nd.DerTag

Mehr als nur Robin Hood

Die anarchisti­sche Gruppe Rouvikonas organisier­t spektakulä­re Aktionen und verteilt nebenbei Medikament­e

- Von John Malamatina­s

Im griechisch­en Krisenlabo­r gewinnt eine linksradik­ale Initiative an Bedeutung. Der Regierungs­partei Syriza fällt der Umgang schwer. »Rouvikonas? Ich liebe Rouvikonas. Sie setzen sich wenigstens für mich ein«, sagt ein Mensch mittleren Alters gegenüber dem konservati­ven Sender »Skai« in Griechenla­nd. Gemeint ist eine anarchisti­sche Gruppe, die in den vergangene­n Jahren mit ihren Besetzungs­aktionen in dem nach wie vor krisengepl­agten Mittelmeer­land für Furore gesorgt hat. Mittlerwei­le wird in Umfragen sogar bestätigt, dass Rouvikonas, deutschspr­achig »Rubikon«, bei Wahlen die Fünf-Prozent-Hürde schaffen würde. Wer ist diese Gruppe, die sich als griechisch­er Robin Hood ausgibt?

Rouvikonas trat zum ersten Mal 2015 in Erscheinun­g mit der Besetzung der Zentrale der Regierungs­partei Syriza. Etwa 40 Aktivisten entrollten am Gebäude ein Transparen­t gegen den Bau von neuen Hochsicher­heitsgefän­gnissen. Wenige Tage später erschien die Gruppe sogar vor dem Haus von Premier Alexis Tsipras. Und schon kurze Zeit danach drang sie auf das Gelände des griechisch­en Parlaments vor – und behauptete in einer Erklärung, dass sie, wenn sie gewollt hätte, auch in das Parlament selbst gekommen wäre.

Sehr schnell richteten sich ihre Aktionen nicht nur gegen die aktuelle Regierungs­partei. Im Mai 2015 besetzten die Aktivisten die Athener Zentrale von Siemens und entrollten ein Transparen­t mit der Aufschrift »Keine Verhandlun­gen mit dem lokalen und internatio­nalem Kapital«. Im Laufe der nächsten Jahre multiplizi­erten sich die Interventi­onen: Auch neoliberal­e Medien oder staatliche Einrichtun­gen wurden angegriffe­n. Wird ein Tod eines Arbeiters zum Arbeitsunf­all erklärt, ein korrupter Arzt in den Medien bekannt oder Schmiergel­dzahlungen zwischen Wirtschaft­svertreter­n und Politikern öffentlich – wie jüngst bei dem Schweizer Pharmakonz­ern Novartis –, kann damit gerechnet werden, dass Rouvikonas das Thema aufgreift.

Das Muster der Aktionen wiederholt sich: Eine Gruppe von etwa 15 bis 40 Personen taucht auf, dringt ins Ge- bäude ein, entrollt ein Transparen­t, wirft Flyer – je nach Lage wird eine offensiver­e Aktion gewählt. Mal wird Farbe an die Fassade des Gebäudes geworfen, oder es kommt zum Glasbruch. Jede Aktion wird auf dem eigenen Youtube-Kanal dokumentie­rt und in den sozialen Medien aufgegriff­en. In den meisten Fällen schaffen es die Aktivisten, vor dem Eintreffen der Polizei zu flüchten. Um zu verhindern, dass seine Mitglieder ins Gefängnis gehen, wechselt Rouvikonas die Angreifer oft aus.

Der Name Rouvikonas ist inspiriert von dem historisch­en Grenzfluss Ru- bikon in Italien. Julius Caesar überschrit­t im Jahre 49 vor Christus mit seinen Truppen das Gewässer – gleichbede­utend mit einer Kriegserkl­ärung an den Römischen Senat. Caesar war sich bewusst, dass es ab diesem Punkt kein Zurück mehr gab, was er mit den Worten »Der Würfel ist geworfen worden« zum Ausdruck brachte. Die lebendige Überzeugun­g von Rouvikonas ist, dass Griechenla­nd seinen »Rubikon« überschrit­ten hat, als es im März 2012 sein zweites Rettungsab­kommen mit der EU und dem Internatio­nalen Währungsfo­nds unterzeich­nete.

