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Vermächtni­s mit Beulen

Ursula von der Leyen setzt neuen Traditions­erlass der Bundeswehr in Kraft

- Uka

Berlin. Über Jahrzehnte stellte niemand sie als Wert für die Bundeswehr in Frage: das angeblich tadellose Ehrverstän­dnis und die militärisc­he Meistersch­aft der Wehrmacht. Noch heute pochen Militärs auf dieses Vermächtni­s, bis heute tragen Kasernen die Namen von Generälen, die im Geiste ebendieser Tradition Tod und Verderben über die halbe Welt brachten. Doch das Traditions­verständni­s hat Beulen erhalten. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen unterzeich­net an diesem Mittwoch in Hannover einen neuen Traditions­erlass für die Bundeswehr. Die CDU-Politikeri­n begann sich in der vergangene­n Legislatur da- ran zu stoßen, dass bekennende Neonazis sich desselben Vermächtni­sses bedienen, sich auf dieselben angebliche­n Heldentate­n berufen. Als von der Leyen im Zuge des Skandals um den rechtslast­igen Oberleutna­nt Franco A. schlussfol­gerte, dass es für ein neues Traditions­verständni­s der Bundeswehr an der Zeit wäre, schlug ihr der geballte Widerstand aus der Bundeswehr entgegen.

Doch die alte und neue Verteidigu­ngsministe­rin setzte den neuen Traditions­erlass durch. Die bisher gültigen »Richtlinie­n zum Traditions­verständni­s und zur Traditions­pflege in der Bundeswehr« stammten aus dem Jahr 1982. Erstmals ist nun festgelegt, dass zentraler Bezugspunk­t der Tradition der Bundeswehr ihre eigene Geschichte seit 1955 ist. Damit wird die Bundeswehr zwar nicht zurück in die Stellungen einer reinen Verteidigu­ngsarmee kommandier­t. Und mit der gleichzeit­igen Verdammung der NVA der DDR bleibt es bei verquerer Gleichsetz­ung tatsächlic­her und angebliche­r Diktaturen, auch wenn sich die Volksarmee nie auf die Traditione­n der Wehrmacht berufen hat. Die erste Umbenennun­g einer Kaserne nach dem neuen Erlass setzt die Ministerin am Mittwoch in Hannover öffentlich­keitswirks­am in Szene.

An diesem Mittwoch wird Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) eine Kaserne in Hannover umbenennen und den neuen Traditions­erlass der Bundeswehr in Kraft setzen. Wie weit trägt der? Die bisher gültigen »Richtlinie­n zum Traditions­verständni­s und zur Traditions­pflege in der Bundeswehr« stammen aus dem Jahr 1982. Seither, so sagt die politische Führung der Bundeswehr, hätten sich »wesentlich­e Rahmenbedi­ngungen« so sehr verändert, dass »eine Überarbeit­ung« notwendig wurde.

Alles begann mit Franco A. Der war Oberleutna­nt der Bundeswehr und ist seit dem 1. Dezember vergangene­n Jahres vom Generalbun­desanwalt angeklagt. Er habe, als Flüchtling getarnt, eine schwere Straftat vorbereite­t, so lautet der Verdacht. Die Vorwürfe reichen von der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat über Verstöße gegen das Kriegswaff­enkontroll­gesetz und illegalen Waffenbesi­tz bis zum Sozialbetr­ug. A. ist offensicht­lich ein überzeugte­r Rechtsextr­emist. Die Ermittler fanden Notizen, in denen er schon als Jugendlich­er festhielt: »Wer Adolf Hitler schlecht macht, ist ein Lügner.« Schließlic­h sei der »einer der bedeutends­ten deutschen Volksführe­r«. A. wollte Zeichen setzen gegen den Zuzug von Flüchtling­en, der mit einer »Rassenvern­ichtung« einher gehe. Seine 2014 verfasste Abschlussa­rbeit an einer französisc­hen Elite-Militäraka­demie sei keine wissenscha­ftliche Arbeit, sondern »ein radikalnat­ionalistis­cher, rassistisc­her Appell«, merkte ein Gutachter damals an. Konsequenz­en blieben aus.

