Langer Marsch
Im kolumbianischen Departamento Cauca lässt die Umsetzung des Friedensabkommen weiter auf sich warten
In Kolumbien ist es ein weiter Weg bis zum Frieden.
Im Süden Kolumbiens, unterhalb der Millionenmetropole Cali, liegt das Departamento Cauca. Der Verwaltungsbezirk gehört zu den ärmsten Kolumbiens, aber auch zu den nach wie vor umkämpften. Die Zahlen sind eindeutig und Todd Howland, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte in Kolumbien, hat bereits mehrfach darauf hingewiesen: Trotz des Friedensabkommens wird Kolumbien für Menschenrechtsverteidiger nicht sicherer, sondern unsicherer. Dabei bezieht sich Howland genauso wie die Kolumbianische Juristenkommission oder Human Rights Watch auf eine Quelle: Somos Defensores. Die kolumbianische Menschenrechtsorganisation dokumentiert, beobachtet und hilft dabei, dass sich Menschenrechtsaktivisten besser schützen, holt sie bei Bedarf aber auch aus den riskanten Regionen heraus, wenn sie bedroht werden. Das ist leider immer öfter der Fall. »Trotz des Friedensabkommens zwischen FARC und Regierung sind gerade die Gebiete, wo die FARC lange dominierte, die riskantesten«, so Carlos A. Guevara, Koordinator von Somos Defensores.
»Da die FARC jetzt in diesen Gebieten nicht mehr präsent ist, werden die sozialen Probleme noch sichtbarer. Die Konflikte um Wasser, um Land, aber auch um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, ob Gold oder Nickel, nehmen zu, nicht nur im Cauca«, so Guevara. Cauca heißt der Verwaltungsbezirk im Süden Kolumbiens, südlich der Millionenmetropole Cali, wo seit Jahren die Zahl der Morde an Menschenrechtsaktivisten besonders hoch ist.
»Wir leben in der gefährlichsten Region Kolumbiens. Vergangenes Jahr wurden 40 Aktivisten im Cauca ermordet. In diesem Jahr sind es bereits 32«, erklärt Miguel Fernández von Cima (Comité de Integración del Macizo Colombiano). Für Miguel Fernández, Umweltschützer, Dozent und Menschenrechtsaktivist in Personalunion, ist das Teil der tristen Realität im Cauca. Mit der Unterzeichnung des
Friedensabkommens hat die Gewalt gegen politisch und sozial aktive Organisationen im Cauca nicht ab-, sondern zugenommen. »Hier gibt es strukturelle soziale Probleme, die der Staat lösen muss. Das sind die eigentlichen Ursachen der Gewalt«, mahnt Fernández, der gemeinsam mit seiner Kollegin Marcela Cabrera dreimal im Jahr einen Bericht zur Situation der Menschenrechte im Cauca herausgibt. Armut und Perspektivlosigkeit aufgrund des Fehlens ländlicher Entwicklungskonzepte und sozialer Investitionen sind vor allem gemeint.
Mit der Implementierung des Friedensabkommens sollten Perspektiven geschaffen werden, denn die Regierung von Juan Manuel Santos hat sich darin schließlich verpflichtet, soziale Investitionen und solche in die Infrastruktur vorzunehmen. »Doch nicht nur in diesem Bereich kommt die Regierung ihren Verpflichtungen nicht nach«, kritisiert Carlos A. Guevara von Somos Defensores unisono mit Fernández. Das hat Folgen, denn aufgrund der miserablen Infrastruktur in Teilen des Verwaltungsbezirks haben die Bauern kaum Chancen, ihre Produkte heil zu den Märkten in den größeren Städten wie Santander de Quilichao, Guapi oder Popayán zu bringen. Wegen diesem strukturellen Problem gehört Cauca gemeinsam mit dem weiter südlich liegenden Nariño zu den Regionen, in denen überdurchschnittlich viel Koka angebaut wird.
Der Kokaanbau sorgt für Konflikte rund um die Routen, auf denen Ko- kapaste oder auch Kokain aus der Region abtransportiert wird. Dies ist ein weiterer Faktor für die überproportional hohe Quote an Gewalttaten. Hinzu kommt, dass die Konflikte im Kontext des Bergbaus, der in die Region drängt, zunehmen, so Miguel Fernández von Cima. »Der Bergbau und die Logik der Drogenökonomie stellen hier den Frieden in Frage.«
Während es an alternativen Agrarprodukten fehlt, die dem lukrativen Kokablatt Konkurrenz machen, erkunden Bergbauspezialisten kanadischer, US-amerikanischer oder auch chinesischer Unternehmen potenzielle Vorkommen auch in Schutzgebieten. »Selbst im Macizo Colombiana, einem von der UNESCO gelisteten Biosphärenreservat, sind sie unterwegs«, ärgert sich Fernández. Der 59-Jährige engagiert sich für den Erhalt der Region, wo mehrere große Flüsse wie der Cauca oder der Río Magdalena entspringen und hält die Regierungspolitik, die sehr freizügig mit Bergbaukonzessionen umgeht, für fahrlässig. »70 Prozent des Trinkwassers Kolumbien stammen aus dieser Gegend«, erklärt er. Quellen sind die Hochmoore, die Páramos, die es in der Region gibt und die große Mengen Wasser speichern. Diese einzigartige andine Berglandschaft haben Minenunternehmen im Visier, die dort Gold und andere Metalle vermuten. Gegen diesen Umgang mit den natürlichen Ressourcen gehen Umweltaktivisten wie Fernández auf die Straße, aber auch viele indigene Aktivisten. Die sind im CRIC, dem Regionalen Indigenen Rat des Cauca, organisiert, der die Zentralregierung in Bogotá immer wieder mit Demonstrationen und Straßenblockaden auf die Nichterfüllung von Verträgen aufmerksam macht.
