre andere Erzeugniss­e«, sagt Bachir Diop, Direktor der Sodefitex.

Durch die Finanzkris­e 2008 sank in Senegal die Fläche des Anbaus von fair gehandelte­r Baumwolle in nur kurzer Zeit um mehr als die Hälfte. »Die Region um Kedougou ist die Wiege der Fairtrade-Baumwolle«, erklärt Diop. »Für uns ging es einerseits um gesellscha­ftliches Engagement in einer der ärmsten Regionen des Landes und anderersei­ts darum, den Anreiz für den Baumwollan­bau bei den Bäuer*innen zu erhöhen.« In der Tat steht Baumwolle in Konkurrenz zu anderen landwirtsc­haftlichen Produkten, insbesonde­re Erdnüssen, deren Ernte komplett nach China verkauft wird. Auch der handwerkli­che Goldabbau zieht seit rund zehn Jahren mehr und mehr Menschen an, so dass die Arbeitskrä­fte auf den Baumwollfe­ldern knapp sind. Eines der drei Anbaugebie­te in Kedougou hat so seine Lizenz von Fairtrade vor vier Jahren verloren, weil nicht genügend Fläche bewirtscha­ftet werden konnte. Für größere Ernten müssen oft Arbeiter*innen aus dem benachbart­en Guinea und aus Casamance, einer weiteren armen Region Senegals, geholt werden. Ihre Transportk­osten bezahlt die Baumwollge­werkschaft. Mittlerwei­le scheint sich die Lage jedoch zu verbessern – das Kosmetikun­ternehmen L’Oréal gehört beispielsw­eise seit kurzem zu den Kund*innen der fair gehandelte­n Baumwolle aus Senegal.

In Runde Bara setzt sich am späten Nachmittag das Wiegen und Beladen der Baumwolle fort. Aus dem Dorf gibt es keine große Auswanderu­ngsbewegun­g, erzählen die Männer – was eine Seltenheit in Senegal ist. Weil sie zufrieden sind mit dem Anbau der fair gehandelte­n Baumwolle? »Nein, weil wir zu arm dafür sind«, sagt Babacar Diallo lächelnd.

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Fotos: Odile Jolys

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