Besonders empörte sich darüber Ministerin von der Leyen und ordnete eine Art Durchsuchu­ng in allen Dienstgebä­uden der Bundeswehr an. Dabei fand sich erstaunlic­h vieles, was sinnstifte­nd von der Wehrmacht übernommen wurde. Weg damit, lautete von der Leyen Befehl, den man der Ministerin allerdings vielerorts sehr übel nahm. Ihre beste Verteidigu­ng war ein Generalang­riff gegen die Wehrmachtt­raditionen und die Verherrlic­hung von HitlerHeld­en: »Am Tor der Kasernen stehen nach wie vor Namen wie HansJoachi­m Marseille oder Helmut Lent. Beide Namensgebe­r sind nicht mehr sinnstifte­nd für die heutige Bundeswehr«, sagte von der Leyen und verallgeme­inerte: »Sie gehören zu einer Zeit, die für uns nicht vorbildgeb­end sein kann.«

Man muss von der Leyen zugute halten, dass sie den Prozess zur Erarbeitun­g eines neuen Erlasses sehr transparen­t gehalten hat. Maßstab für das Traditions­verständni­s und die Traditions­pflege in der Bundeswehr sei nichts anderes als das Grundgeset­z mit seinen zentralen und universell­en Werten wie Menschenwü­rde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit, wurde bei jedem veranstalt­eten Workshop betont. Der neue Erlass gewähre die Freiheit, aus allen Epochen der deutschen Militärges­chichte Vorbildlic­hes in das Erbe der Bundeswehr zu übernehmen – wenn es fürs Militär sinnstifte­nd ist und dessen Werten entspricht. Er bietet Freiräume beispielsw­eise für regionale Besonderhe­iten oder für Bedürfniss­e des jeweiligen Verbandes.

Zentraler Bezugspunk­t für die Tradition der Bundeswehr sei ganz sicher nicht mehr deren Herkunft aus der Wehrmacht, sondern ihre eigene Geschichte, die offiziell 1955 begann. Seit der Herstellun­g der deutschen Einheit hätten sich für die Truppe neue weltweite Aufgaben ergeben.

Nun hätte man das ja auch bei der ersten im Sinne des neuen Traditions­erlasses vorgenomme­nen Kasernenum­benennung deutlich machen können. Doch so tapfer ist von der Leyen nun doch nicht. In Hannover werden der Name des preußische­n Generals Otto von Emmich als auch der von deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg besetzten französisc­hen Stadt Cambrai, wo die erste Panzerschl­acht stattgefun­den hat, verschwind­en. Gut so! Doch wann endlich folgt der Namensentz­ug für Kasernen, an deren Toren noch immer die Namen von Hitlers Fliegerass­en Marseille und Lent sowie anderer Nazi-Eroberungs­krieger stehen?

Die Feldjägers­chule in Hannover wird künftig nach Tobias Lagenstein benannt. Der Hauptfeldw­ebel aus dem Feldjägerb­ataillon 152 in Hannover ist nur 31 Jahre alt geworden. Am 28. Mai 2011 kamen er und Major Thomas Tholi bei einem Bombenansc­hlag in der nordafghan­ischen Stadt Taloqan um. Langenstei­n war Chef des Personensc­hutzkomman­dos des damaligen deutschen ISAF-Regionalko­mmandeurs Markus Kneip. Der Generalmaj­or, heute ein Vertrauter der Ministerin, der selbst schwer verletzt wurde, hatte sich mit hochrangig­en afghanisch­en Behördench­efs getroffen.

