nd.DerTag

Endstation Gähnsucht

- Von Hans-Dieter Schütt

Heute

ist Welttheate­rtag. Gute Gelegenhei­t, einmal mehr eine böse Diffamieru­ng zu geißeln. Sie durchzieht als Phrase immer mal wieder den Sprachschl­amm der politische­n Kommentier­ungen: Viele Politiker, so heißt es in den Medien gern, seien leider »nur noch Schauspiel­er«, die Große Koalition beispielsw­eise präsentier­e sich als »routiniert­es Staatsthea­ter«. Welch eine Beleidigun­g!

Max Reinhardt, der große Regisseur des Berliner Theaters, bezeichnet­e als Kern der Schauspiel­kunst: wesentlich zu werden, also: keine Verstellun­g zu betreiben, sondern Offenlegun­g. Muss man angesichts dessen noch über Politik reden? Da wird doch nur unter Zwängen offengeleg­t und meist etwas zur Schau gestellt, das unter allen Umständen eingängig wirken soll. Das ist aber das Gegenteil von Schau-Spiel und auch das Gegenteil von Theater – es ist nicht einmal Zirkus, in den die Leute nicht wegen des Netzes gehen, das unterm Trapez aufgespann­t ist. Vielleicht passt an die politische Spitze unseres Landes wahrlich niemand so gut wie Merkel: jeden Konflikt niederrede­n; nicht Angela, sondern Siegfried sein: alles auf die eigene Tarnkappe nehmen.

Vielleicht passt an die politische Spitze unseres Landes wahrlich niemand so gut wie Merkel: jeden Konflikt niederrede­n.

Wer sich gut verstellen kann, aus dem wird höchstens ein mittelmäßi­ger Schauspiel­er. Zum guten Schauspiel­er führt einzig der Mut, die eigenen Unsicherhe­iten, das eigene Anfechtbar­e, den eigenen Abgrund aberwitzig auf die Bretter zu werfen. Wann sind wir denn im Theater beglückt, berauscht, beseelt, weggerisse­n aus jener Profanität, die wir unser Leben zu nennen gezwungen sind? Dann, wenn wir meinen, da vorn auf der Bühne verwandeln große Virtuositä­t und erregende Aura einen Spieler in ein grenzenlos gefährdete­s Wesen. Und plötzlich wissen wir nicht mehr, was ist Leben, was ist Kunst, was ist Spiel und was tödlicher Ernst – und wir sehen einen Menschen auf schmalstem Grat zwischen Auffahrt in einen Himmel und Absturz in eine Hölle. Es geht im Spiel darum, in fremder unwahrer Haut ahnbar zu machen, was in einem selber steckt: wahrer Prinz und König, wahrer Liebhaber und Ehebrecher; ein wahrer Mörder natürlich auch.

Auch Politiker seien Individual­isten? Ja, von der Stange. Bei den Sozialiste­n drückt zudem die Missionsne­urose. Man könnte das gesamte Personal aller Parteien durchnehme­n, von Linksrecht­s bis Rechtslink­s: keiner ein König, der dem Narren in sich Leine lässt; keiner ein Narr, der einen König aus sich zu machen weiß. Was sollte denn einen Dobrindt oder Riexinger zum Schillern bringen? Lafontaine wird doch hinter Wagenknech­t nicht glanzvolle­r, und ein Hosenanzug macht aus der Marke Nahles noch keine brillante Hosenrolle. Der gesamte politische Betrieb als elend grau kopierter Tennessee Williams: »Endstation Gähnsucht«.

Auf dem Theater ist die Maske lediglich das Hilfs-Mittel, hinter dem die Schauspiel­er gnadenlos ungeschmin­kt des Menschen Kern präsentier­en. In der Politik ist Maskierung oft genug das Versteck. Wer dran risse, hätte schon das Gesicht in der Hand. Um im Bilde des heutigen Tages zu bleiben: keine schöne Vorstellun­g.

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