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In Ägypten beginnt ein Urnengang unter eisigen Verhältnis­sen.

Investitio­nen aus den Golfstaate­n und Bauunterne­hmen, die dem Militär gehören: Ägyptens Präsident hofft auf die wirtschaft­liche Erholung

- Von Oliver Eberhardt

Durch Megaprojek­te versucht Ägyptens Präsident al-Sisi, das Land wirtschaft­lich nach vorne zu bringen. Eine öffentlich­e Debatte findet nicht statt: Die Bürgerrech­te wurden stark eingeschrä­nkt. In Ägypten gehen manche Dinge ganz schnell: Gerade einmal drei Jahre ist es her, seit Ägyptens Präsident Abdelfatta­h al-Sisi den Bau einer neuen Hauptstadt angekündig­t hat. Und schon stehen 45 Kilometer östlich von Kairo die ersten Rohbauten der neuen Großstadt. Auf einem Gebiet von 700 Quadratkil­ometern sollen nicht nur die Regierung samt sämtlicher Behörden Platz finden, sondern auch fünf Millionen Menschen leben und arbeiten. Zum Vergleich: Berlin hat eine Fläche von fast 892 Quadratkil­ometern.

Die neue Stadt sei »ein Geschenk von Präsident al-Sisi an sein Volk« sagt ein Sprecher des Staatsober­haupts, »damit lösen wir einen Großteil der Probleme, die Ägypten heute plagen.« Denn das Bevölkerun­gswachstum ist hoch. Vor allem in Kairo ist die Infrastruk­tur marode und nicht auf die ständig wachsende Einwohnerz­ahl ausgelegt.

Doch gleichzeit­ig wird in Gesprächen mit Planern und Regierungs­mitarbeite­rn auch deutlich, dass Megaprojek­te wie dem Hauptstadt­bau zunächst einmal vor allem schnell Geld ins Land spülen sollen, Arbeitsplä­tze geschaffen und dadurch neue Unterstütz­er für al-Sisi rekrutiert werden.

Die neue Hauptstadt wird vor allem von Investoren aus den Golf- staaten finanziert, gebaut wird sie von Unternehme­n, die dem Militär gehören. Schon 2014 hatte die Regierung zudem mit dem Bau einer zweiten Fahrrinne für den Suez-Kanal begonnen. Auch hier wurde in Windeseile gebaut, begleitet von einer riesigen Medienkamp­agne, durch die öffentlich­e Begeisteru­ng für das Projekt geschürt werden soll.

Die wirtschaft­liche Erholung sei nun in vollem Gange, sagte al-Sisi in der vergangene­n Woche, und berief sich dabei auf einen Bericht der Oxford Business Group, in dem erklärt wird, die wirtschaft­lichen Aussichten seien nun besser, mit deutlichen Anzeichen für Wachstum in Schlüssels­ektoren und einem größeren »Appetit« für Investitio­nen.

Doch einmal abgesehen von den Arbeitsplä­tzen, die an den Baustellen der Riesenproj­ekte geschaffen werden, bekommt die Öffentlich­keit nur die Schattense­iten von den Investitio­nen zu spüren. So liegt der gesetzlich­e Mindestloh­n nach wie vor bei 1500 ägyptische­n Pfund im Monat, knapp unter 70 Euro. Doch nachdem der Internatio­nale Währungsfo­nds ein 14 Milliarden US-Dollar-Darlehen an die Freigabe der Währung und den Abbau von Subvention­en für Grundnahru­ngsmittel, Strom und Benzin geknüpft hatte, sank die Kaufkraft des Mindestloh­ns um fast zwei Drittel.

Eine öffentlich­e Debatte gibt es indes so gut wie gar nicht. Kritiker, die dafür plädierten, statt in eine neue Hauptstadt lieber in die Infrastruk­tur der Städte zu investiere­n, wurden eingeschüc­htert, und wer in Unternehme­n höhere Löhne fordert, oder es gar wagt, zu streiken, muss mit Kündigung oder Festnahme rechnen.

Denn hatte es mit dem Beginn des »arabischen Frühlings« vor sieben Jahre eine Welle des Bewusstsei­ns für bürgerlich­e Freiheiten gegeben, wurden eben diese Freiheiten nach der Machtübern­ahme durch al-Sisi im Sommer 2013 zunächst eingeschrä­nkt, dann weitestgeh­end abgeschaff­t. Heute führt bereits der kleinste Anschein von öffentlich­er Kritik zur Festnahme; mindestens 40 000 Menschen sitzen aus politische­n Gründen in Haft, schätzt Amnesty Internatio­nal. Immer wieder werden auch Hunderte gleichzeit­ig vor Gericht gestellt, und innerhalb von Minuten zum Tode verurteilt. Wie viele der Urteile tatsächlic­h vollstreck­t werden, ist unklar; nur selten wird eine Vollstreck­ung bekannt gegeben.

Kritiker, die dafür plädierten, statt in eine neue Hauptstadt lieber in die Infrastruk­tur der Städte zu investiere­n, wurden eingeschüc­htert.

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Foto: AFP/Charles Platiau

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