Horst Seehofer kann vollenden, was seine Vorgänger anrichteten.
Horst Seehofer steht für eine Null-Toleranz-Politik und kann sich dabei auf die Bundesländer verlassen
Die größte Angst haben Deutsche vor Anschlägen, politischem Extremismus und Ausländern. Die Bayern sind dabei die Angsthasen der Nation, sagt eine Studie. Von dort kommt Alm-Öhi Horst Seehofer. Also: Wenn das mit »Mutti Merkel« stimmt, dann könnte das ja auch mit dem Vergleich zwischen dem Alpöhi aus Johanna Spyris Kitsch-Kinderromanen und Horst Lorenz Seehofer stimmen. Ein Alm-Öhi, so sei allen Spyri- und sonstigen Alpenunkundigen erklärt, ist ein Onkel mütterlicherseits: Alt, knorrig, eigenbrötlerisch und eigensinnig. Und so man nicht seine quirlige Enkelin namens Heidi ist, möchte man so einen lieber auf und hinter den Bergen belassen.
Zu spät, nun ist der Mann, der so alt ist wie die Republik, in Berlin. Als 20. deutscher Bundesinnenminister – mit den angeschlossenen Gebieten Bau und Heimat und dem festen Willen, sich nicht an die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin zu halten, wenn er dadurch »Asylanten« von deutschen Grenzen fernhalten und als CSU-Chef seiner Bayerntruppe bei den Landtagswahlen im Oktober die Alleinherrschaft sichern kann.
Alleinherrschaft ist auch ein Markenzeichen des Noch-CSU-Chefs. In Bayern musste er sie bereits weitgehend an den jüngeren Markus Söder abtreten. Umso mehr wird Seehofer sich um sie in Berlin bemühen. Ein »starker Staat« ist dabei Krücke – und laut Koalitionsvertrag – schwarz-rotes Ziel.
Doch ist der erzkonservative Seehofer damit wirklich so einzigartig, wie mancher fürchtet? Bundesinnenminister Nummer 15, der SPD-Mann Otto Schily beispielsweise, regierte von 1998 bis 2005 nach dem Motto: »In meinem Ministerium darf jeder machen, was ich will.« Und die »Asylgefahr« hat Schily auch lange vor Seehofer an die Wand gemalt, als er schon damals sagte, dass »die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung überschritten ist«. Beim amtsgemäßen Groll gegen kompetente Kritiker mag Seehofer Anleihen bei Wolfgang Schäuble (CDU) – im Amt zwischen 2005 und 2009 – nehmen: »Die Datenschützer sind ja nicht moralisch höherwertig, weil sie mehr Gewicht auf die Freiheit legen.« Vielleicht hängt sich der von Selbstzweifeln unberührte Seehofer auch den Satz seines CSU-Kollegen Hans-Peter Friedrich – Innenminister von 2011 bis 2013 – neben das Bürokruzifix: »Am Ende kommen die Richtigen in Funktion und Verantwortung.«
Die Richtigen im Bundesinnenministerium? Das waren immer schon Hardliner, denen Terrorgefahr und Migrationsabwehr willkommen waren, um ohne großen parlamentarischen oder bürgerrechtlichen Widerstand all das umzusetzen, was der Demokratie die Luft abschnürt.
Seehofer kann nahtlos am inneren Aufrüstungskurs seines Vorgängers Thomas de Maizière (CDU) anknüpfen. Der hat alle dem Bund unterstellten Exekutivtruppen bestens aufgestellt und vernetzt, dem Verfassungsschutz neue, weitreichende und zentralisierende Kompetenzen zugeschoben, er ist ähnlich beim Bundeskriminalamt verfahren und er hat die Bundespolizei zu einer technisch perfekt ausgestatteten schlagkräftigen Truppe strukturiert.
