Worte sind wie Salz
Gedichte von Yitzhak Laor – eine Auswahl aus mehr als drei Jahrzehnten
Diese Gedichte des israelischen Schriftstellers und Dichters Yitzhak Laor, bilderreich und aussagestark, sind von so eindrücklicher Schönheit, dass man sofort aus ihnen zitieren möchte, eine Versuchung, der auch die Herausgeber bei dem Titel des Bandes mit einer Zeile aus dem Gedicht »Über die Rede« erlegen sind. Das ist natürlich kein Zufall, denn immer, in all diesen Gedichten – von den Anfängen 1982 bis heute – ist die Sprache (»die Rede«) Mittel und Instrument, die Schönheit der gefährdeten (und geschundenen) israelischen Erde zu preisen und ihr im gleichen Atemzug zu misstrauen. Hier gibt es kein L´Art pour l´Art, keine Lust an Wortspielerei, hier ist der moralische Anspruch viel zu hoch, um Worte zu vergeuden. »Worte sind der Verband, Worte/ sind die Wunde, Worte sind/ das Salz«, so heißt es in dem Gedicht »Tod des Erzählers«.
»Ich schreibe Gedichte um/ nicht zunichte zu werden«, heißt es an anderer Stelle. Das Wort »Schmerz« drängt sich auf, schließt die Allgemeingültigkeit der Aussage dieser Dichtung über den Dichter und sein Land hinaus mit ein: »Als wäre da eine Schuld, die ich nicht bezahlt habe.« Glück und Schmerz werden »nur kurz aufleuchten und weggewischt«, denn »auch wir werden wie Insekten hingerafft im Regen, jeder zu seiner Zeit« – so wie der im »Jom-Kippur- Yitzhak Laor Krieg« gefallene Freund Peretz Kidron. Der Spannungsbogen neigt sich vom Ferneren hin zum ganz Unmittelbaren, zum konkreten Geschehen im eigenen Land.
Yitzhak Laor, 1948 in einem spannungsgeladenen Siedlungsgebiet in Israel geboren, ist bei uns bisher vor allem als Romanautor bekannt gewesen (»Steine, Gitter, Stimmen« und »Ecce homo«). Seine nun hier vorgelegte Dichtung weitet unseren Blick und weist unsere »Spurensu- che« in zwei nur scheinbar konträre Richtungen, zum einen zur Geschichte und dem konkreten politischen Engagement des Dichters seit Jahrzehnten, dem Boden seiner Heimat, des Landes Israel, durch drei Kriege und die Siedlungspolitik in »Erdfetzen« zerfällt und eine kommende »Frühlingsnacht« mit sich gleichenden Erinnerungen von Frauen und Männern, Juden und Arabern Utopie bleibt, denn »Gäste, Fremde sind wie (alle) im Land«. Zum anderen weisen die Gedichte ins persönliche Spannungsfeld, kreisen um die eigene Wahrnehmung von Beziehungen zum Vater, zur Mutter, zur Geliebten, vor allem zum Sohn (»Es stehe auf zur Tora: mein Sohn«, so ein Gedicht-Titel), und immer wieder artikulieren sie Ängste und die Suche nach Geborgenheit.
Die »Anschaulichkeit und poetische Kraft« von Laors Dichtung speist sich, so die in Jerusalem lebende Übersetzerin Anne Birkenhauer, aus dem historischen Sprachschatz der jüdischen Traditions-Literatur, der Bibel (ihrer Sprache, ihrer Geschichten, ihrer Bilder), des Talmud und der Gebete. Zum anderen spricht Laor das (ebenfalls aus der Tradition hervorgegangene) moderne, »israelische« Hebräisch mit den entsprechenden radikalen, auch provozierenden Denkbildern. Das zusammen gibt der Sprache eine prophetische Wucht.
Dass Anne Birkenhauer selbst in eine Art Dialog mit dem Autor und seiner Sprache tritt, kann man beim Lesen dieser klaren, ansprechenden Texte mehr als nur ahnen. Das verführt dazu, noch einmal in eines der späteren Gedichte mit dem Titel »Hier« hineinzuhören: »Stunden schon gießt sich der Abend/ Licht in Licht und verlischt nicht/ Kornblumen wogen/ ihr Blau schwillt an, wird überfluten/ ertränken die Welt auf dem Boden/ des Dunkels, erst dann wird die Zeit ausgesetzt...« Vor dem Ende der Zeit aber muss sich der Mensch mit einem »Becher Hellblau vom Himmel« und einer »Handvoll winziger Heidelbeeren« begnügen.
»Ich schreibe Gedichte um/ nicht zunichte zu werden«
Yitzhak Laor: Auf dieser Erde/ die in Schönheit/ gehüllt ist/ und Wörtern/ misstraut. Gedichte hebräisch und deutsch. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Mit einem Nachwort von Michael Krüger. Matthes & Seitz, 240 S., geb., 28 €