Drittmeinung aus Berlin
Die nähere Zukunft des Katalonienkonflikts liegt in deutschen Händen
Berlin. Die deutsche Bundesregierung hat mit der Verhaftung von Carles Puigdemont den Katalonienkonflikt auf dem Tisch, auch wenn sie sich dagegen verwahrt. Die größte katalanische Tageszeitung »La Vanguardia«, die wie alle großen Medien Kataloniens der Unabhängigkeit wenig abgewinnen kann, sieht es positiv, dass nun ein Dritter sich ein Urteil zum Fall Puigdemont bilden müsse. Bisher hat die spanische Zentralregierung abgelehnt, dass sich eine dritte Partei in den Konflikt zwischen Madrid und Barcelona einschaltet.
Die Bundesregierung gibt sich unterdessen formal im Katalonienkonflikt verfassungstreu und neutral. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, dass der Konflikt um Katalonien »innerhalb der spanischen Rechts- und Verfassungsordnung« gelöst werden müsse. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten daher auch das Vorgehen der spanischen Regierung in diesem Konflikt unterstützt. Er betonte: »Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat.« Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte, zunächst liege dieses Verfahren in den Händen der schleswig-holsteinischen Behörden. »Die ersten Schritte sind jetzt erst mal rein juristische und die gilt es jetzt erst mal abzuwarten.«
Der erste juristische Schritt war am Montag die Identitätsfeststellung von Carles Puigdemont durch das Oberlandesgericht in Schleswig. Mit einer Entscheidung über eine mögliche Auslieferung von Puigdemont nach Spanien wird vor den Osterfeiertagen nicht gerechnet.
In Barcelona wurden am Montag die Hinterlassenschaften der Zusammenstöße von Demonstranten und Polizei beseitigt, bei denen es zu vielen Verletzten kam. In Katalonien herrscht über das Unabhängigkeitslager hinaus Unverständnis über die juristische Bearbeitung eines politischen Konflikts.
Herr Hunko, der ehemalige katalanische Präsident Carles Puigdemont wurde am Sonntag in Deutschland verhaftet – aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (EuHB). Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb daraufhin, Deutschland habe nun seinen »ersten politischen Gefangenen«. Sehen Sie das auch so?
Ja, ich denke, das kann man schon so sagen. Puigdemont war katalanischer Präsident, es gab Neuwahlen im Dezember, das Unabhängigkeitslager mit ihm als Spitzenkandidaten hat wieder gewonnen, die Mehrheit des Parlaments wollte ihn erneut zum Präsidenten wählen. Und er konnte ja nur nicht einreisen nach Spanien, weil er dort festgenommen worden wäre.
Das ist natürlich ein hochpolitischer Vorgang. Und wenn so jemand hier in Deutschland festgenommen wird, ist er ein politischer Gefangener. Meines Erachtens ist der Europäische Haftbefehl politisch motiviert. Es geht ganz offensichtlich darum, eines politischen Gegners habhaft zu werden. Der Europäische Haftbefehl ist ja erst am Freitag von spanischer Seite aus erneuert worden.
Ja, Freitagabend sogar erst.
Und zurückgezogen worden war er, weil Belgien, wo Puigdemont seit Oktober im Exil lebt, deutlich gesagt hatte, man werde ihn nicht verhaften. Warum wurde der Haftbefehl denn ausgerechnet jetzt erneuert?
Belgien hat gesagt, Rebellion ist kein europäischer Straftatbestand. Es gibt ja in diesem Europäischen Haftbefehl 32 Straftatbestände, dazu gehört Rebellion nicht, dazu gehört übrigens auch Hochverrat nicht. Und ich habe die Befürchtung – aber das ist natürlich nur Spekulation – dass Spanien die Gelegenheit genutzt hat, um jetzt noch mal einen Europäischen Haftbefehl auszustellen, weil es wusste, dass Puigdemont in Finnland ist.
Also glauben Sie, dass es Zufall war, dass er nicht in Finnland oder Dänemark verhaftet wurde?
Die Finnen haben gesagt, sie seien seiner nicht habhaft geworden, er sei ih- nen entwischt. Das kann man nun glauben oder nicht, vielleicht wollten sie es auch gar nicht. Er hatte eigentlich einen Flug gebucht von Finnland nach Belgien, hatte sich aber dann für den Landweg entschieden, vielleicht mit der Befürchtung, am Flughafen festgenommen zu werden. Das ist alles Grauzone. Ich habe den Sachstand beim Justizministerium angefordert, um hier Klarheit zu bekommen.
Es heißt, Deutschland erwäge die Auslieferung an Spanien nicht we- gen des Vorwurfs der Rebellion, weil das ja kein Straftatbestand im Europäischen Haftbefehl ist, wie Sie schon gerade erklärt haben, sondern wegen des Vorwurfs, Puigdemonts Regierung habe Gelder veruntreut zur Durchführung des von Spanien für illegal erklärten Unabhängigkeitsreferendums. Ist diese Begründung juristisch tragbar, wenn man weiß, dass er in Spanien dann doch wegen angeblicher Rebellion angeklagt wird?
Ich halte diese Konstruktion mit der Veruntreuung der Gelder für ein Hilfs- argument. Ich habe mir die 32 Punkte, die im Rahmenbeschluss des Europäischen Haftbefehls genannt werden angeschaut – Veruntreuung von Geldern ist da auch nicht enthalten. Doch gibt es die Konstruktion, dass man einen Straftatbestand hat, der auch in Deutschland ähnlich behandelt wird. Und da sehe ich den Versuch, das juristisch so zu konstruieren, dass eine Auslieferung möglich ist. Wie gesagt, ich halte das für sehr sehr konstruiert und in erster Linie politisch motiviert.
Noch eine Frage zu der Verhaftung. Der spanische Geheimdienst soll die deutsche Polizei darüber informiert haben, wo Puigdemont ist. Daraufhin habe dann die Polizei zugegriffen, heißt es. Wenn die Polizei solche Informationen bekommt und ein Europäischer Haftbefehl liegt vor – hat dann die Exekutive eine andere Wahl, als die Verhaftung durchzuführen?
Nein. Die Beamten vor Ort, die setzen das erstmal nur um. Auf der Ebene kann man das schwer kritisieren. Mein Eindruck ist aber, dass es hier eben doch eine sehr enge Abstimmung gegeben hat zwischen deutschen und spanischen Behörden im Vorfeld und sicherlich auch mit politischem Segen.
Ist die spanische Justiz ihrer Einschätzung nach eine politische Justiz, oder ist da ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert, wie die deutsche Bundesregierung argumentiert?
Das ist ja ein Grundproblem des Europäischen Haftbefehls. Es wird per se davon ausgegangen, dass alle Staaten entwickelte Rechtsstaaten sind. Und das sehe ich bei Spanien eingeschränkt. Spanien hat nach wie vor noch franquistische Traditionen, insbesondere in der Justiz. Es gibt immer wieder auch Verurteilungen Spaniens zum Beispiel vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Es gab jetzt kürzlich auch noch mal von den Vereinten Nationen scharfe Kritik an der spanischen Justiz. Also da kann ich dieses Vertrauen überhaupt nicht nachvollziehen, das von Seiten der deutschen Regierung der spanischen Justiz entgegengebracht wird.