Nun ist die Bundesrepublik aber laut Verfassung aus demokratieerhaltenden Gründen föderal geprägt. Durchregieren geht nicht so einfach. Aber auch dafür hat de Maizière einen Masterplan hinterlassen. Die Innenministerkonferenz beschloss im vergangenen Sommer, dass der Bundesinnenminister ein Musterpolizeigesetz vorlegen soll. Nun steht der Auftrag dazu im Koalitionsvertrag. Seehofer hat für einheitliche Normen und Grundsätze, die via vom Bund getroffene Absprachen bis in europäische Strukturen reichen, zu sorgen. Es ist erstaunlich, wie definitiv im Koalitionsvertrag Ziele festgeschrieben werden, die ohne die Mitwirkung der Länder nicht erreichbar sind: »Bessere Ausstattung für die Polizei, konsequente Digitalisierung, Ausweitung DNA-Analyse. Gleich- wertige Befugnisse im Internet wie außerhalb ...«
Wohl vor allem mit Blick auf zwei rot-rot-grüne Landesregierungen hatte schon de Maizière gedroht, um gegen solch ein Mustergesetz zu opponieren, benötige ein Bundesland schon gute Gründe. Die Drohung ist wohl überflüssig. Mit allzu viel Oppositionsgeist aus den Ländern muss Seehofer nicht rechnen. Denn die Länder begaben sich längst freiwillig in einen Wettbewerb um die restriktivsten Sicherheitsbestimmungen.
Dabei wurde die Sogwirkung, die das im vergangenen Jahr novellierte BKA-Gesetzes erzeugt, deutlich. Doch die neuen Rechte für das Bundeskriminalamt wurden vor allem zur Terrorismusbekämpfung geschaffen. Dafür enthält es eine umfangreiche Palette von Kontrollmöglichkeiten, von optischer und akustischer Wohnraumüberwachung über OnlineDurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung bis zur elektronischen Fußfessel oder der zentralen Bevorratung von persönlichen Daten.
Man mag zweifeln, ob die einzelnen Möglichkeiten tatsächlich ein Zugewinn an Sicherheit bringen; sicher ist, dass das Kompendium für allgemeine Gefahrenabwehr, mit der es Landespolizeien zu tun haben, weit überzogen ist.
Zählt das als Argument der Mäßigung? Nein. In Bayern, Branden- burg, Hessen und Thüringen sind neue Polizeigesetze in der parlamentarischen Diskussion. In Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein will man damit in diesem Jahr beginnen, in Sachsen arbeitet das In-
nenministerium an neuen Regelungen, auch im Saarland und in Rheinland-Pfalz sind Novellierungen geplant. Nordrhein-Westfalen ist sicher, die Gesetzesverschärfungen bis zum Sommer einzutüten.
Den Anfang machte Baden-Württemberg. Der Landtag verabschiedete im November ein neues Gesetz. SMS mitlesen darf die Polizei schon eine Weile. Doch angesichts von verschlüsselten Diensten wie Whatsapp oder Skype will die Polizei Nachrichten schon an der »Quelle«, also im Smartphone oder im Computer, abfangen und entschlüsseln. Rechtsgrundlagen für Quellen-TKÜ finden sich bereits in den Polizeigesetzen von Bayern und Rheinland-Pfalz. Nur zur Gefahrenabwehr, heißt es.
Was ist eine Gefahr, wer ein Gefährder? Um das zu bestimmen, reichen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr. Der Landtag in München stimmte im vergangenen Sommer mit Mehrheit für das Polizeiaufgabengesetz, das die Erhöhung der Präventivhaft von bisher 14 Tagen auf unbefristete Zeit vorsieht. Damit kann man, ohne dass eine Straftat vorliegt, schon wegen »drohender Gefahr«, unbefristet in Haft genommen werden. Nur alle drei Monate muss ein Richter die Verlängerung abnicken. Unlängst war der Fall von Gustl Mollath, der zu unrecht in der Psychiatrie weggesperrt wurde, noch ein Skandal.
Auch in NRW will man so einen Präventiv- oder Unterbindungsgewahrsam einführen. Bald wird das »Guantanamo-Prinzip« auch in anderen Bundesländern legalisiert. Dazu kommt die sogenannte elektronische Aufenthaltsüberwachung, die Ausweitung der Videoüberwachung mit verlängerten Speicherfristen. In Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg will man mögliche, nicht überführte Gefährder zum Tragen elektronischer Fußfessel zwingen. So sollen zugleich verhängte örtliche Aufenthalts-, aber auch Kontaktverbote kontrolliert werden.
Begehrlichkeiten weckt auch das Stichwort »intelligente Videoüberwachung«. Das meint nicht nur Gesichtserkennung. Künftig, so die Hoffnung, kann man per Kamera und Computer »gefährliches Verhalten« erkennen. Ein Algorithmus soll »Videosequenzen quasi in Echtzeit miteinander vergleichen und dadurch auffällige Verhaltensmuster kenntlich machen«. Wehe, jemand läuft wie ein Attentäter! Vor allem: Wie läuft so einer?
