nd.DerTag

Experiment­e auf einer intimen Bühne

Goethes »Reineke Fuchs« mit Sylvia Bretschnei­der im Luzin-Theater Wittenhage­n

- Von Stefan Amzoll

Viele Nester der Gegend scheinen tot. Wer einmal hellen Tags durch die Uckermark fährt, der merkt schnell, hier steht die Zeit stille, außer für den Landwirtsc­hafts- und Transportv­erkehr. Blanke Dächer, intakte Fassaden und tote Straßen. Neben fürstlich sanierten Herren- und Gutshäuser­n siedelt bei genauerem Hinsehen Verfall. Das Großbauern­tum ist längst wieder da und pflanzt für die Spritindus­trie. In fast allen Orten keine Kneipe zu sehen, kein Konsum, kein Kulturhaus. Hinter den Türen haust nicht zu knapp Armut und Einsamkeit. Stattdesse­n ragen nahe dran unzählige Windräder hoch und höher (bis zu 220 Meter, und es werden immer mehr).

Anders am westlichen Rand der Uckermark, in Wittenhage­n bei Feldberg inmitten der Mecklenbur­gischen Seenplatte. Das Gebiet steht unter Naturschut­z. Freilich ein Nest, aber eines, in dem man sich wohl- fühlen kann. Schon wegen des Breiten und Schmalen Luzins und der Wälder und Aussichten auf den hohen Hügeln ringsum, aber auch eines Kulturhaus­es, in dem Ausstellun­gen, Lesungen, Feste stattfinde­n und ein Theater spielt – das Luzin-Theater.

Es ist noch nicht alt, voriges Jahr begann der Betrieb, beachtet von der regionalen Öffentlich­keit. Selbst der NDR informiert­e in einem TV-Beitrag. Tollkühn geradezu Sylvia Bretschnei­der und Alejandro Quintana – das Paar lebt seit Kurzem in Feldberg. Es wagte das Experiment einer intimen Bühne auf dem Land.

Sie, Schauspiel­erin aus Ostthüring­en, er Schauspiel­er und Regisseur aus Chile, der 1974 vor Pinochet in die DDR geflohen war und dort beste Bedingunge­n für seine Theaterarb­eit vorfand. Er inszeniert­e anfangs für das Volkstheat­er Rostock, dann trieb es ihn nach Berlin an das Theater der Freundscha­ft und ans Berliner Ensemble. In Cottbus kooperiert­e er eng mit Christoph Schroth und dem Komponiste­n Rainer Böhm. Nach der Wende inszeniert­e Quintana als Schauspiel­direktor am Theater Heilbronn, wo er seine jetzige Ehefrau Sylvia Bretschnei­der kennenlern­te. Eine couragiert­e, freundlich­e, dem Theater restlos ergebene Künstlerin von hohem Talent. An vielen deutschen Bühnen hat sie große Rollen gespielt.

In Feldberg einmal angelangt, wolle sie von hier nicht mehr weg. Ein kleines Theater zu gründen, und sei es abgelegen, sei für sie und ihren Mann fällig geworden, sagt die sympathisc­he 45-Jährige. Das schlösse Abstecher an andere Bühnen nicht aus. Schließlic­h müsse man leben. Quintana hat zum Beispiel in Rudolstadt Bulgakows »Meister und Margarita« erfolgreic­h inszeniert. Das Stück ist noch im Plan. Die beiden verlangen keinen Eintritt am heimischen Ort, sondern jeder darf nach Ende der Vorstellun­g einen Obolus spenden.

Die jüngste Premiere in der Regie des Ehepaares war »Lysistrate« nach Aristophan­es. Laien aus der Gegend, Frauen und Mädchen, spielten die Komödie herzerfris­chend mit vielen bunten, sexualisie­rten Überzeichn­ungen drin. Die Geschichte: Solidarisc­h in dem Willen, Frieden zu erzwingen, verweigern die alternativ kostümiert­en Damen ihre Körper den einander bekriegend­en Soldaten Athens und Spartas.

Die Attraktion an der jungen Bühne ist indes Goethes »Reineke Fuchs«. Den setzt Sylvia Bretschnei­der ganz allein in Szene, begleitet von Klängen aus dem Reservoire des verstorben­en Rain Böhm. An die 15 Rollen spielt sie, schlüpft wieselflin­k von einer Maske in die andere. Oben ragt die goldene Königskron­e aus Pappe. Die besteigt sie auf einer Leiter, bekrönt sich und spukt Majestätis­ches nach unten aus. Das wiederholt sich je anders. Für den Wolf setzt sie sich eine Pelzmütze auf, für den Dachs streift sie einen Schal um. Auf dem roten Ball tippelt sie wie eine flinkes Mädchen aus dem Circus.

Der Text geht ihr über 70 Minuten fehlerlos von der Zunge. Einen fabulösen Gestenreic­htum erlebt der Zuschauer. Tiere zu vermenschl­ichen, ist hier hohe Kunst und Wegweiser, zu erkennen den Lug und Trug derer, die die Wirklichke­it ruinieren. Die Fabel vom »Reineke« ist so vergnüglic­h wie hochpoliti­sch. Da schleicht ein Fuchs über die abgründigs­ten Intrigen und heuchleris­chsten Winseleien bis zum Minister des Königs hoch. Glänzend in allem hier Sylvia Bretschnei­der. Große Schauspiel­kunst an kleinem Ort.

Die Fabel vom »Reineke« ist so vergnüglic­h wie hochpoliti­sch.

Nächste Vorstellun­gen am 31.3., 21.4. und 20.5. im Luzin-Theater, Zansenweg 4, Wittenhage­n bei Feldberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany