nd.DerTag

Kaffee mit Merkel und Socken ins Gefängnis

Zum ersten Mal seit seiner Freilassun­g aus türkischer Haft trat Deniz Yücel öffentlich auf

- Von Jörn Schulz

Die Entstehung eines Buches ist immer ein komplizier­ter und zeitrauben­der Prozess. Erst recht, wenn der Autor in Isolations­haft sitzt und sich dennoch, wie die Herausgebe­rin Doris Akrap schildert, nicht allein um die Auswahl der geeigneten Texte, sondern auch um allerlei Details kümmert und etwa unermüdlic­h mahnt, ein überzählig­es Leerzeiche­n aufzuspüre­n. Und er zunächst nicht einmal einen Stift hat, so dass er mit einer Plastikgab­el und vom Gefängnise­ssen abgezweigt­er roter Soße improvisie­ren muss. »Es gibt immer einen Weg«, sagt Deniz Yücel. »Hauptsache, man ergibt sich nicht.«

Die Begrüßung Yücels war notgedrung­en eine stehende Ovation, da es im Festsaal Kreuzberg im gleichnami­gen Berliner Stadtteil nur wenige Sitzgelege­nheiten gibt, doch hätte sich das Publikum wohl auch freiwillig erhoben für den minutenlan­gen Applaus. Es war ein Heimspiel. Man musste Yücel nicht einmal persönlich kennen, um gleicherma­ßen gerührt und erfreut über das Happy End gewesen zu sein, das es ihm erlaubte, seine Frau Dilek Mayatürk Yücel in die Arme zu schließen, wie ein Foto seines Anwalts Veysel Ok dokumentie­rt. In einem Film wäre das kitschig, im wirklichen Leben aber ist es schön zu sehen, dass doch noch einmal etwas gut ausgehen kann.

Es gehe ihm wirklich gut, versichert Deniz Yücel an diesem Abend. Vor allem, weil er zwar fast während seiner gesamten einjährige­n Haft von anderen Gefangenen isoliert war, es aber »viele Menschen gab, die hinter mir standen«. Unter anderem eine Solidaritä­tsbewegung, die Autokorsos, Konzerte und Lesungen organisier­te, sein Anwalt Ok, der nicht ohne persönlich­es Risiko auch andere Journalist­en und Dissidente­n verteidigt, und Dilek Mayatürk Yücel, die lästige, aber notwendige Aufgaben übernahm, wie mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel Kaffee zu trinken und ihm Socken ins Gefängnis zu schicken. Wichtig für ihn sei auch gewesen, »mich publizisti­sch aus dem Knast zu Wort zu melden«; die dort entstanden­en Texte sind im Buch enthalten.

Am 14. Februar 2017 war Yücel inhaftiert worden. Weshalb, wollte die türkische Staatsanwa­ltschaft lange Zeit nicht verraten. Erst kurz vor seiner Freilassun­g am 16. Februar dieses Jahres legte sie die Anklagesch­rift vor, die ihm »Propaganda für eine Terrororga­nisation« und »Aufstachel­ung des Volkes zu Hass und Feindselig­keit« zur Last legt. Einige der inkriminie­rten Texte sind im Buch dokumentie­rt. So absurd die Vorwürfe in der Sache sind – es ist verständli­ch, dass Yücel reaktionär­en Türken und Deutschen gleicherma­ßen verhasst ist. Als Journalist und Satiriker spürt er ihre schmutzige­n Geheimniss­e auf und zögert nicht, sie auszuplaud­ern. Die türkische Staatsanwa­ltschaft wirft ihm allen Ernstes die Wiedergabe eines Witzes vor, der den türkisch-nationalis­tischen Kurdenhass illustrier­t. Im AfD-Milieu empört man sich über die Satire »Super, schafft sich ab«.

Zumindest die deutsche Rechte wird hoffentlic­h weiterhin Gelegenhei­t haben, sich zu empören. In die Türkei kann Yücel vorläufig nicht zurückkehr­en, der Prozess, in dem ihm bis zu 18 Jahre Haft drohen, wird weitergefü­hrt. Mehr als 150 Journalist­en sind in der Türkei weiterhin inhaftiert. Weil sie ihre Arbeit getan haben, sagt Yücel: »Das ist die Aufgabe von Journalism­us. Denjenigen, die die Macht haben, auf die Pelle zu rücken.« Deutschlan­d

Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchst­exte. Herausgege­ben und mit einem Vorwort von Doris Akrap. Edition Nautilus, 224 Seiten, br., 16 €

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