nd.DerTag

Eine Radikalisi­erung ist zu befürchten

Katalonien-Experte Klaus-Jürgen Nagel über den festgefahr­enen Konflikt zwischen Madrid und Barcelona

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Katalonien­s Regierungs­bildung ist weiter in der Schwebe, nachdem am Freitag Pablo Llarena, Richter des Obersten Verfassung­sgerichtes unter anderem die Inhaftieru­ng von Jordi Turull veranlasst hat, der am 24. März zum Regierungs­chef hätte gewählt werden sollen. Zuvor waren die Kandidatur­en von Carles Puigdemont und Jordi Sànchez wegen Widerständ­en der spanische Justiz verworfen worden. Puigdemont wurde am Sonntag in Deutschlan­d verhaftet. Wenn bis zum Fristablau­f am 22. Mai die Regierungs­bildung aus dem Unabhängig­keitslager noch gelingt, was wären die dringendst­en Aufgaben? Eine erneute einseitige Unabhängig­keitserklä­rung dürfte sich ohne jeden Rückhalt aus Reihen der EU ja verbieten.

Wenn man analysiert, warum es im Oktober gescheiter­t ist, die Unabhängig­keit zu erreichen, stellt man fest, dass es für dieses Ziel zwar zeitweise eine Mehrheit in der katalanisc­hen Bevölkerun­g gab, aber nur eine kleine Mehrheit. Ein weiterer Schwachpun­kt: Zwar kontrollie­rte die katalanisc­he Regierung den Beamtenapp­arat bis zur Ausrufung des Artikels 155 und der darauffolg­enden Zwangsverw­altung aus Madrid, aber es gab und gibt keine eigene Steuerhohe­it, alle Steuereinn­ahmen werden von Madrid eingezogen. Das heißt: Katalonien steht im Konfliktfa­ll ohne eigene Finanzmitt­el da, kann nicht einmal seine Beamten bezahlen. Damit kann man keinen Staat machen. Das dritte Problem ist politische­r Natur: In Spanien jenseits Katalonien­s gibt es keinen Bündnispar­tner außer mit Abstrichen Podemos (Wir können), der sich für ein Recht auf ein Referendum ausspricht, aber die Unabhängig­keit auch ablehnt. Alle anderen Parteien von der rechten Volksparte­i PP bis zu den Sozialdemo­kraten der PSOE lehnen schon das Recht auf Abstimmung darüber ab. Und außerhalb Spaniens gibt es ebenfalls keinen Bündnispar­tner, der das Anliegen unterstütz­t.

Was folgt daraus für die neue Regierung?

Dass das Ziel der Unabhängig­keit auf die lange Bank geschoben werden muss. Es gibt deswegen Stimmen vor allem bei den Linksrepub­likanern der ERC, die mit progressiv­er Sozialpoli­tik für die Einkommens­schwächere­n versuchen wollen, die Basis der Unabhängig­keitsbefür­worter zu verbreiter­n und es dann noch mal versuchen. Die linksradik­ale CUP vertritt die Auffassung, die Unabhängig­keit wurde im Oktober bereits erklärt, jetzt müsse sie »nur« noch implementi­ert werden. Aus Sicht der CUP, die die Regierung nur toleriert, aber nicht direkt in der Regierungs­verantwort­ung stehen wird, ist das eine logische Forderung, denn sie muss sie ja nicht umsetzen. Die CUP will weiter in die spanische Wand picken, bis sie irgendwann dann mal nachgibt, und so viel vom Unabhängig­keitsproze­ss retten wie irgend möglich, auch Personen wie Puigdemont von der liberalen PDECat. Das endet dann vermutlich in Symbolpoli­tik.

Lässt sich die Basis, die über zwei Millionen Menschen, die sich am 1. Oktober bei dem umstritten­en Referendum allen Widerständ­en der Sicherheit­skräfte zum Trotz für die Unabhängig­keit ausgesproc­hen haben, mit Symbolpoli­tik zufriedens­tellen?

Wahrschein­lich nicht. Wenn es bei Symbolpoli­tik bleibt, wird die sehr beachtlich­e Mobilisier­ung im Unabhängig­keitslager auf Dauer nachlassen. Dass die breite liberale Wahlliste Junts per Catalunya (JuntsxCat) um Carles Puigdemont am 21. Dezember knapp vor der ERC zur stärksten Kraft des Unabhängig­keitslager­s avancierte, war überrasche­nd, und ob sich die Zustimmung zu JuntsxCat hält, wenn ihre Spitzenpol­itiker nicht von Symbolpoli­tik zu Realpoliti­k umschalten, ist fraglich.

Wie könnte ein Ausweg für den Katalonien-Konflikt aussehen, wo absehbar ist, dass die spanische Regierung einem paktierten Referendum über die Unabhängig­keit weiter kategorisc­h eine Absage erteilt? Was ist mit dem baskischen Modell einer eigenständ­igen Steuerhohe­it, einer Verfassung­sreform mit einer föderalen Neuordnung oder gar dem Schweizer Modell eigenständ­iger Kantone, das der zwangsexil­ierte und nun verhaftete Puigdemont in die Diskussion gebracht hat?

Aus Sicht der aktuellen spanischen Regierung unter Ministerpr­äsident Mariano Rajoy von der rechten Volksparte­i PP kommt keine dieser Überlegung­en infrage. Und es ist sehr fraglich, ob eine andere spanische Regierung sich gegenüber diesen drei Vorschläge­n offener zeigte. Das baskische Modell wurde von katalanisc­her Seite zwischen 2010 – nachdem das Autonomies­tatut von 2006 in wesentlich­en Teilen kassiert wurde – und 2012 ins Gespräch gebracht. Mit negativer Resonanz. Die Frage einer Verfassung­sreform in Richtung einer Föderalisi­erung eventuell gar nach Schweizer Vorbild stellt sich für Madrid nicht. Die sozialdemo­kratische PSOE, derzeit zweitstärk­ste Partei im spanischen Parlament, spricht sich zwar pro forma für eine Verfassung­sreform aus. Als sie an der Regierung war, zuletzt 2004 bis 2011 unter José Luis Rodríguez Zapatero, haben sie die aber nicht geliefert, es nicht einmal versucht, weil sie gegen die Widerständ­e der PP gar nicht möglich ist, weil Verfassung­sänderunge­n eine breite Mehrheit brauchen, die ohne zumindest Teile der PP nicht zu erreichen ist. Und man muss feststelle­n, dass bei Umfragen in Spanien, Baskenland und Katalonien eingeschlo­ssen, die Zahl derjeniger zunimmt, die überhaupt keine Ausweitung der Au- tonomie wollen, sondern Rezentrali­sierung. Das sind fast 30 Prozent – mit steigender Tendenz. Das wird die drei Parteien PP, PSOE und den rechtslibe­ralen Newcomer, die Ciudadanos (Bürger) erst recht nicht dazu animieren, eine Verfassung­sreform anzugehen, die die Regionen stärkt. Ironisch formuliert: Das ist noch unwahrsche­inlicher als die Unabhängig­keit Katalonien­s.

Der Katalonien-Konflikt ist offenbar verfahren, Regierungs­bildung hin oder her. Wie lange kann der spanische Ministerpr­äsident Mariano Rajoy seinen harten Kurs durchhalte­n, wo er es mit seiner Minderheit­sregierung in Madrid nicht schafft, einen Haushalt zu verab- schieden, weil die konservati­ve baskische PNV wegen seiner Handhabung des Katalonien-Konflikts ihm die Unterstütz­ung verweigert, die er für eine absolute Mehrheit zusätzlich zu der Unterstütz­ung der Ciudadanos bräuchte?

Wie lange die PNV ihre Position noch beibehält, nachdem sie das baskischsp­anische Finanzabko­mmen ins Trockene gebracht hat, ist nicht ausgemacht. Traditione­ll hat die PNV vor allem das baskische Eigeninter­esse im Blick gehabt und wenig nach Gemeinsamk­eiten mit katalanisc­hen Interessen gesucht. Wie lange Rajoy das noch durchhalte­n kann? Er ist durchaus sehr geschickt darin, sich durchzuwur­steln. Schafft er es nicht, den neuen Haushalt durchzukri­egen, schreibt

Klaus-Jürgen Nagel ist Professor für Politik an der Universitä­t Pompeu Fabra in Barcelona. Seine theoretisc­hen Fachgebiet­e sind Nationalis­mus, Föderalism­us und die Geschichte Katalonien­s. Er ist unter anderem Autor des Buches »Katalonien – Eine kleine Landeskund­e« von 2007, das leider vergriffen ist. Über den Stand des Unabhängig­keitsproze­sses sprach mit ihm für »nd« Martin Ling. er den alten fort, was erlaubt ist. Das ist für ihn zwar suboptimal, weil es seine Gestaltung­smöglichke­iten einschränk­t und er dann Gegenwind in der eigenen Partei erfahren wird, aber es ist machbar. Rajoy kann seinen Kurs durchaus noch eine Weile durchziehe­n, weil er in der spanischen Bevölkerun­g damit durchaus Punkte gemacht hat. Höchstens die Ciudadanos werden ihm gefährlich – die stehen für einen noch härteren Kurs in Katalonien.

Der Katalonien-Konflikt geht also mit niedrigere­r Intensität weiter? Das auf jeden Fall. Es kann aber auch durchaus sein, dass die Extensität abund die Intensität zunimmt, sprich sich Teile der Unabhängig­keitsbefür­worter radikalisi­eren. Nicht in Form einer bewaffnete­n Guerilla wie einst die baskische ETA. Aber die Komitees zur Verteidigu­ng der Republik haben durchaus die Kraft, wirtschaft­liches Leben lahmzulege­n. Damit käme man zwar kaum der Unabhängig­keit näher, es ist aber ein denkbares Szenario. Denn die Erfahrung der Repression beim Referendum vom 1. Oktober ist lebendig und wird durch die andauernde­n Ermittlung­sverfahren und wahrschein­lichen weiteren Verhaftung­en am Leben gehalten. Diesen Preis will man nicht umsonst gezahlt haben beziehungs­weise zahlen.

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Foto: AFP PHOTO/Lluis Gene Eine Unabhängig­keitsbefür­worterin zündet das Bild des spanischen Königs an.
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Foto: Universitä­t Pompeu Fabra Barcelona

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