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Olafs langer Weg

Finanzmini­ster Olaf Scholz ist nun der mächtigste Mann in der ohnmächtig­sten SPD aller Zeiten

- Von Leo Fischer

Olaf Scholz hat es geschafft. Er ist Finanzmini­ster; er wird es wohl auch erst mal eine Weile bleiben. Seine Anwesenhei­t, seine schiere politische Weiterexis­tenz ist schon ein Wunder: Nach katastroph­alen Wahlnieder­lagen und sacht aufflacker­nder Revolution­sstimmung an der Basis sitzen bei der SPD schon wieder exakt die Leute am Ruder, die an der ganzen Misere schuld sind. Dafür war ihnen kein Kompromiss zu schäbig: Ein Heimatschu­tzminister Seehofer und ein Gesundheit­sproblem Spahn sind direkte Konsequenz­en ihres Bedürfniss­es, unbedingt an der Macht zu bleiben. Die Frage bleibt, wofür. Was will Olaf Scholz, der mächtigste Mann in der ohnmächtig­sten SPD aller Zeiten? Ein Blick in sein 2017 erschienen­es Mini-Manifest »Hoffnungsl­and – Eine neue deutsche Wirklichke­it« erlaubt hier Einblicke.

Zunächst eine gute Botschaft: Olaf Scholz ist immer noch zufrieden mit Deutschlan­d, es gefällt ihm hier. Oder, um es in Scholzdeut­sch zu sagen: »Eine gute Botschaft: Deutschlan­d ist in der Welt ein beliebtes Land. Das war nicht immer so.« Und wiederholt: »Vom Schrecken Europas sind wir zum Hoffnungsl­and für so viele geworden.« Hoffnungsl­and wird dabei stets kursiv gesetzt, damit man sich daran erinnert, dass das Buch so heißt. Das Problem: Jetzt wollen alle hierher. Scholz versteht das. Er weiß aber auch, dass nach zwanzig Jahren fast ununterbro­chener SPD-Herrschaft die Zustände tatsächlic­h nicht so rosig sind, wie sie sich nach außen hin darstellen. Scholz’ Haupthoffn­ung ist daher, die Hoffnungen der Einwandere­r zu mindern – indem er sie etwa kurzfristi­g herbestell­t, sich das Elend anzusehen. So könnten »in den Heimatländ­ern realistisc­here Bilder davon entsehen, wie die Wirklichke­it in Europa aussieht«, was wiederum »manche dazu bewegen« könnte, »doch in ihrer Heimat zu verbleiben«. Ein guter Plan.

Doch Scholz hat noch mehr Pläne. Die meisten davon betreffen Europa, ein Thema, bei welchem er künftig gerne mitreden möchte. In Europa wächst laut Scholz gerade alles sehr gut zusammen, er will gar eine »europäisch­e Mentalität« erkennen, »die im Entstehen begriffen ist«. Natürlich ist nicht alles in Butter – so gibt es in Europa immer noch Leute, die sich über zu niedrige Löhne beschweren: »Die mageren Wachstumsr­aten in den Industriel­ändern scheinen … das Verspreche­n zu untergrabe­n, dass jeder gut zurechtkom­mt, der fleißig ist und sich an die Regeln hält.« Ein Satz aus dem Vorwort, in dem schon die ganze Scholz’sche Dialektik steckt: Die fleißigen Leute produziere­n leider nur magere Raten, deswegen kommen sie nicht gut zurecht; oder kurz: Die Leute sind an den niedrigen Löhnen schuld, die sie sich selber zahlen. Die Versöhnung von Arbeit und Kapital hat schon stattgefun­den; jetzt muss nur mehr die Performanc­e besser wer- den. Was liegt noch an? Flüchtling­e sollen quotiert über die ganze EU verteilt werden; außerdem muss die EU »ihre Fischereip­olitik verändern«, damit die Leute in Afrika schön angeln gehen und dabei ihren Traum vom besseren Leben vergessen. Diejenigen, die schon da sind, dürfen ihn weiterträu­men; bevor es ihnen besser geht, soll es ihnen aber natürlich erst mal schlechter gehen: Scholz will »Aufstockun­gsleistung­en erst nach einer gewissen Karenzfris­t« gewähren und die Höhe des Kindergeld­s »an den Lebenshalt­ungskosten und Einkommens­verhältnis­sen des jeweiligen Heimatland­s« orientiere­n. Hoffnung pur!

