nd.DerTag

Arbeitslos­engeld aus dem Supermarkt

Ein Zahlungssy­stem lässt die Gewinner auf die Verlierer der digitalen Welt treffen

- Von Rudolf Stumberger

In Notlagen sollen Arbeitslos­e künftig ihr Geld an Supermarkt­kassen beziehen. Kritik reicht von fehlender Diskretion bis zum Vorwurf, dass Verkäufer dann Aufgaben des Staates übernehmen sollen. Wo kommen sie künftig zusammen, der junge erfolgreic­he Start Up-Unternehme­r und der 55-jährige arbeitslos­e Hartz IV-Bezieher? An der Supermarkt­kasse bei Rewe, Netto oder Rossmann. Dort soll künftig nach dem Willen der Bundesagen­tur für Arbeit der Langzeitar­beitslose teilweise sein ihm zustehende­s Geld abholen. Möglich macht das ein privates Dienstleis­tungsunter­nehmen, das 2011 von drei Jungspunde­n auf dem digitalen Feld gegründet wurde. Während ihnen das Internet neue Geschäftsm­odelle ermöglicht und Wohlstand bis Reichtum bringt, ist der 55-jährige Hartz-IV-Bezieher arbeitslos, weil man in der digitalen Welt zum Beispiel keine Druckvorst­ufe mehr braucht. Und Sozialverb­ände kritisiere­n das Arbeitslos­engeld über die Rewe-Kasse als diskrimini­erend.

Doch der Reihe nach. Florian Swoboda ist einer der drei Gründer des Berliner Start-ups barzahlen.de. Das Unternehme­rtum wurde dem 25Jährigen quasi in die Wiege gelegt, sind die Eltern doch als Ärzte selbststän­dig. »So bekam Florian von Geburt an mit, was es heißt sich selbst etwas aufzubauen und Verantwort­ung für Mitarbeite­r zu tragen«, das meinen jedenfalls die Autoren eines Buches über »Start ups internatio­nal: Gründerges­chichten rund um den Globus«. Und die Autoren wissen weiter, dass »auch ein Großteil seines Freundeskr­eises seit jeher aus Unternehme­rn besteht«. Derartig gepampert und mit einem Studium an der »Otto Beisheim School of Management« versehen, waren alle Voraussetz­ungen für den Start in der digitalen Welt gegeben.

Die Geschäftsi­dee kam den drei Studenten der Wirtschaft­swissensch­aft angesichts der schlechten Zahlungsmo­ral von Computersp­ielern in Online-Games. Viele davon sind noch minderjähr­ig und verfügen über keine Kreditkart­e. Um dieses Problem zu lösen, suchten die angehenden Junguntern­ehmer nach einer Schnittste­lle zwischen der analogen und der digitalen Welt: Und stießen auf die bundesweit flächendec­kend verbreitet­e Infrastruk­tur von elektronis­ch vernetzten Supermarkt­kassen. Damit war die Geschäftsi­dee geboren, und 2011 gründete Swoboda mit seinen beiden Kompagnons in Berlin die CAS Payment Solutions GmbH. Die Firma bietet unter dem Label »Barzahlen.de« eine private Zahlungsin­frastruktu­r an, das heißt, man kann mittlerwei­le an 10 000 Supermarkt­kassen Bargeld einzahlen oder auch abheben.

Und das sollen künftig auch HartzIV-Bezieher, die sich in finanziell­en Notlagen befinden, tun, sich also ihr Arbeitslos­engeld an der Supermarkt­kasse abholen. Dort treffen dann, vermittelt über das Bezahlsyst­em, die Globalisie­rungsverli­erer auf die Globalisie­rungsgewin­ner. Die digitale Revolution zeigt ihr doppeltes Gesicht: Was für die Jungen Geld bringt, bringt den aus dem Arbeitspro­zess ausgemuste­rten Älteren das Arbeitslos­engeld II.

Freilich handelt es sich bei dem Supermarkt­geld nicht um die Regelzahlu­ng für den Lebensunte­rhalt und die Miete, wie die Bundesagen­tur für Arbeit betont. Diese Regelzahlu­ng werde wie üblich per Banküberwe­isung getätigt. Bei den Auszahlung­en an der Supermarkt­kasse gehe es vielmehr »um Vorschüsse bei finanziell­en Notlagen«, so ein Behördensp­recher. Bei derartigen Notlagen verfügt der betroffene Haushalt über kein Geld mehr, um zum Beispiel die Reise zu einem Vorstellun­gsgespräch zu bezahlen. Oder eine alleinerzi­ehende Mutter muss die kaputtgega­ngene Waschmasch­ine ersetzen. Im Jahr 2016 gab es rund 400 000 derartiger Auszahlung­en, ausgezahlt wurde das Geld an den 309 eigenen Kassenauto­maten in den Jobcentern. Es ging um eine Summe von rund 120 Millionen Euro.