Die Zentralregierung lässt in Sachen Umsetzung des Friedensabkommens viele Wünsche offen. Dazu gehört auch die Nichterfüllung von Landzusagen über rund 48 000 Hektar, die Bogotá dem CRIC zugesagt, aber eben nicht übergeben hat. Land ist knapp im Cauca, weil sich das Gros der Ackerflächen in den Händen einiger weniger Familien befindet, kritisiert Cima-Aktivistin Marcela Cabrera. So haben viele der indigenen Kaffeebauern in der Region der Pro- vinzstadt Caldono oft weniger als einen Hektar zum Kaffeeanbau zur Verfügung. »Zu wenig, um davon leben zu können«, schildert Rafael Enrique Perdomo Pancho vom CRIC eines der Probleme, unter dem nicht nur die indigenen, sondern auch die afrokolumbianischen Bauern des Cauca leider – die ungerechte Landverteilung.
Die Landverteilung ist in vielen Regionen, wo die FARC bis zur Unterzeichnung des Friedensabkommens am 24. November 2016 aktiv war, extrem unausgewogen. Eine der Kernursachen für den langjährigen Konflikt Kolumbien, so Carlos A. Guevara von Somos Defensores, und auch einer der Gründe, weshalb viele Bauern im Cauca auf Produkte umsatteln, die mehr Geld in die chronisch leeren Portemonnaies bringen.
Vor allem Koka und Marihuana sind es und genau diese Produkte will die Regierung mit Substituierungsprojekten nicht nur im Cauca, sondern auch im angrenzenden Nariño und anderen Regionen verbannen. Doch die bisherigen Erfolge sind bescheiden. »Im Cauca sind gerade zwei Experten für die Koordination der Substituierungsprogramme verantwortlich«, sagt Fernández und zieht missbilligend die Stirn in Falten. Missmanagement, zu wenig gut ausgebildetes Personal und eine extrem schlechte Vorbereitung der Maßnahmen, machen Menschenrechtsaktivisten dafür verantwortlich.
»Der staatliche Apparat ist zu lange auf den Krieg ausgerichtet gewesen«, so Fernández. Der Schwenk auf eine Friedensstrategie fällt schwer und Blockaden innerhalb von Ministerien halten viele Experten für realistisch. »Es ist kaum zu erklären, dass viele Maßnahmen im Rahmen des Friedensabkommens nicht oder nur zeitverzögert umgesetzt werden – das deutet nicht nur auf schlechte Vorbereitung hin«, urteilt der Direktor der kolumbianischen Juristenkommission Gustavo Gallón. Eine Einschätzung, die auch Carlos A. Guevara in Bogotá teilt. Allerdings hält er es auch für möglich, dass sich dahinter auch eine Strategie verbirgt. Die Strategie, das Friedensabkommen zum Scheitern zu bringen, wie ehemalige Comandantes der FARC monieren. Für die Menschen im Cauca sorgt das für permanente Unsicherheit, vor allem auf dem Land. So starben Ende Dezember bei einem Massaker in der Gemeinde Suárez, im Norden des Verwaltungsdistrikts, sechs Menschen. Laut der lokalen Bevölkerung als Folge einer sogenannten Limpieza Social, einer sozialen Säuberung. Hintergrund ist, dass die Dörfer dort in einem strategisch wichtigen Drogenkorridor liegen, der gleich von mehreren bewaffneten Akteuren beansprucht wird: von neuen bewaffneten Banden, von abtrünnigen FARC-Rebellen, von Paramilitärs und der kleinen Guerillaorganisation EPL, nicht zu verwechseln mit der ELN. Die unterschiedlichen Akteure kämpfen um die Vorherrschaft in der Region und vor den Gefechten flohen laut UN-Angaben mindestens 166 indigene Familien aus der Region. Nichts Neues im Cauca, wo Vertreibungen und Morde von Zivilisten Teil der Geschichte und eben auch der Gegenwart sind. Daran hat sich auch mit dem Friedensabkommen zwischen FARC und Guerilla nichts Wesentliches geändert. »Die Dimension der Kampfhandlungen ist eine andere, aber von einer Befriedung der Region sind wir weit entfernt«, urteilt Carlos A. Guevara und nimmt einen Anruf auf dem Notfallhandy entgegen – vielleicht wieder mal aus dem Cauca.
»Wir leben in der gefährlichsten Region Kolumbiens. Vergangenes Jahr wurden 40 Aktivisten im Cauca ermordet. In diesem Jahr sind es bereits 32.« Miguel Fernández von Cima