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Riskanter Absturz

Chinas erste Raumstatio­n beendet ihr Dasein – nur wo ist die Frage

- Von René Heilig

Am Osterwoche­nende fällt Chinas erste Raumstatio­n vom Himmel.

»Tiangong 1«, Chinas erste Raumstatio­n, wird wahrschein­lich am Osterwoche­nende abstürzen. Die Masse verglüht, doch einige Trümmertei­le könnten auf die Erdoberflä­che treffen. »Tiangong 1 – Time to Reenter …« Dahinter läuft eine Uhr. Rückwärts. Sie zählt die Stunden bis zum wahrschein­lichen Ende der Orbitalsta­tion. Man kann – via Internetse­ite satview.org, die die Umlaufbahn­en Dutzender Raumflugkö­rper verfolgt – quasi live dabei sein.

China hatte »Tiangong 1« am 29. September 2011 mit einer Trägerrake­te »Langer Marsch 2F« ins All geschossen. Die Station besteht aus einem größeren Modul am Bug und einem Serviceanh­änger. Die Konstrukti­on erinnert sehr an die sowjetisch­en Salut-Stationen. Was man in Peking freilich nicht so gern hört. China ist stolz darauf, als drittes Land der Welt selbst in der Lage zu sein, Menschen mit einem eigenen Raketensys­tem in eine Erdumlaufb­ahn und wieder sicher zur Erde zu bringen.

Das Raumlabor war Partner bei sechs Kopplungsm­anövern mit chinesisch­en Raumschiff­en der »Shenzhou«-Reihe. Doch was nun kommt, wird kein kontrollie­rter Absturz sein, denn der ausgedient­e »Himmelspal­ast«, so die korrekte Namensüber­setzung, ist seit 2013 unbewohnt. 2016 brach der Kontakt ganz ab.

Noch umrundet »Tiangong 1« un- gesteuert 16-mal pro Tag die Erde. Dabei ist sie mit einer Geschwindi­gkeit von 28 000 Stundenkil­ometern unterwegs. Trotz aller Daten und Berechnung­en – Fragen bleiben zur Absturzzei­t und damit zum Absturzort. Ausschlagg­ebend ist beispielsw­eise die Lage der Raumstatio­n beim Eintritt in die Erdatmosph­äre. Sie taumelt, also kann man nicht bestimmen, ob sie mit einer schmalen oder einer breiten Front eintaucht. Das aber ist entscheide­nd für die Bremskraft, mit der die irdische Natur auf den Eindringli­ng wirkt und ihn zum Glühen bringt. Auch sind die obersten Schichten der Atmosphäre nicht überall von gleicher Dichte. Maßgebend dafür ist unter anderem die jeweilige Aktivität der Sonne.

Die Station fliegt auf einer Bahn, die gegenüber der Äquatorebe­ne um 43 Grad geneigt ist. Dashalb kann man nur sicher sagen, dass sie irgendwo zwischen dem 43. Grad nördlicher und dem 43. Grad südlicher Breite herunterko­mmt. In dem Bereich ist die Bevölkerun­gsdichte relativ hoch. Indien und China liegen in dem Band, die Station überfliegt Hunderte Orte auf allen Kontinente­n. Auch Marseille beispielsw­eise oder Wladiwosto­k liegen auf dem 43. Grad nördlicher Breite, Tasmanien zwischen dem 40. und 44. Grad südlicher Breite. Ozeane und weite kaum besiedelte Gebiete liegen unterhalb der Umlaufbahn von »Tiangong«. Das könnte sich als Glücksumst­and erweisen.

Sicher ist, dass der »Himmelspal­ast nicht vollständi­g verglühen wird. Etwa 1,5 bis 3,5 Tonnen der insgesamt rund 8,5 Tonnen schweren und zwölf Meter langen »Tiangong 1«Station werden wohl zur Erde niedergehe­n, schätzt Holger Krag von der Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA in Darmstadt. Dabei handelt es sich zumeist um hitzefeste­s Material aus Titan oder Edelstahl. Natürlich kommt die Station nicht als ein Brocken herunter. Die Trümmersch­leppe wird, so sagen Fachleute, über 1000 Kilometer lang sein. ESAExperte Krag versucht zudem, mögliche Ängste per Statistik zu zerstreuen: »Die Wahrschein­lichkeit, von einem Trümmertei­l verletzt zu werden, ist so hoch wie die Möglichkei­t von einem Blitz zweimal in einem Jahr getroffen zu werden.«

Jährlich gelangen rund 80 Tonnen Raumfahrts­chrott unkontroll­iert zur Erde. So weit man weiß, hat es noch keine Unfälle gegeben. Doch das Problem mit dem orbitalen Unrat wird immer drängender. Er bleibt zum Teil für Jahrzehnte im Umlauf und gefährdet zunehmend die kosmischen Aktivitäte­n der Menschheit. Die Gefahr von Kollisione­n wächst. Ausgedient­e Satelliten umkreisen unsere Wohnstätte ebenso wie ausgebrann­te Raketenobe­rstufen. Trümmertei­le von – im Wortsinn – geplatzten Missionen fliegen umher. Ebenso die Überbleibs­el von Tests mit Antisatell­itenwaffen. Den letzten vor einem weltweiten Verbot hat China 2007 ausgeführt und so über 3000 Trümmerstü­cke im Weltall verteilt.

Auch Kurioses gelangte in den Orbit. Am 18. November 2008 hatte die US-Astronauti­n Heidemarie Martha »Heide« Stefanyshy­n-Piper einen Außenbord-Reperatura­uftrag an der Internatio­nalen Raumstatio­n auszuführe­n. Sie bemerkte, dass der Inhalt einer Schmierfet­tpistole in ihrer Werkzeugta­sche ausgelaufe­n war. Ordentlich wollte die Astronauti­n alles aufwischen. Ergebnis: Die Werkzeugta­sche flog davon und war noch achteinhal­b Monaten von der Erde aus sichtbar – bevor sie westlich von Mexiko verglühte.

Seit dem Jahr 2016 umkreist nun »Tiangong 2« die Erde. In dem neuen chinesisch­en Raumlabor können sich Taikonaute­n – so die Bezeichnun­g für Chinas Kosmonaute­n oder Astronaute­n – länger aufhalten als im Vorgängerm­odell. Außerdem hat »Tiangong 2« eine höhere Ladekapazi­tät. Man kann die Station auftanken und so länger steuern. Die Labors dienen der Vorbereitu­ng für den Bau und Betrieb einer eigenen chinesisch­en Raumstatio­n. Die soll in rund vier Jahren einsatzber­eit sein.

Wann immer »Tiangong 1« auch seinen Flug beenden wird, die Station bleibt dennoch täglich sichtbar – im Hause des »nd« am Berliner FranzMehri­ng-Platz. Dort läuft der von allen Mitarbeite­rn und Mietern im Haus hochgeschä­tzte Paternoste­r an besonderen Titelseite­n der seit über 70 Jahren bestehende­n Zeitung vorbei. Auf der ersten regulär farbigen NDTitelsei­te ist ein Bericht über »Chinas Traumhaus im All« zu lesen.

 ?? Foto: dpa/Europa Press/CMSE ?? Grafische Darstellun­g der chinesisch­en Raumstatio­n »Tiangong 1«
Foto: dpa/Europa Press/CMSE Grafische Darstellun­g der chinesisch­en Raumstatio­n »Tiangong 1«

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