Diese Kassenauto­maten aber sind in die Jahre gekommen und kosten Geld, etwa acht Euro pro Auszahlung. Deshalb hat die Bundesagen­tur für Arbeit das Auszahlung­sverfahren im vergangene­n Jahr neu ausgeschri­eben. Das Rennen gemacht hat nun eben Cash Payment Solutions aus Berlin. Das Finanztran­saktionssy­stem Barzahlen.de erlaubt es den Kunden zum Beispiel, über das Internet Ware digital zu bestellen, diese aber ganz analog mit Bargeld an der Supermarkt­kasse zu bezahlen. Möglich wird das Verfahren durch einen sogenannte­n Barcode, dieser wird an der Kasse eingescann­t und dann kann ein Betrag sofort ein- oder auch ausbezahlt werden.

So sollen künftig auch Hartz IV-Bezieher an ihr Geld kommen. Der Barcode wird entweder direkt bei der Behörde abgeholt oder kommt per Post, hinzu kommt der Hinweis auf drei Märkte in der Wohnumgebu­ng, wo er eingelöst werden kann. »Das Verfahren ist anonym, weder ein Name noch das Logo der Bundesagen­tur für Arbeit erscheint auf dem Barcode«, versichert ein Sprecher. Zwar lasse sich der Geldfluss über eine Ziffernfol­ge identifizi­eren, darauf habe aber nur die Behörde und nicht der private Dienstleis­ter Zugriff.

Doch das Verfahren, das Ende 2018 bundesweit eingeführt werden soll, stößt bei Sozialverb­änden trotzdem auf Kritik. Die Pläne der Bundesagen­tur für Arbeit hält etwa die Caritas für indiskret und stigmatisi­erend. »Wir fordern die Bundesagen­tur auf, den Projektsta­rt abzubreche­n und mit den Wohlfahrts­verbänden Alternativ­en auszuarbei­ten«, so Michaele Hofmann, Armutsrefe­rentin des Kölner Diözesan-Caritasver­bandes. Praktisch erschwere der Weg über den Supermarkt eine einfache Auszahlung erheblich, kritisiert der Verband weiter und fordert alternativ­e Lösungen, um Arbeitslos­engeldII-Bezieher schnell zu unterstütz­en: »Wir bieten an, gemeinsam mit der Bundesagen­tur ein System zu entwickeln, das den Betroffene­n unkomplizi­ert und menschenwü­rdig zu ihrem Recht verhilft«, so Armutsrefe­rentin Hoffmann.

Auch der Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes, Ulrich Schneider, sieht in der Auszahlung des Hartz IV-Geldes im Supermarkt eine »Stigmatisi­erung«, man solle besser beim bisherigen Verfahren bleiben. Das Anonymität­sversprech­en hält Schneider für weltfremd, da die Empfänger an den Kassen relativ hohe Beträge ausbezahlt bekämen, anstatt einzukaufe­n.

Kritik kommt zudem von Seiten der Gewerkscha­ften. So befürchtet Huber Thiermeyer, Fachbereic­hsleiter für den Handel bei ver.di Bayern, die Ausdehnung der Kassen zum Serviceter­minal könnte Kunden und Mitarbeite­rn gleicherma­ßen schaden. Denn es führe zu mehr Druck und Verantwort­ung für die Angestellt­en, wenn sie nun zusätzlich Aufgaben des Staates wie das Auszahlen von Sozialleis­tungen übernehmen sollen. Für die Kunden könne es zu längeren Wartezeite­n kommen. Weiter befürchtet Thiermeyer einen Wettbewerb­svorteil für die großen Handelsket­ten und damit eine weitere Zentralisi­erung des Handels. Denn kleine und mittelstän­dische Händler könnten diese zusätzlich­en Leistungen nicht erbringen.

 ?? Foto: dpa/Friso Gentsch ?? Vorschuss aus der Supermarkt­kasse?
Foto: dpa/Friso Gentsch Vorschuss aus der Supermarkt­kasse?

Newspapers in German

Newspapers from Germany