Die Schleierfahndung lebt in digitalisierter und strategischer Variante wieder auf. Man erweitert Rechte bei der Auswertung von DNA und natürlich auch die Ausrüstung der Polizei. Spezialkräfte der baden-württembergischen Landespolizei dürfen – so als wären sie Militär in Afghanistan – Handgranaten, Sprenggeschosse und Sprengmittel einsetzen. In Bayern gibt es eine ähnliche Regelung. Einsatzhundertschaften sind von militärischen Formationen kaum noch zu unterscheiden. Die Hauptstadtpolizei kauft Sturmgewehre.
Mit der Neufassung des Landespolizeigesetzes in Mecklenburg-Vorpommern wird nun auch der Einsatz sogenannter Bodycams bei Polizisten geregelt. Die kleinen Kameras, an der Uniform angebracht, zeichnen Einsätze in Bild und Ton auf. Auch in München, Augsburg und Rosenheim hat man sie ein Jahr lang getestet und dabei Warnungen von Datenschützern wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen in den Wind geschlagen. Ab 2019 werden Bodycams flächendeckend in Bayern eingeführt. Nach einem ähnlichen Modellversuch in Niedersachsen war das Innenministerium voll des Lobes. Da die Kameras nicht ausgeschaltet werden, wenn Polizisten eine Wohnung betreten, verstößt ihr Einsatz in privaten Räumen gegen geltendes Recht. Kümmert das wen?
Es wäre ein Fehler, sich zu sehr auf die Technik zu verlassen, betonen auch Experten aus dem Polizeibereich. Wenn es passt, werden sie erhört. So soll es bald in verschiedenen Ländern mehr Möglichkeiten zum Einsatz von Vertrauenspersonen geben. Das betrifft vor allem den sogenannten Staatsschutzbereich. Denn so sehr man auch die Arbeit von Geheimdiensten und Polizei über das Trennungsgebot und über nationale Grenzen hinaus verzahnen will – die Spitzel des Verfassungsschutzes haben ein ganz anderes Aufgabenprofil.
Bayern ist, so behauptet der von dort nach Berlin abgeschobene Horst Seehofer, ein Musterbeispiel für ganz Deutschland. Im Freistaat werden bundesweit die meisten Straftaten aufgeklärt – fast 65 Prozent. Es gibt im Freistaat rund 72 000 Polizisten, mehr als in jedem anderen Bundesland. Bei der Polizeidichte kommt Bayern auf 316 Polizisten pro 100 000 Einwohner. Unterstützt werden die Freistaatspolizisten unter anderem von der Sicherheitswacht. Die besteht aus knapp tausend Männern und Frauen, die ehrenamtlich in Parks, Wohnbereichen und Fußgängerzonen unterwegs sind, um Einbrecher und Taschendiebe abzuschrecken.
So geordnet, wie die inneren Verhältnisse sind, kann sich Seehofer also auf die Abwehr des Islam konzentrieren. Und auf Abschiebungen. »Ein ›Weiter so‹ möchte ich nicht«, sagte er. Man müsse neue Wege gehen und »vor allem Tempo machen«, sagte er am Freitag vor dem Parlament.
Derweil können seine Untergebenen ja noch ein wenig Ordnung in bestehende Versprechungen bringen. Die Großen Koalition will in der laufenden Legislaturperiode – die bis 2021 reicht – in einem »Pakt für den Rechtsstaat« jeweils rund 7500 neue Stellen für die Polizeien in Bund und Ländern schaffen. Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aber sollen 2018 allein in Seehofers Stammland 1800 Polizisten neu eingestellt werden. Bis 2020 kämen jährlich 500 zusätzliche Stellen hinzu. Zieht man Bayerns Planungen von denen des Koalitionsvertrages ab, so blieben 4700 Stellen für die restlichen 15 Bundesländer. Das wären pro Jahr und Bundesland durchschnittlich 78 neue Landespolizisten.
Wenn das all die Taschendiebe und Terroristen merken ... Alm-Öhi hilf!
»Wir wollen, dass Bayern beim Thema Rechtsstaat und Sicherheit die Nummer eins ist und bleibt.« Markus Söder (CSU), Seehofers Erbe als Bayerischer Ministerpräsident