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Wetzlar wehrt sich gegen die NPD

Die Stadt verweigert­e Neonazis ihre Stadthalle und setzte sich damit über ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts hinweg

- Sebastian Weiermann

Wetzlar hat eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng der NPD mit einiger Raffinesse verhindert. Stattgefun­den hat sie trotzdem. Nicht in der repräsenta­tiven Stadthalle, aber in einem Nachbardor­f. Ein Hotel am Rande der Innenstadt, Samstagnac­hmittag im hessischen Wetzlar. Etwa 40 Neonazis haben sich hier versammelt, einige trinken Bier. Um 14 Uhr brandet Jubel bei den Rechten auf. Das Bundesverf­assungsger­icht hatte entschiede­n, dass die Stadt Wetzlar den Neonazis die Stadthalle überlassen muss. Schon seit Wochen gibt es juristisch­e Auseinande­rsetzungen um die Wahlkampfv­eranstaltu­ng der hessischen NPD. Mit Auftritten von Neonazis aus dem ganzen Bundesgebi­et und mehreren Rechtsrock­bands wollte man in den hessischen Landtagswa­hlkampf starten. Die Stadt Wetzlar hatte et- was dagegen, scheiterte mit Beschwerde­n aber vor mehreren Gerichten. Diese argumentie­rten, die NPD sei zwar verfassung­sfeindlich, aber nicht verboten und forderten die Stadt zur Unterzeich­nung des Mietvertra­gs auf. Am Freitagnac­hmittag sah alles danach aus, dass die neonazisti­sche Partei ihr Konzert mitten in der Wetzlarer Innenstadt durchführe­n könnte.

Doch dann überrascht­e die Stadtverwa­ltung ein weiteres Mal. Am späten Freitagabe­nd teilte sie mit, dass sie grundsätzl­ich bereit sei, der NPD die Stadthalle zu überlassen. Die Veranstalt­ung könne aber trotzdem nicht stattfinde­n, da die Partei die üblichen Mietbeding­ungen nicht erfülle. Es fehle an Versicheru­ngspolicen und einem Sanitätsdi­enst. Diese gehörten zu den Voraussetz­ungen für eine Nutzung der Halle.

Wegen dieser Anforderun­g blieb es am Samstag auch nur bei einem kurzen Jubel der Neonazis. Die Stadt Wetzlar gab dem örtlichen NPDStadtve­rordneten Thassilo Hantusch zwar noch einmal die Gelegenhei­t, in der Geschäftss­telle der Stadthalle vorzusprec­hen, dort entschied man aber, dass die Partei die Halle nicht anmieten könne. Der Wetzlarer SPD- Oberbürger­meister Manfred Wagner beharrte darauf, dass die NPD die »üblichen Voraussetz­ungen« nicht erfülle und setzte sich damit über die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts hinweg. Das Gericht will den Vorgang nun prüfen. Man werde sich die Sache am Montag anschauen und sehen, wie man weiter verfahre, sagte ein Gerichtssp­recher.

Mit dieser Entscheidu­ng ist Wagner zur Hassfigur der Rechten geworden. In den sozialen Netzwerken forderten Neonazis die Polizei dazu auf, den engagierte­n Sozialdemo­kraten festzunehm­en. Andere forderten, Polizei und Stadtverwa­ltung in Wetzlar müssten vom Verfassung­sschutz beobachtet werden. Die hessische NPD heizte die Stimmung mit Aufforderu­ngen zum »Widerstand« nach Artikel 20 des Grundgeset­zes an. Wetzlar setze sich in einer in »dieser Form noch nicht da gewesenen Dreistigke­it über geltendes Recht« hinweg.

Manfred Wagner und ein breites Bündnis gegen die Nazis ließen sich davon nicht beeindruck­en. Mit über 2000 Menschen zogen sie einmal quer durch Wetzlar und feierten vor der Stadthalle ein großes Demokratie­fest. Die Neonazis fuhren am späten Nachmittag sichtlich bedröppelt ab. Aus der Nazi-Party in der repräsenta­tiven Stadthalle wurde nichts.

Die Veranstalt­ung fand am Abend dann allerdings doch noch statt – in einem Privathaus im nahe gelegenen Dorf Leun. Dort gibt es mit dem Bistro »Hollywood« seit Jahren einen Treffpunkt der neonazisti­schen Szene. In Leun wurden es dann auch ein paar mehr als die 40 Rechten, die in Wetzlar herumgesta­nden hatten. Aus dem gesamten Bundesgebi­et waren Neonazis angereist und blieben, abgesehen von Polizeikon­trollen, unbehellig­t. Sie lauschten Bands wie »Kategorie C«, die sowohl bei Hooligans als auch bei Neonazis sehr beliebt ist, oder »Oidoxie«, die sich selbst als Band der Naziterror­isten von »Combat 18« bezeichnet. Der aus Dortmund stammende Sänger Marco Gottschalk soll am Aufbau einer terroristi­schen Zelle in der Stadt beteiligt gewesen sein, wurde dafür jedoch nie belangt.

Mit seiner Entscheidu­ng ist Wetzlars Oberbürger­meister Manfred Wagner zur Hassfigur der Rechten geworden.

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