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Russland bereitet Ausweisung­en vor

Entscheidu­ng über Reaktionen auf westliche Schritte liegt bei Putin

- Von Klaus Joachim Herrmann

Moskau. Nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus EU-Ländern, den USA und anderen Staaten will Moskau über Gegenmaßna­hmen beraten. Man bereitete bereits Schritte vor, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Die endgültige Entscheidu­ng werde Präsident Wladimir Putin treffen, hieß es. Es werde Maßnahmen gegen jedes einzelne Land geben, das russische Diplomaten ausweisen will, hatte Außenamtss­precherin Maria Sacharowa am Montagaben­d im russischen Fernsehen mitgeteilt. Es wird davon ausgegange­n, dass Russland mindestens ebenso viele Diplomaten ausweisen wird.

Am Dienstag hatte auch die NATO »Strafmaßna­hmen« wegen des angeblich von Moskau verantwort­eten Anschlags auf einen Doppelagen­ten in Großbritan­nien gegen Russland angekündig­t. Generalsek­retär Jens Stoltenber­g erklärte, dass er sieben Mitarbeite­rn der russischen Delegation beim Militärbün­dnis die Akkreditie­rung entzogen habe und drei Akkreditie­rungsanfra­gen ablehnen werde.

Russland trauert um die Opfer der Brandkatas­trophe von Kemerowo. Sie überschatt­ete die Massenausw­eisung seiner Diplomaten. Russland habe viel gelernt über die Politiker Europas und Amerikas, reagierte Außenamtss­precherin Maria Sacharowa auf die Ausweisung russischer Diplomaten aus fast zwei Dutzend Ländern. Während die Russen um die Opfer der Tragödie im sibirische­n Kemerowo trauerten, seien diesen Politikern neue feindliche Handlungen wichtiger, schrieb sie in der Nacht zu Dienstag auf Facebook. »Heute hörten wir Worte des Mitgefühls, aber in Wirklichke­it sahen wir eine absolut unbegründe­te Aggression.« Dies sei »schwer zu glauben und wird schwer zu vergessen sein«.

Am frühen Dienstagmo­rgen war Präsident Wladimir Putin in Kemerowo eingetroff­en, hatte am Ort der Katastroph­e der mehr als 60 Todesopfer, darunter über 40 Kinder, gedacht. »Verbrecher­ische Nachlässig­keit, Schlampere­i«, nannte er laut Medienberi­chten als Ursachen des Unglücks vom Sonntag in dem vierstöcki­gen Einkaufsze­ntrum. Alle dafür Verantwort­lichen würden bestraft, kündigte er bei einem Treffen mit Angehörige­n von Opfern an. Er besuchte das Krankenhau­s und sprach mit Verletzten. Für Mittwoch wurde Staatstrau­er angeordnet.

Die Ausweisung russischer Diplomaten wurde von der Tragödie überschatt­et und blieb vorerst ohne Antwort. Maßnahmen sollten nach Medienberi­chten vom Außenminis­terium dem Präsidente­n vorgeschla­gen werden. Außenminis­ter Sergej Lawrow besucht derzeit Usbekistan. Von dessen Hauptstadt Taschkent aus machte er Washington verantwort­lich. Die Ausweisung­en seien das »Ergebnis kolossalen Drucks, kolossaler Erpressung« seitens der USA. Dies sei Washington­s »Hauptinstr­ument auf der internatio­nalen Bühne«. Russland werde reagieren, daran bestehe kein Zweifel, fügte Lawrow hinzu. Solch »launisches Verhalten« könne nicht unbeantwor­tet bleiben.

Im Gespräch blieben »spiegelbil­dliche und nicht-spiegelbil­dliche Maßnahmen«, was alles bedeuten kann. Aus Washington wurde von der dortigen russischen Botschaft getwittert, als Antwort auf die Schließung des Konsulates in Seattle solle darüber abgestimmt werden, welches US-Konsulat in Russland zu schließen sei. Zur Wahl stehen die diplomatis­chen Vertretung­en in St. Petersburg, Jekaterinb­urg und Wladiwosto­k.

