nd.DerTag

Demokratie nur noch verpixelt

Ein Dokumentar­film beleuchtet die Repression gegen die G20-Gipfelprot­este von Hamburg

- Von Ralf Hutter Vorführung­stermine unter www.festival-der-demokratie.de

Lars Kollros versucht, die G20-Protestwoc­he filmisch aufzuarbei­ten. Unwissende werden mit dem Projekt jedoch überforder­t. Ein Hund liegt im öffentlich­en Raum auf dem Boden, im Hintergrun­d sind Menschen. Die Kamera fixiert den Hund einige Sekunden lang, doch seine Augen sind von einem filmisch drübergele­gten schwarzen Balken verdeckt. Der Hund, der doch rein gar nichts tut, wird anonymisie­rt.

Die Szene ist einer der wenigen Akzente, die Lars Kollros in seinem kürzlich erschienen­en Dokumentar­film »Festival der Demokratie« setzt. Der Autor wirft darin Polizei und Hamburger Senat eine (zum Teil gesetzlose) Eskalation der Gewalt und Grundrecht­sbrüche bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg vor. Allerdings bleibt der Film unter den Möglichkei­ten, die das Thema bietet.

Eine Ausnahme ist die Szene mit dem Hund. Sie spricht filmisch eine nachträgli­che Erkenntnis zum Hamburger Protestges­chehen an. Kollros hat eine ganze Woche lang gefilmt, nach einigen Tagen begleitet von einer ebenfalls filmenden Partnerin. In den vielen Aufnahmen verschwimm­en die mal kleinen, mal großen Gruppen der Protestier­enden aber fast immer zu einer etwas amorphen Masse – denn sie sind verpixelt. »Da die Staatsanwa­ltschaft und die Justiz in Hamburg schon die Teilnahme an einer Demonstrat­ion kriminalis­ieren, wurden in diesem Film Personen un- kenntlich gemacht«, ist zu Beginn zu hören. In Sachen Rondenbarg-Demo sieht die Staatsanwa­ltschaft schon durch die bloße Teilnahme den Tatbestand des Landfriede­nsbruch als erfüllt an, wofür sie aber einen Präzedenzf­all anwendet, der sich explizit nicht auf politische Demos, sondern auf Hooligange­walt bezieht. Selbst die Großdemo am Ende der Gipfelprot­este ist im Film verpixelt.

Lars Kollros erzählt im nd-Gespräch, dass er »aus der Welt der Kurzfilme« kommt und beim G20-Gipfel eigentlich mit kurzen Videos eine schnelle Gegenöffen­tlichkeit bei der Protestber­ichterstat­tung schaffen wollte. Angesichts der Ereignisse entwickelt­e er die Idee für einen Langfilm, sagt der 1979 geborene Autodidakt, der in Hamburg bei einer Filmproduk­tionsfirma arbeitet und seit dem vergangene­n Herbst in Wien Videokunst studiert. Ein Crowdfundi­ng, das über 9000 Euro erbracht hat – und weiterläuf­t –, sicherte die Finanzieru­ng von »Festival der Demokratie«. Nun wird der Film bundesweit gezeigt, der Autor ist oft dabei.

»Es soll kein neutraler Film sein«, sagt Lars Kollros offen. Sein Ansatz: Protest- und Gewaltbild­er wechseln sich ab mit Auszügen aus fünf nachträgli­chen Interviews. Zu Wort kommen Christiane Schneider, die Linksfrakt­ionsvorsit­zende in Hamburg; Thomas Wüppesahl von der Bundesvere­inigung kritischer Polizisten; ein Anwalt, der beim Gipfel im Polizeigew­ahrsam arbeitete; ein Protestmit­organisato­r aus den Reihen der linksradik­alen »Interventi­onistische­n Linken« (IL) sowie ein Bewohner des Schanzenvi­ertels. Sie alle kritisiere­n aufgrund eigener Anschauung, parlamenta­rischer Erkenntnis­se und Insiderwis­sens das Vorgehen der Polizei gegen die Gipfelprot­este, angefangen bei der Auswahl des Gesamteins­atzleiters Hartmut Dudde, über die Repressali­en vor der Protestwoc­he bis hin zur nachträgli­chen Rechtferti­gung der Polizeigew­alt, die Schneider teils als unwahr und »Verhöhnung der Öffentlich­keit« bezeichnet.

Den damaligen Regierende­n Bürgermeis­ter und jetzigen Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) hat Kollros übrigens ebenfalls angefragt, berichtet er, aber keine Antwort erhalten. Polizisten habe er nicht angefragt, denn die würden ihre Position gefährden, wenn sie etwas Kritisches sagen, meint er. Zudem sollte der Film »so schnell wie möglich fertig werden«.

Das Ergebnis ist zwiespälti­g, denn Kollros lässt nur Bilder und die fünf Interviewt­en sprechen, umgeht also eine genauere Rekonstruk­tion einzelner Situatione­n. Das liefert wenig Neues – insbesonde­re zu einem von der breiten Öffentlich­keit bisher wenig beachteten Punkt: dem Angriff auf den hinteren Teil der Demo »Welcome to Hell«. Bisher kursiert die – wenn auch vielfach angegriffe­ne – Polizeiver­sion, die Demo sei wegen Vermummung an der Spitze gestoppt, dann gewalttäti­g und deshalb aufgelöst worden. Das wird noch unglaubwür­diger, wenn – wie mehrere Berichte bezeugen – auch der weder vermummte noch organisier­t auftretend­e Schwanz der Demo von der Polizei attackiert wurde. Dieser befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs noch am Auftaktort.

Kollros erklärt also selbst nichts, überforder­t aber anderersei­ts Unbeleckte damit, dass er die ganze Protestwoc­he abbilden will. Täglich andere Aktionen von unterschie­dlichen Gruppen mit unterschie­dlichem Verlauf – wer nicht schon Bescheid weiß, muss wohl den Überblick verlieren. Weniger wäre mehr gewesen, also eine Konzentrat­ion auf die Analyse von Polizeigew­alt, ohne alle Protestakt­ionen anzusprech­en. Den Autor selbst bedrohten am Abend des letzten Protesttag­es mehrmals Polizisten wegen des bloßen Filmens, wie er erzählt: »Da ist die Stimmung krass gekippt.«

Das von Hamburgs Innensenat­or Andy Grote (SPD) im Vorfeld angekündig­te »Festival der Demokratie« hätte besser verfilmt und recherchie­rt sein können. Der gleichnami­ge Film zeigt aber immerhin: Ab sofort ist Demokratie ohne Verpixelun­g riskant.

 ?? Foto: dpa/Christophe Gateau ?? Bis heute gibt es 138 G20-Ermittlung­sverfahren gegen Polizisten, aber keine einzige Anklage.
Foto: dpa/Christophe Gateau Bis heute gibt es 138 G20-Ermittlung­sverfahren gegen Polizisten, aber keine einzige Anklage.

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