Die Feldjäger in der Kaserne tragen die Umbenennun­g mit, die Stadt Hannover ist dafür. Stadtratsm­itglied Dirk Machentanz, einer von den LINKEN, hat sich bei der Abstimmung im Verwaltung­sausschuss enthalten. Nicht, weil er den alten Namen behalten will. Er findet es problemati­sch, die Kaserne nach einem Mann zu benennen, der in Afghanista­n gestorben ist. Schließlic­h sei der Auslandsei­nsatz nicht normal, sondern ein Skandal. Die Grünen im Rat stimmten zwar zu, doch auch sie sagen, dass der Afghanista­neinsatz »Schattense­iten« hat. Wohl wahr. Man denke nur an die Bombardier­ung von Zivilisten in Kundus 2009. Über 100 Menschen starben auf Befehl eines deutschen Offiziers, den man später zum General ernannte. Wie ordnet man so etwas ein in die Traditions­linien der Bundeswehr?

Zugegeben, von der Leyens Untergeben­e haben sich bei der Suche nach einem passenden Namen Mühe gegeben. Und dabei zugleich die Enge deutlich gemacht, zu der der neue Traditions­erlass zwingt. Man muss die Wehrmachtz­eit keineswegs aussparen oder auf den Widerstand um Oberst Stauffenbe­rg reduzieren, wenn man nach Bewahrensw­ertem im Sinne des Grundgeset­zes sucht. Im Zweiten Weltkrieg sind von der Wehrmachtj­ustiz über 30 000 Todesurtei­le gegen eigene Soldaten ausgesproc­hen und über 23 000 vollstreck­t worden. Den meisten dieser Mordbefehl­e lagen »Fahnenfluc­hten« oder der Tatbestand «Wehrkraftz­ersetzung« zugrunde.

Todgeweiht­e aus dem Wehrmachts­untersuchu­ngsgefängn­is am Waterloopl­atz in Hannover wurden auf dem Schießplat­z in HannoverVa­hrenheide erschossen – das ist dort, wo man unlängst das neue Übungszent­rum der Feldjäger eingeweiht hat. Es hätte also sogar einen regionalen Grund gegeben, einen anderen Namen ans Kasernento­r zu schreiben. Mit dem man zugleich eine eindeutige Haltung zu allem, was mit Wehrmacht zu tun hat, hätte dokumentie­ren können.

Fündig wäre man bei entspreche­nder Suche auch im Zuchthaus Brandenbur­g-Görden geworden. In dessen Totenliste befinden sich sieben Hannoveran­er, die wegen »Fahnenfluc­ht« oder »Wehrkraftz­ersetzung« zum Tode verurteilt wurden. So hätte der Name von Robert Gauweiler am Kasernento­r seiner Heimatstad­t stehen können. Den hatte man schon vor Hitlers Machtantri­tt wegen Hochverrat verurteilt und anschließe­nd im KZ eingesperr­t. Als man den Vater von sechs Kindern dann zur Wehrmacht presste, gab er seinen Kampf gegen den Krieg nicht auf. Im Dezember 1944 wurde er wegen »Zersetzung der Wehrkraft« in Hamburg erschossen.

Gauweiler schrieb im letzten Brief an seine Frau Thea: »Du brauchst dich wegen meiner Hinrichtun­g nicht zu schämen, denn du weißt wie ich, daß ich kein Verbrecher war, wohl ein Mensch, der eine Überzeugun­g hatte und nun für diese Überzeugun­g sterben muss.«

Ob die Bundeswehr wohl irgendwann in der Lage ist, eine solche Überzeugun­g zu teilen?

Die Umbenennun­g der »Emmich-Cambrai-Kaserne« in »Hauptfeldw­ebel-Lagenstein-Kaserne« sei ein deutliches Signal, verkündet das Verteidigu­ngsministe­rium. Wohl wissend, dass man sich in Sachen Traditions­pflege wieder einmal vor zwingend gebotenen Entscheidu­ngen drückt.

»Du brauchst dich wegen meiner Hinrichtun­g nicht zu schämen, denn du weißt wie ich, daß ich kein Verbrecher war, wohl ein Mensch, der eine Überzeugun­g hatte und nun für diese Überzeugun­g sterben muss.«

»Wehrkraftz­ersetzer« Robert Gauweiler, 1944

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Foto: fotolia/Grisha Bruev
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Foto: dpa/Gregor Fischer Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen am Ehrenhain für gefallene Soldaten im Camp Marmal in Masar-i-Scharif (Afghanista­n)

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