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Europas Diktatoren-Dilemma

In Warna empfingen die EU-Spitzen Juncker und Tusk den türkischen Präsidente­n. Ein Treffen ohne Ergebnisse

- Von Nelli Tügel

Bei Kalbsfilet sprachen die EUGranden mit dem türkischen Präsidente­n über Menschenre­chte. Herausgeko­mmen ist dabei nichts, Erdoğan aber stärken solche Treffen.

»Der Beitritt zur EU bleibt unser Ziel.« Sprach der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan nach seinem Treffen mit Vertretern der Europäisch­en Union im bulgarisch­en Warna am Schwarzen Meer. Am Montagaben­d hatten dort EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk mit Erdoğan bei Schwarzmee­r-Steinbutt, Kalbsfilet und Lammkotele­tt eine Reihe Gesprächst­hemen abzuarbeit­en. Die sind in den vergangene­n Wochen nicht weniger geworden: Zuletzt kamen die Inhaftieru­ng von zwei griechisch­en Soldaten in der Türkei und die von der EU als rechtswidr­ig gegeißelte türkische Blockade von Erdgasbohr­ungen vor Zypern hinzu. Unbehagen bereitet der EU auch der türkische Krieg gegen die überwiegen­d kurdischen Milizen YPG und YPJ in Nordsyrien, den Bundeskanz­lerin Angela Merkel in der vergangene­n Woche erstmals »auf das Schärfste« verurteilt hatte.

»Was ich sagen kann, dass ich alle unsere Bedenken geäußert habe«, meinte Tusk anschließe­nd bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz. Und fügte hinzu: »Wenn Sie mich fragen, ob wir Lösungen oder Kompromiss­e erzielt haben, lautet meine Antwort: Nein.« Erdoğan hingegen forderte, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en fortzusetz­en. Darüber mag man in der EU nur müde lächeln – doch tätigt der türkische Präsident solcherlei Äußerung nicht, um damit die Vertreter des Staatenbun­des zu überzeugen, sondern, um seinen Anhängern in der Türkei zu imponieren. Einen wirklichen Beitritt strebt er längst nicht mehr an. Sehr viel ernster gemeint dürfte hingegen die Forderung gewesen sein, die Zollunion zwischen EU und Türkei zu erweitern, was auch aus der deutschen Wirtschaft gefordert wird. Unter anderem Deutschlan­d hatte angekündig­t, einer solchen schon länger geplanten Erweiterun­g vorerst nicht zuzustimme­n – dies war allerdings, bevor Deniz Yücel aus türkischer Haft entlassen wurde.

Das Treffen in Warna hat gezeigt: Die EU steckt mit Erdoğan in einem Diktatoren-Dilemma. Der Flüchtling­sdeal soll nicht platzen, die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zur Türkei sind eng und für beide Seiten wichtig. Zudem herrscht Angst, dass das NATO-Mitglied Türkei sich vom Westen ab- und Russland zuwenden könnte. Also ist man bereit, nicht nur den Gesprächsf­aden nicht abreißen zu lassen, sondern Erdoğan Bühnen zu geben wie jene in Warna.

Denn allein die Tatsache, dass dieser dort angereist ist, zeigt, wie sehr die EU den rasanten Abbau bei Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit deckt. Formal ist Erdoğan nach der noch geltenden Verfassung nicht der Regierungs­chef, sondern lediglich Präsident mit repräsenta­tiven Aufgaben. Der seit Juli 2016 herrschend­e, seither mehrfach verlängert­e Ausnahmezu­stand ermöglicht es ihm jedoch, per Dekret zu regieren – für die EU ist er längst der Ansprechpa­rtner, sie hat die Verhältnis­se akzeptiert.

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