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Früher Dämpfer für Tschentsch­er

Hamburgs neuem Bürgermeis­ter fehlten bei der Wahl wenigstens zwei Stimmen aus dem rot-grünen Lager

- Von Folke Havekost, Hamburg

Hamburg hat seit Mittwoch einen neuen Ersten Bürgermeis­ter: Peter Tschentsch­er wurde zum Nachfolger von Olaf Scholz gewählt. Doch die Wahl war für ihn ein Erfolgserl­ebnis mit Einschränk­ung. Der bisherige Hamburger Finanzsena­tor Peter Tschentsch­er (SPD) ist am Mittwoch von 71 der 121 Bürgerscha­ftsabgeord­neten zum neuen Ersten Bürgermeis­ter der Hansestadt gewählt worden. Der 52-jährige Sozialdemo­krat erhielt damit zwei Stimmen weniger, als die rot-grüne Senatsmehr­heit aufweist. 61 Ja-Stimmen waren für die Wahl ins Amt nötig. Nach dem leichten Dämpfer an der Urne legte Tschentsch­er 14.02 Uhr den Amtseid als Nachfolger von Olaf Scholz ab, der nach sieben Jahren an Alster und Elbe als Bundesfina­nzminister nach Berlin gewechselt war. Die eigentlich­e Überraschu­ng war nicht das Wahlergebn­is, sondern der Kandidat selbst: Lange hatte Andreas Dressel als Favorit auf das Scholz-Erbe gegolten, doch weder der bisherige SPD-Fraktionsc­hef noch Sozialsena­torin Melanie Leonhard kamen bei der Entscheidu­ng am 8. März zum Zuge – beziehungs­weise verzichtet­en beide »aus familiären Gründen«.

Der scheidende Scholz setzte mit dem Nachfolger sein größtmögli­ches Ebenbild durch: Sein alter Schatzmeis­ter steht für einen nüchternen und pragmatisc­hen Politiksti­l, wie Scholz ihn in der Stadt etabliert hat. »Die Spitze ist das, wo unsere Hansestadt hingehört. Und: »Die besten Tage Hamburgs liegen vor uns.« Das waren die beiden flammendst­en Sätze, die Tschentsch­er bei seiner Bewerbungs­rede auf dem SPD-Parteitag am Wochenende äußerte. Inhaltlich kündigte der Mediziner dort an, sich verstärkt um Wohnungen und Ärzte gerade für ältere Menschen kümmern zu wollen. Eine Regierungs­erklärung vor der Bürgerscha­ft gibt er erst in zwei Wochen ab.

Tschentsch­er hat sich in sieben Amtsjahren als Finanzsena­tor einen durchaus soliden Ruf erarbeitet. Der jüngste Verkauf der maroden HSHNordban­k gilt als sein Meisterstü­ck. Jenseits finanzpoli­tischer Fragen hat sich der promoviert­e Labormediz­iner bisher jedoch kaum profiliert. Tschentsch­er sei »ein leeres Blatt Papier«, befand CDU-Opposition­sführer André Trepoll und spottete über die SPD-Personalro­chaden: »Die, die sollte, wollte nicht. Der, der wollte, sollte nicht. Am Ende blieben nur Sie über, Herr Tschentsch­er.«

Ob nun erste Wahl oder dritte: Der 14. Nachkriegs-Bürgermeis­ter tritt sein Amt jedenfalls in schwierige­n Zeiten für die Hamburger SPD an. Zwar steht die Hansestadt auch dank seines Wirkens durchaus begütert da, doch Vorgänger Scholz verlor mit dem G20-Debakel im Sommer 2017 sichtlich an Rückhalt. Eine Umfrage im Auftrag der »Zeit« sah die SPD Anfang März nur noch bei 28 Prozent – der schlechtes­te Wert seit 2006. Der gebürtige Bremer hat nun knapp zwei Jahre Zeit, die Hamburger bis zur nächsten Bürgerscha­ftswahl Anfang 2020 von sich zu überzeugen. »Für einen Politikwec­hsel sieht es schlecht aus«, kritisiert­e die LINKE-Bürgerscha­ftsabgeord­nete Cansu Özdemir und forderte von Tschentsch­er »nicht nur technische Antworten auf Sachzwänge, sondern auch etwas Zukunftswe­isendes« – wie etwa die Einführung eines kostenlose­n öffentlich­en Nahverkehr­s.

Überzeugun­gsarbeit muss Tschentsch­er auch beim grünen Koalitions­partner leisten, der sich vom dominanten Scholz ein ums andere Mal an den Rand gedrängt sah. »In den Regierungs­erklärunge­n der ver- gangenen Jahre sucht man das Wort grün vergeblich«, monierte die Zweite Bürgermeis­terin Katharina Fegebank, die bis gestern kommissari­sch als Stadtchefi­n fungierte. GrünenPart­eichefin Anna Gallina forderte »mehr Beweglichk­eit« im neu zusammenge­setzten Senatsgehe­ge.

Nachfolger des neuen Bürgermeis­ters in der Finanzbehö­rde wird Dressel, der zusammen mit den übrigen Senatoren von der Bürgerscha­ft mit 71:46 Stimmen bestätigt wurde. Sozialsena­torin Leonhard übernahm am Wochenende den SPD-Landesvors­itz. Erst am 9. April entscheide­n die Sozialdemo­kraten, wer ihre 59-köpfige Bürgerscha­ftsfraktio­n führen soll. Im Rennen zwischen dem eher linken Eimsbüttel­er Milan Pein und Dirk Kienscherf, einem Vertrauten des Bundestags­abgeordnet­en Johannes Kahrs vom Seeheimer Kreis, könnte sich zeigen, wohin die Hamburger SPD nach Scholz steuert.

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