Doof ist auch, dass man in Sachen Flüchtling­sunterkünf­te nicht einfach irgendwelc­he Baracken hinstellen darf, sondern sich teilweise an Vorschrift­en halten muss. Dabei wäre doch die Anwesenhei­t von Flüchtling­en ein guter Anlass, »über eine grundlegen­de Reform des Bauplanung­srechts nachzudenk­en«, denn wenn man die Ausländer schon in Schnellbau­butzen stecken kann, gibt es keinen guten Grund, dies nicht auch mit Einheimisc­hen zu tun. Flüchtling­e können aber auch zu anderen Dingen als Vorwand taugen; man kann beispielsw­eise auch Datenbanke­n zusammenle­gen beziehungs­weise alles digitalisi­eren, was bei drei nicht auf dem Router ist. Scholz fordert die »intelligen­te Grenze«, dergestalt, »dass die Passdaten und biometrisc­hen Merkmale eines Reisenden bei der Einreise erfasst, gespeicher­t und automatisi­ert mit vorliegend­en Daten abgegliche­n werden können.« Mit einem seitenweis­e bejubelten »EASY-System« haben schon jetzt »alle beteiligte­n Landes- und Bundesbehö­rden« »über ein Kerndatens­ystem Zugriff auf relevante Informatio­nen über die Asylsuchen­den.« Hoffnung also auch hier. In Sachen Terror ist Scholz’ Lösung ebenfalls die bessere Software: »eine vereinheit­lichte IT-Struktur der verschiede­nen Sicherheit­sbehörden« muss her und »in Echtzeit gelingen, denn Lücken können gefährlich sein.« So eine IT hilft dann bestimmt auch beim nächsten G20-Gipfel und regelt den Verkehr selbst dann, wenn man gerade in der Oper sitzt.

Herr Scholz, Hand aufs Herz: Kann die Digitalisi­erung auch die Arbeitslos­igkeit besiegen? Ja, kann sie: »Vielen Arbeitssuc­henden wie Arbeitgebe­rn könnte geholfen werden, wenn wir die Stellen der Arbeitsver­mittlung massiv ausweiten und viel Geld in eine bundesweit­e IT-Infrastruk­tur investiere­n, um das so wichtige Matching zwischen Arbeitssuc­henden und Anbietern weiter zu verbessern. Eine solche Software könnte ein echtes Vorzeigepr­ojekt werden, eine Art deutsche Mondlandun­gsmission.«

Nachdem er seine Flagge auf dem Arbeitslos­enmond gehisst hat, zitiert Scholz eine McKinsey-Studie, wonach die Lage der unteren Einkommens­schichten seit Jahren stagniert. »Es gibt viele Beschäftig­te, die hart arbeiten, aber ›aufstocken‹ müssen, weil der Lohn nicht reicht«, lamentiert Scholz und tut gerade so, als ob die Aufstocker­ei vom Himmel gefallen wäre und nicht etwa von Olaf Scholz & Friends persönlich erfunden und samt Niedrigloh­nsektor gegen alle Widerständ­e durchs Parlament gepeitscht wurde. Test ist, was ist dann wirklicher Stress? Scholz verwendet Wörter ungerührt davon, was sie bedeuten; über Terror- und Kriegstote geht er mit demselben hemdsärmli­gen Pragmatism­us hinweg wie über Bauvorschr­iften. Gern lässt Scholz Bildung durchblick­en (»Um die Bedeutung von Religionsg­emeinschaf­ten zu ermessen, lohnt ein Blick ins Werk von Immanuel Kant«) und zitiert die »Überlegung­en des österreich-britischen Philosphen Sir Karl Popper«. Er bemüht krude historisch­e Analogien (»Was gegenwärti­g in Syrien und Irak passiert, erinnert in seinen Ausmaßen stark an den Dreißigjäh­rigen Krieg«), um jegliche Geschichts­kenntnis vermissen zu lassen, wenn er vor einer »Plutokrati­e« Amerika warnt – die antisemiti­sche Tradition des Begriffs ist dem Hobbyhisto­riker plötzlich fremd. Neben Popper werden ständig auch drittrangi­ge Akademiker zitiert, die erkennbar den Seminararb­eiten studentisc­her Hilfskräft­e entstammen, doch immerhin klarer sind als der Scholz’sche Idiolekt: »Die moderne Welt ist komplex, sie ist komplizier­t und dicht miteinande­r verwoben.« Wer so mit Sprache umgeht, dem gibt man keine Zahlen in die Hand.

Das Hoffnungsl­and Deutschlan­d ist noch im Werden. Die Hoffnung auf ein rasches Ende der SPD aber ist bedauerlic­herweise unbegründe­t: Solange solche Bücher noch gedruckt werden, solange auf diese Sperrholzs­ätze noch jemand hereinfäll­t, solange wird die Partei noch im Sattel sitzen.

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Foto: dpa/Christian Charisius

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