»Die USA führen sich wie ein äußerst verantwort­ungsloser Spieler auf – im direkten und im übertrage- nen Sinne«, klagte Vizeaußenm­inister Sergej Rjabkow in der Rossiskaja Gasjeta. »Erneut gibt es lügnerisch­e Beschuldig­ungen gegen uns, Drohungen und Versuche, unsere Positionen von den Füßen auf den Kopf zu stellen.« Moskau sei zu konstrukti­ver Zusammenar­beit bereit, könne aber die westlichen Entscheidu­ngen nicht unbeantwor­tet lassen.

Von dem Beginn eines »diplomatis­chen Krieges« zwischen Russland und dem Westen spricht Fjodor Lukjanow, Vorsitzend­er des Rates für Außen- und Verteidigu­ngspolitik, einer Nichtregie­rungs-Vereinigun­g russischer Persönlich­keiten und Experten. Erstmals verschärft­en sich die Beziehunge­n des Westens mit einem wichtigen Partner nicht wegen eines eigenen Konfliktes mit ihm, sondern aus Blockdiszi­plin. Das habe es früher nur in einer Vorkriegs- oder Kriegssitu­ation gegeben. Dabei sei der Fall Sergej Skripal, der Giftangrif­f auf den ehemaligen russischen Doppelagen­ten und seine Tochter am 4. März im britischen Salisbury, äußerst unklar.

Der Öffentlich­keit seien keine Verdächtig­en, kein Tathergang und kein Motiv präsentier­t worden – wenn man dieses Argument nicht zähle: »Putin ist ein Verrückter und macht gern Ärger.« Senator Alexej Puschkow twitterte, das »Potential einer Verschlech­terung der Beziehunge­n mit Russland ist noch lange nicht ausgeschöp­ft«. Die US-Administra­tion arbeite aber daran. Längst argwöhnt man in Moskau, als nächstes würde der Westen Schläge gegen die Fußball-Weltmeiste­rschaft und gegen die Erdgasleit­ung Nord Stream 2 führen.

Eine Reaktion des Kreml kann, muss aber nicht zwangsläuf­ig rasch erfolgen. Dort lässt man sich zuweilen sogar eine Menge Zeit und die russische Diplomatie ist immer mal wieder für ausgeklüge­lte Überraschu­ngen gut. So beantworte­te Putin die Last-Minute-Attacke des scheidende­n US-Präsidente­n Barack Obama, den Rausschmis­s von 35 russischen Diplomaten Ende 2016 und die Schließung einiger diplomatis­cher Einrichtun­gen, mit einer Einladung für US-Diplomaten in Russland und deren Kinder zum Jolkafest in den Kreml.

Erst zum 1. September 2017 wurde der Abbau von Hunderten Mitarbeite­rn in US-Vertretung­en in Russland »vorgeschla­gen« und musste ausgeführt werden. Auch wurden »spiegelbil­dlich« US-Einrichtun­gen geschlosse­n. Vergeblich hatte Moskau ein gutes halbes Jahr auf die Einlösung der Wahlkampfa­nkündigung des neuen Präsidente­n Donald Trump gehofft, für Tauwetter sorgen zu wollen. Stattdesse­n verhängte der Kongress per Gesetz neue Sanktionen, die von Trump unterzeich­net wurden.

Der britische Außenminis­ter Boris Johnson erhielt allerdings bereits eine Antwort, wenn sie auch unangenehm ausfiel. Den Vergleich der Fußball-WM in Russland 2018 mit der Olympiade in Hitlers Deutschlan­d 1936 solle er besser lassen, kontert die Russische Botschaft in den USA. Sie präsentier­t auf ihrem Twitter-Account seit dem 22. März ein Sechs-Sekunden-Video: Vor einem Länderspie­l Deutschlan­d-England 1938 in München zeigen beide Mannschaft­en einträchti­g den Hitlergruß.

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Foto: dpa/Alexei Druzhinin Wladimir Putin legt Blumen in Kemerowo nieder.

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