Angriff auf die letzte Bastion
Die Bosporus-Universität galt lange als Hort liberaler und linker Ideen
Die AKP-Regierung knöpft sich den Campus der Bosporus-Universität vor. Unterdessen wird der Prozess gegen die »Akademiker für den Frieden« am Mittwoch fortgesetzt Am Mittwoch, den 28. März, werden in der Türkei die Prozesse gegen die »Akademiker für den Frieden« fortgesetzt. Mehr als tausend Menschen hatten im Januar 2016 einen Friedensappell unterzeichnet, viele sind mittlerweile entlassen worden.
Unter ihnen ist jedoch niemand von der Bosporus-Universität. Diese galt bislang nicht nur als eine der erfolgreichsten, sondern auch der liberalsten Universitäten des Landes – ein Freiraum auch für politische Äußerungen. In den vergangenen Tagen aber gab es mehrere Razzien und Verhaftungen von Studierenden. Begonnen hatte dies am Montag, den 19. März, als BİSAK, ein an der Universität aktiver Islamischer Forschungsclub, die traditionelle Süßigkeit Lokum verteilte, um so die Besetzung von Afrin zu feiern. Daraufhin versammelten sich Studierende zu AntiKriegsprotesten und forderten die Gruppe auf, die Verteilung zu beenden. Mehr und mehr Unterstützer beider Seiten kamen hinzu.
Nach stundenlangem Austausch von Argumenten, inklusive Schlichtung durch die Universitätsleitung, verließen die Anhänger von BİSAK den Campus. Die Polizei verhaftete im Anschluss an diesen Vorfall drei linke Studierende, die aber zwei Stunden später wieder freigelassen wurden. Am Abend desselben Tages teilte BİSAK Videos von dem Vorfall über das Internet und startete eine Kam- pagne mit dem Titel »Wir wollen keine Terroristen in den Universitäten«. Die Gruppe selbst profitierte jahrelang vom liberalen Geist an der Bosporus-Universität. Sie konnte einen Studierendenclub gründen, Frauen mit Kopftuch gestattete die Universität, den Campus zu betreten, obwohl dies per Gesetz damals noch verboten war.
Nach dem Zusammenstoß versuchten am darauffolgenden Tag, mehrere Menschen mit »Gott ist groß«-Rufen Zutritt zur Universität zu verschaffen, um die von BİSAK als »Terroristen« diffamierten Studierenden »zu finden«. Auch türkische Na- tionalisten tauchten mit Flaggen und Transparenten auf dem Campus auf, um abermals den Sieg in Afrin zu feiern. Es waren regierungsnahe Fernsehsender und Zeitungen anwesend. Einige Medien veröffentlichten Videos, in denen die Gesichter der linken Protestierenden deutlich zu erkennen waren.
In der Nacht zum Donnerstag dann durchsuchte die Polizei Privatwohnungen und Studierendenwohnheime auf dem Campus und nahm dabei sieben Menschen fest. Wie Augenzeugen gegenüber »nd« berichteten, beleidigten vermummte Polizisten Anwesende, weil Männer und Frauen zusammen in den Unterkünften schliefen. Es versammelten sich Hunderte aus Solidarität auf dem Campus, um gegen die Festnahmen zu protestieren. Die Polizei teilte den Protestierenden mit, dass auch sie verhaftet würden, sollten sie weiter Protestslogans rufen. Aber die Studierenden wichen nicht zurück, worauf weitere fünf Menschen festgenommen wurden. Einer Person wurde Augenzeugen zufolge dabei die Nase gebrochen.
Es war das erste Mal in diesem Jahrtausend, dass Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei die Bosporus-Universität betreten haben. »Das tägliche Leben an der Universität hat sich radikal geändert«, sagt Arif Akyol, ein Studierender der Universität, gegenüber »nd«. Studierende, die an Protesten teilgenommen haben, hätten »Angst nach draußen zu gehen«, so Akyol. Die Polizei kontrolliere in Bars, Cafés, an den Metroausgängen und sogar innerhalb der Bibliothek. »Für uns ist das eine Non-Stopp-Schikane. Natürlich ist es auch ein Versuch, die Menschen, die gegen den Krieg sind, einzuschüchtern.«
Am vergangenen Freitag wurden zwei weitere Studierende verhaftet. Kurz darauf, am Samstagabend, äußerte sich Erdoğan persönlich. Er kündigte öffentlich eine Untersuchung an und sagte, dass den »terroristischen Jugendlichen nicht das Recht« gegeben werden sollte, zu studieren. Daraufhin kam es in der Nacht zum Sonntag zu erneuten Razzien im Studierendenwohnheim auf dem Nordcampus und in Privatwohnungen. Dabei wurden drei weitere Menschen festgenommen. Erdoğan erklärte, dass diese Einsätze weitergehen werden, bis alle »Terroristen« gefunden seien.
Es war das erste Mal in diesem Jahrtausend, dass Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei die Bosporus Universität betreten haben.