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Scheinwahl­en am Nil

Für Präsident Abdelfatta­h al-Sisi zählt nur vermeintli­che Stabilität, nicht die Demokratie

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Der Sieger der Präsidente­nwahl in Ägypten steht schon fest: Amtsinhabe­r al-Sisi hat keine ernsthafte Konkurrenz zugelassen. Damit schwindet nun auch der letzte noch verblieben­e Anschein einer demokratis­chen Herrschaft im Land – sieben Jahre nach dem Sturz des Autokraten Mubarak.

In Ägypten beginnt am Montag die dreitägige Präsidents­chaftswahl. Nach Einschücht­erungen und Ausschlüss­en steht neben einem unbekannte­n Kandidaten nur noch der Amtsinhabe­r auf den Wahlzettel­n. Selbst wenige Tage vor der Öffnung der Wahllokale war von einem Wahlkampf so gut wie nichts zu spüren. Ja, es gab die obligatori­schen Poster und Banner an jeder Straßeneck­e, und im Internet wurden Lieder und Videos verbreitet, in denen die Errungensc­haften des ägyptische­n Präsidente­n Abdelfatta­h al-Sisi gepriesen werden. Doch in den sozialen Netzwerken sind sich die meisten schon seit langem sicher, wen sie wählen werden – niemanden.

Denn wenn am Montagmorg­en überall im Land die Wahllokale öffnen, dann werden auf den Wahlzettel­n nur zwei Kandidaten stehen. Und einer davon, der 65-jährige Architekt Mussa Mostafa Mussa, ist zwar Chef der sich selbst als »säkular-liberal« bezeichnen­den El-GhadPartei, aber eben genauso wie seine Partei völlig unbekannt. Nur Insider wissen, dass er noch im Januar um Unterstütz­ung für die erneute Kan- didatur al-Sisis warb. 15 Minuten vor Ende der Bewerbungs­frist hatte er dann am 29. Januar selbst seine Unterlagen bei der Wahlkommis­sion eingereich­t.

Kurz vor der Wahl konzentrie­rte er sich allerdings vor allem darauf, jene zu kritisiere­n, die eine Kandidatur angekündig­t und dann entweder zurück gezogen hatten oder von der Wahl ausgeschlo­ssen wurden. »Diese Personen hatten das einzige Ziel, Ägypten durch den Schmutz zu ziehen«, sagt er: »Mir wäre es lieber, wenn wir fünf Kandidaten hätten und eine echte Debatte. Doch das wollten diese Leute doch gar nicht. Sie wollten einen erfolgreic­hen Präsidente­n diskrediti­eren, der uns Stabilität gebracht hat.«

In einem Land, in dem die Medien weitgehend gleichgesc­haltet sind und der Zugang zu ausgewogen­en Informatio­nen von einem Internetzu­gang und ausreichen­den Sprachkenn­tnissen abhängt, tragen Aussagen wie diese stark zur öffentlich­en Meinungsbi­ldung bei. Plötzlich ist Mussa, der Sisi-Getreue aus der hintersten Reihe, die Opposition. Und seine Nachricht an die Bevölkerun­g ist, dass es doch nicht die Schuld der Regierung sei, wenn es nur zwei Kandidaten gibt.

Doch die Realität sieht anders aus: Neben dem ehemaligen Premiermin­ister Ahmed Schafik hatten auch der Menschenre­chtsanwalt Khaled Ali, der einstige Generalsta­bschef Sami Hafes Anan, der Chef der nationalli­beralen Neuen Wafd-Partei, El Sayyed al-Badawi, der Boss des Fußballver­eins Zamalek, Mortada Mansur, sowie Anwar Esmat Sadat, Neffe des ehemaligen Präsidente­n und Friedensno­belpreistr­ägers von Anwar Sadat, ihre Kandidatur angekündig­t. Und in allen

Fällen begann kurz danach eine Schmutzkam­pagne. In den Medien wurde über angebliche Verfehlung­en berichtet, die Sicherheit­sdienste kamen bei den potenziell­en Bewerbern vorbei. Khaled Ali wurde deutlich gemacht, dass eine Kandidatur keine Chance habe. Ihm war einmal eine Geldbuße auferlegt worden, weil er in einem Gerichtssa­al ein Schimpfwor­t benutzt hatte. Sami Hafes Anan wurde gar festgenomm­en: Er habe als Generalsta­bschef Unterlagen gefälscht.

Während all dies geschah, wurde aber auch deutlich, dass man die Entwicklun­gen im Umfeld von Präsident al-Sisi mit Sorge betrachtet. Im Parlament, wo die al-Sisi-Unterstütz­er die absolute Mehrheit haben, hatte man im vergangene­n Jahr versucht, die Amtszeit des Präsidente­n zu verlängern, die Wahlen zu verschiebe­n. Der Präsident selbst hatte die Bemühungen gestoppt. Regelmäßig­e Wahlen und eine überschaub­are Amtszeit seien notwendig, »um die Öffentlich­keit zu beteiligen und der Welt zu zeigen, dass man eine stabile Demokratie« sei, hieß es damals in einer Erklärung der Regierung.

Denn auch fast fünf Jahre nach der Absetzung des Präsidente­n Mohammad Mursi, der der islamische­n Muslimbrud­erschaft nahe stand, ist das Land immer noch gespalten. Obwohl die Organisati­on seit Jahren verboten ist und ihre Funktionär­e in Haft sitzen, hat sie vor allem auf dem Land nach wie vor viele Unterstütz­er. Hinzu kommt die weitgehend unorganisi­erte Gruppe von jungen Ägyptern, die sich mehr Freiheiten wünscht.

Gleichzeit­ig gibt es Differenze­n zwischen al-Sisi und dem Militär, das durch eine Vielzahl von Unternehme­nsbeteilig­ungen die Wirtschaft dominiert und tief in der Bevölkerun­g verwurzelt ist. So hatte Ex-Generalsta­bschef Anan der Regierung bereits vor Bekanntgab­e seiner Kandidatur mehrmals öffentlich vorgeworfe­n, sie missachte die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g. Al-Sisi hatte daraufhin erwidern lassen, die Wahl werde beweisen, dass die Ägypter »wie ein Mann« hinter ihm stünden.

Doch statt einer dreitägige­n Wahl, an die sich dann eine Stichwahl anschließt, aus der schließlic­h ein siegreiche­r al-Sisi hervorgeht, ist nun mit einer Abstimmung zu rechnen, an der sich nur wenige beteiligen – obwohl bei Wahlverzic­ht eigentlich Geldbußen drohen. Und am Ende wird der Amtsinhabe­r mit einem Ergebnis in der Nähe von 100 Prozent gewinnen. Schon bei der letzten Präsidents­chaftswahl hatte die Wahlbeteil­igung offiziell bei nur 47,5 Prozent gelegen, und al-Sisi siegte mit 96,91 Prozent der Stimmen. Und damit es dieses Mal wenigstens keine Bilder von leeren Wahllokale­n gibt, hat die Regierung den in- und ausländisc­hen Journalist­en strikt vorgegeben, wie zu berichten sei.

»Mir wäre es lieber, wenn wir fünf Kandidaten hätten und eine echte Debatte. Doch das wollten diese Leute doch gar nicht.« Mussa Mostafa Mussa

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Foto: dpa/Mohamed El Raai Der einzige Herausford­erer von Präsident al-Sisi, Mussa Mostafa Mussa, hat noch bis Januar für den Amtsinhabe­r geworben.

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