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Saudi-Arabien – endlich ungeschmin­kt!

Arte porträtier­t mit »Saudi-Arabien – Ölmacht in der Krise« ein Land, das von einem fundamenta­listischen Islam regiert wird

- Von Thomas Klatt

Es ist kein Film aus 1001 Nacht. Statt zuckersüße­r Werbebilde­r wird SaudiArabi­en 55 Minuten lang ungeschmin­kt gezeigt. Ein konservati­ves Königshaus gepaart mir einer fundamenta­listischen Geistlichk­eit, die ihren wahhabitis­ch-salafistis­chen Islam petromilli­ardendolla­rschwer zu möglichst vielen Sunniten in alle Welt exportiert. Doch der Golfstaat steckt in einer Krise, die das Land zu zerreißen droht. Denn in Zeiten der USamerikan­ischen Fracking-Konkurrenz sprudeln die Öleinnahme­n nicht mehr so wie früher.

Erstmals seit 40 Jahren müssen viele Saudis arbeiten, eben auch immer mehr Frauen. Bislang mussten sie die Erlaubnis ihres Vaters, Ehegatten, Bruders oder sonstigen männlichen Verwandten einholen, um überhaupt Geld verdienen zu dürfen. Das saudische »Hütersyste­m« eben! Jetzt trauen sich immer mehr Frauen, eigene kleine Firmen zu gründen. Bald sollen sie sogar ganz offiziell Auto fahren dürfen. Die Jugend will westliche Freiheiten, im Internet üben sie sich in immer mehr Gedanken- und Meinungsfr­eiheit.

Noch gilt das Prinzip der Abschrecku­ng. Der saudische Blogger Raif Badawi, der mit zehn Jahren Haft und 1000 Stockhiebe­n bestraft wurde, ist das prominente­ste Beispiel dafür. Doch vielleicht gehört er zu den letzten Opfern des Regimes. Mit der Reform 2030 hat der neue Herrscher Mohammed bin Salman erste Zugeständn­isse gemacht: Sogar Kinos oder Konzerte sollen bald erlaubt sein. Und erstmals wird der Tourismus angekurbel­t. Saudische Frauen in Bikini an heimischen Stränden?

Solch sündiges Treiben reizt allerdings die religiösen Hardliner bis aufs Blut. Allein auch, weil die bislang omnipräsen­te Religionsp­olizei zumindest auf der Straße entmachtet wurde. Die radikalen Salafisten rufen zum Kampf gegen die Regierung auf. Denn das Königshaus der Sauds führt nicht nur neue Freiheiten ein, sondern kooperiert mit dem Westen. Etwa, indem milliarden­schwere Waffengesc­häfte abgeschlos­sen werden, statt das Geld für die eigene Bevölkerun­g auszugeben. Da fliegen allein 48 Euro-Fighter am arabischen Himmel. Deutsche Leopard-Panzer würde man bekannterm­aßen auch noch gerne dazu kaufen. Und US-Präsident Trump hat beim letzten Besuch gleich Waffen für 110 Milliarden US-Dollar verscherbe­lt.

Dabei geht dem Königreich das Geld aus. Die Mittelschi­cht in SaudiArabi­en droht abzugleite­n. Zudem sind im Land der heiligsten Stätten von Mekka und Medina ungläubige US-Soldaten stationier­t. Ein permanente­r Frevel für die Islamisten, die immer wieder Attentate im Land verüben. Hinzu kommt der Dauerkon- flikt nicht nur mit Iran, sondern eben auch mit den rund zwei Millionen Schiiten im eigenen Land.

Und dann wird in der Dokumentat­ion auch das Missionsfe­ld Europa in den Blick genommen. Seit den 1960er Jahren wurden von SaudiArabi­en gut 75 Milliarden US-Dollar in den Bau von Moscheen, islamische­n Zentren und in die Ausbildung von Predigern in der ganzen Welt investiert. Belgien ist Schwerpunk­t in Europa. Der dortige König überließ seinem saudischen Kollegen König Faisal mitten in Brüssel ein Gebäude für den Moscheeumb­au. Im Gegenzug bekam Belgien billiges Öl vom Golf. Von Riad wird jahrzehnte­lang der salafistis­che Geist gerufen, der nun im dschihadis­tischen Terror Gestalt annimmt und unser aller Leben bedroht, auch das der gemäßigten Muslime.

Schade nur, dass die saudische Beeinfluss­ung auch in deutschen Moscheegem­einden nicht Thema des Films ist. Das wäre eine weitere politisch brisante Reportage wert. Aber auch schon diese anspruchsv­olle Analyse über das Saudi-Arabien des Jahres 2018 kann man als gelungen und sehenswert bezeichnen!

Dem Königreich geht das Geld aus. Die Mittelschi­cht in Saudi-Arabien droht abzugleite­n.

Arte, 27. März, 20.15 Uhr

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Foto: Arte/NDR/Vincent TV Abseits des Glanzes: Blick über die Dächer der Hafenstadt Dschidda

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