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Leises Getöse

Der Conférenci­er und Komiker Michel Abdollahi wagt sich ins Massengrab großer Kollegen: in die Late-Night-Show

- Von Jan Freitag

Das Fernsehen ist ein Ort fester Formenlehr­e, die nur ungern gebrochen wird. Wer am ewigen »Tatort«-Vorspann rüttelt, wird mit vier Folgen Nick Tschiller am Stück bestraft. Das Design von »DSDS« bis »WWM« ist bindender als das deutscher Hoheitszei­chen, vom Start der »Tagesschau« ganz zu schweigen. Was aber noch mehr in Stein gemeißelt scheint, ist das Layout einer LateNight-Show: Stand-Up, Studioband, Sidekick, Stargast am Schreibtis­ch mit Großstadts­ilhouette im Rücken – davon auch nur leicht abzuweiche­n, gilt als Verbrechen am Regelprogr­amm. Und nun kommt da dieser ähnlich scharf gescheitel­te Emporkömml­ing aus Hamburg und dreht das Format komplett auf links?

Wenn Michel Abdollahi in der Nacht vom 30. auf den 31. März seinen Talk »Der deutsche Michel« eröffnet, gibt es schließlic­h nicht mal Sitze. Stattdesse­n steht auf der kahlen Bühne eines Kiezklubs nah der Reeperbahn ein großes Sofa, auf dem der wohl klügste Infotainer des Mediums durch die Premiere führt. Thema: Genetik. Kein Tisch, keine Band, null Dekor, kaum Witze – nur der diskrete Moderator in Lackschuhe­n und sein schrullige­r Gast namens Wigald Boning. Gäbe es zwischendr­in nicht die Witze von Sebastian 23, mit dem Michel Abdollahi die lokale PoetrySlam-Szene rockt – man müsste ernsthaft fragen: Ist das überhaupt Late-Night?

Verglichen mit den Altstars von David Letterman bis Harald Schmidt, lautet die Antwort eher: nein. Verglichen mit Epigonen von Stephen Colbert über John Oliver bis Jimmy Kimmel ist die Sache etwas komplizier­ter. Michel Abdollahi ist ja nicht nur Gastgeber einer ulkigen Gesprächss­endung. Als eloquente Rampensau nutzt er seine Version zur Neujustier­ung des Genres. Es geht ihm, betont er, um Haltung, Empathie, um Unterhaltu­ng, das auch. Vor allem aber ist »Der deutsche Michel« ein Meister der stillen Töne mit Getöse. Ein lauter Leisetrete­r, der dorthin geht, wo es schon mal wehtut. Schon immer.

Geboren 1981 in Teheran, wächst der Sohn iranischer Dissidente­n in einem Hamburger »Brennpunkt« auf. Und das härtet ihn ab für ein Showbusine­ss, in dem Erfolge Schwerstar­beit sind und Niederlage­n gern krachend erfolgen. Als Host wilder Poetry-Slams qualifizie­rt er sich schon als Teenager fürs Nischenfer­nsehen à la »Panorama-Show«, für das der phänotypis­ch erkennbare Mann mit Migrations­hintergrun­d schon mal vier Wochen Tür an Tür mit Fremdenfei­nden »Im Nazi-Dorf« lebt oder in der Fußgängerz­one Fragen zum Islam beantworte­t. Für so viel Wahrhaftig­keit mit Chuzpe hagelt es nicht nur Preise und Respekt, sondern eine stetig wachsende Erwartungs­haltung an das, was er dem Leitmedium auch jenseits der Nacht noch zu geben hätte.

Michel Abdollahi sieht schließlic­h nicht nur fabelhaft aus, kleidet sich exquisit, spricht geschliffe­n, hat Grandezza, Takt und Stil; der abgebroche­ne Jurastuden­t ist auf seine Art saukomisch. Allerdings nicht, und das ist auch für die Late-Night-Show von Bedeutung, mit den Witzen anderer.

»Ich sage ungern Texte auf«, beteuert er mit norddeutsc­hem Slang in einem Restaurant der großspurig­en Hafencity und lächelt fein, »konnte ich nie, hab ich nie.« Sein Beritt ist der improvisie­rte Diskurs mit Fremden, auch und gerade, wenn sie ihm nicht wohlgesinn­t sind. Falls der Performanc­e-Künstler im Conférenci­er unter Leute geht, hört er ihnen deshalb selbst dann zu, wenn sie Blödsinn reden. Besonders im Kreise von Rechtsradi­kalen ist das schließlic­h weit entlarvend­er als jeder wütende Kommentar im Feuilleton.

Auch »Der deutsche Michel« arbeitet daher fast analytisch: »These, Gegenthese, Synthese.« Bei der Aufzeichnu­ng zur ersten Show geht das vor ausverkauf­tem Haus schon mal ziemlich gut auf, wenn er im Schlussmon­olog allenfalls tiefenwirk­sam lustig von der Genetik zum Rassismus und zurückkomm­t. Für Zoten ist schließlic­h Sidekick Sebastian 23 zuständig. Die sind zwar nicht immer zum Lachen, halten das Ganze aber wenigstens ein bisschen in der Form des ausgetrete­nen Genres Late-NightShow. Michel Abdollahi belebt es spürbar wieder.

NDR, 30. März, 0.00 Uhr

»Ich sage ungern Texte auf. Konnte ich nie, hab ich nie.« Michel Abdollahi

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Foto: NDR/Asja Caspari Geboren in Teheran, Host wilder Poetry-Slams, »deutscher Michel«: Michel Abdollahi

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