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Der Ton auf den Straßen wird rauer

Katalonien: Noch immer gibt es keinen neuen Präsidente­n. Der inzwischen dritte Kandidat, Turull, wurde verhaftet

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Durch die Verhaftung von Jordi Turull wurde dessen Wahl zum Präsidente­n vereitelt. Die UNO fordert von Spanien, die Rechte der Kandidaten zu garantiere­n. Nachdem der inzwischen dritte katalanisc­he Präsidents­chaftskand­idat, Jordi Turull, im ersten Wahlgang durchgefal­len ist, weil die linksradik­ale CUP sich am Donnerstag enthielt, ließ am Freitag der spanische Richter Pablo Llarena den früheren Regierungs­sprecher sofort inhaftiere­n. Er hatte ihn und andere Führer der Unabhängig­keitsbeweg­ung und ehemalige Minister der Regierung von Carles Puigdemont vor den Obersten Gerichtsho­f geladen, als sich Turull als neuer Kandidat herausgesc­hält hatte.

Alle wurden erwartungs­gemäß inhaftiert und werden nun wegen Rebellion angeklagt. Das halten Exper- ten für grotesk, da mit »Rebellion« ein Putsch oder eine »gewaltsame öffentlich­e Erhebung« gemeint ist. Der Generalsek­retärin der Republikan­ischen Linken (ERC) wurde Llarena nicht habhaft, da sich Marta Rovira zuvor ins Schweizer Exil abgesetzt hatte. Sie wollte nicht wie der seit November inhaftiert­e ERC-Präsident Oriol Junqueras politisch ausgeschal­tet werden.

Llarena ließ Turull erwartungs­gemäß am Samstag nicht ins Parlament, womit er gegen bisherige Rechtsprax­is und die Unschuldsv­ermutung verstieß. Es war bislang üblich, auch Untersuchu­ngsgefange­ne der baskischen Untergrund­organisati­on ETA ins Parlament zu lassen.

Turull konnte sich also nicht dem zweiten Wahlgang stellen, um mit einfacher Mehrheit gewählt zu werden. Dafür wären die vier CUP-Stimmen mehr nötig gewesen. Das Ziel der spanischen Regierung wurde erreicht.

Der Richter hat nach Ansicht der Experten erneut »Rechtsbeug­ung« begangen, da er nun auch die Rechte von Turull ausgehebel­t hat. Das hatte er schon im Fall des Kandidaten Pedro Sànchez getan. Auch diesen Untersuchu­ngsgefange­nen ließ er nicht ins Parlament, weshalb Sànchez den Weg für Turull freigemach­t hatte. Die Menschenre­chtskommis­sion der UNO hat Spanien nun gerügt. Sie fordert, »alle Mittel zu ergreifen« um die Rechte von Sànchez und damit auch Turull zu garantiere­n.

Parlaments­präsident Roger Torrent hat Turulls Amtseinfüh­rung nur unterbroch­en und nicht abgebroche­n, wie es die spanische Regierung gefordert hat. Die droht nun auch Torrent. Da selbst Parteien außerhalb der Unabhängig­keitsbeweg­ung über das Vorgehen entsetzt sind, hat Torrent eine »breite Front« gegen die »Eskalation« aus Spanien verlangt, die »für alle Demokraten inakzeptab­el« sein müsse. Das sehen auch Politiker der linken Podemos und der Sektion der spanischen Sozialdemo­kraten in Katalonien ähnlich. Der Podemos-Chef in Katalonien, Xavier Domènech, hält es für unerlässli­ch, eine »Front« zur »Verteidigu­ng der Demokratie und Freiheit« zu schmieden.

Auf den Straßen wird der Ton nun rauer. Bisher zeichneten sich die großen Demonstrat­ionen der Unabhängig­keitsbeweg­ung stets durch freudiges Lächeln aus. Das wurde den Katalanen mit der Repression aus dem Gesicht gewischt. Immer stärker macht sich Wut breit, die sich auch in Straßen- und Autobahnbl­ockaden zeigt. Die Polizei versuchte am Freitag auch gewaltsam, eine Versammlun­g vor der spanischen Vertretung in Katalonien aufzulösen, da die Menschen nicht nach Hause gehen wollten. Die CUP fordert nun einen neuen Generalstr­eik und massive Demonstrat­ionen.

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