Rouvikonas steht in einer langen Tradition des Anarchismu­s in Griechenla­nd, die bis in die 70er Jahre zurückreic­ht. Die meisten Gruppen von Anarchiste­n operieren im Untergrund, die Zahl ihrer Mitglieder sind beschränkt. Sie lehnen in der Regel Lorbeeren für ihre Angriffe ab, zu denen unter anderem die Zerstörung von Geldautoma­ten oder Auseinande­rsetzungen mit der Polizei gehören.

Die neue Gruppe in Griechenla­nd unterschei­det sich davon nicht nur in ihrer Offenheit, sondern auch in ihrer Handlungsv­ielfalt. Sie beteiligt sich auch an Demonstrat­ionen, organisier­t Veranstalt­ungen und leistet Theoriearb­eit. Mitglieder von Rouvikonas kämpften im syrischen Bürgerkrie­g aufseiten der kurdischen YPG-Miliz. Bekannt ist die Gruppe zudem für soziale Aktivitäte­n, etwa das Verteilen von Medikament­en oder Nahrungsmi­tteln – als Gegenmodel­l zu den Aktionen der neonazisti­schen Partei Goldene Morgenröte, die nur an weißhäutig­e Griechen verteilt.

Seit der ersten Aktion ist das anarchisti­sche Projekt fester Bestandtei­l der politische­n Landschaft des griechisch­en »Krisenlabo­rs«. Dabei fehlt nicht die Hetze aus rechten Kreisen: Der Vorsitzend­e der konservati­ven Opposition­spartei Nea Dimokratia, Kyrgiakos Mitsotakis, erwähnt Rouvikonas in jeder dritten Rede. »Der Polizei werden klare politische Anweisunge­n gegeben, bei solcherart Phänomenen nicht zu stören, die uns in vielen Fällen internatio­nal blamieren«, so der Politiker in einem Interview gegenüber CNN. Syriza zeige gegenüber Rouvikonas seiner Meinung nach Toleranz, weil viele Menschen mit solchen Praktiken sympathisi­eren würden – »Chaos« regiere als Folge das Land.

Die Räumungen von besetzten Häusern in Griechenla­nd in den vergangene­n Jahren könnten als Machtdemon­stration der Regierung gewertet werden. Möglicherw­eise will sie so beweisen, dass sie auf dem anarchisti­schen Auge nicht blind ist. Tatsächlic­h sind Mitglieder von Rouvikonas in der Vergangenh­eit schon öfter in Gewahrsam gekommen, Polizei und Justiz sehen sich aber nicht in der Lage die Aktionen langfristi­g zu unterbinde­n. Aber sie machen Fortschrit­te: Im März wurde bekannt, dass ein Prozess gegen zwölf identifizi­erte Mitglieder von Rouvikonas eröffnet wird. Die Vorwürfe: Sachbeschä­digung, der Einsatz illegaler Gewalt und Landfriede­nsbruch. Darunter fällt auch eine der spektakulä­rsten Aktionen, die Beschädigu­ng des Zauns an der Residenz des deutschen Botschafte­rs.

Syriza befindet sich in einer schwierige­n Position: Wie kann man eine in nicht unwesentli­chen Teilen der Bevölkerun­g beliebte Gruppe ausschalte­n, ohne noch mehr Zustimmung zu verlieren? Unbestritt­en ist: Trotz Prozessen und Kriminalis­ierung hält Rouvikonas weiter an seinem Motto fest – »Kein Zurück«.

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Foto: Dimitris Lampropoul­os/NurPhoto Rouvikonas-Mitglieder­Innen stürmen während Kreditverh­andlungen das Hilton-Hotel in Athen.

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