nd.DerTag

Die im Dunkeln sieht man nicht

Über Menschen, die unter Stromsperr­en leiden, werden viele Mythen verbreitet

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Jedes Jahr wird Hunderttau­senden in Deutschlan­d der Strom abgedreht, weil sie Schulden bei ihrem Versorger haben. Thüringer Schuldnerb­erater warnen, die Betroffene­n zu stigmatisi­eren. Nicht nur einmal, sagt Ramona Ballod, habe das Sozialamt völlig falsch gelegen. Immer wieder berate sie – die seit dem Jahr 1992 bei der Energieber­atung der Thüringer Verbrauche­rzentrale arbeitet – arme Menschen, denen Ähnliches wiederfahr­en sei: Dass nämlich die Behörden ihnen vorwerfen, sie würden nicht sparsam mit der Energie umgehen. Der Vorwurf erinnert an einstige Äußerungen des sozialdemo­kratischen Populisten Thilo Sarrazin. Dieser hatte vor einigen Jahren behauptet, dass Menschen, die auf Sozialleis­tungen angewiesen seien, die Heizung gerne auf volle Leistung stellen würden und die Temperatur in einem gut geheizten Raum dann durch das Öffnen des Fensters regulieren wollten. Auch Sozialämte­r würden das immer wieder tun, wenn sie Menschen, die von ihnen betreut werden, erklären, sie würden ihre Energiekos­ten nur noch bis zu einer gewissen Grenze tragen, sagt Ballod. Weil die von ihnen verursacht­en Kosten für Energie angeblich zu hoch seien.

Dabei, erzählt Ballod an diesem Tag in Erfurt, treffe das oft gar nicht zu. Die betroffene­n Menschen seien in der Regel überhaupt nicht verschwend­erisch. Einmal habe sie eine ältere, arme Frau beraten, die sehr auf ihren Energiever­brauch geachtet habe. »Die Frau war sogar sehr sparsam. Sie hat teilweise bei einer Temperatur von 19 Grad im Wohnzimmer rumgesesse­n«, sagt Ballod. Das sei kaum mehr angemessen. Trotzdem habe ihr das Sozialamt gedroht, die Energiekos­ten nur noch bis zu einer gewissen Kappungsgr­enze zu bezahlen. Jeden Euro, den sie zusätzlich verbrauche, müsse sie selbst tragen. Wobei freilich sofort die Frage im Raum steht: Wovon soll man das eigentlich bezahlen, wenn man von Hartz IV oder von Grundsiche­rung im Alter lebt?

Tatsächlic­h habe die Frau dann gemeinsam mit der Verbrauche­rzentrale nachweisen können, dass sie nicht über Gebühr heize – sondern dass das Haus, in dem sie lebte, einfach so schlecht gedämmt war, dass sich hohe Energiekos­ten nicht vermeiden ließen. Was, sagt Ballod, ein Teufelskre­is sei, der gerade arme Menschen immer wieder treffe: Sie wohnten nicht selten in eher alten, schlecht gedämmten Häusern. Da seien die Energiekos­ten freilich höher als bei Menschen, die in ein gerade saniertes Haus oder gar in ein neu gebautes Niedrigene­rgiehaus eingezogen seien.

Das ist möglicherw­eise der zentrale Punkt, um den es kürzlich in den Räumen des Thüringer Landtags ging, in den die Linksfrakt­ion zu einer Konferenz eingeladen hatte, die sich mit der Energiearm­ut in Deutschlan­d befasste. Es geht etwa darum, dass nach bundesweit­en Daten etwa jeder fünfte Haushalt in der Bundesrepu­blik Probleme habe, die Stromrechn­ung zu bezahlen, sagt Anja Draber. Sie arbeitet in der Schuldenbe­ratung der Liga der freien Wohlfahrts­pflege in Thüringen. Dass viele Menschen nämlich völlig falsche Vorstellun­gen davon haben, warum so viele Menschen in diesem Land unter den hohen Energiepre­isen leiden – und im schlimmste­n Fall eben zu Energiesch­uldnern werden. Dass solche Menschen eben in der Regel keine Energiever­schwender sind. Dass sie sehr wohl wissen, dass die von ihnen verursacht­en Kosten für Strom und Heizung irgendjema­nd bezahlen muss. Dass Sarrazin einfach falsch lag.

Was die Probleme der Armen mit der Energie freilich nicht leichter macht: Etwa jeder zweite Schuldner, der bei einer Schuldnerb­eratung aufschlage, sagt Draber, habe auch bei seinem Energiever­sorger Aus- stände. Was auf die eine oder andere Art dazu führt, dass es in der gesamten Bundesrepu­blik pro Jahr im Durchschni­tt etwa 330 000 Fälle gebe, in denen der Strom abgestellt werde, sagt Draber. Was das im Einzelfall konkret bedeutet, erklärt die LINKE-Landtagsab­geordnete Diana Skibbe. Die Menschen haben dann kein elektrisch­es Licht mehr in der Wohnung und keinen Strom mehr, um sich eine warme Mahlzeit zuzubereit­en. Diese Dinge, die eigentlich völlig normal seien, seien dann von jetzt auf gleich nicht mehr da oder nicht mehr möglich. Und das mitten am Ende der 2010er Jahre, mitten in Europa.

Nach den Erfahrunge­n von Draber geht es für die Energiever­sorger oft um nur relativ kleine Summen. »Schon bei 100 Euro Zahlungsve­rzug werden die Versorger aktiv«, sagt sie – und meint damit, dass die Unternehme­n dann bereits damit beginnen würden, die Stromsperr­en zu beauftrage­n. Dies geschieht etwa 6,5 Millionen Mal pro Jahr in Deutschlan­d. In vielen Fällen lässt sich eine Stromsperr­e immerhin noch abwenden. Dies gelingt etwa durch Interventi­onen der Wohlfahrts­verbände oder durch die Vereinbaru­ng von Ratenzahlu­ngen beziehungs­weise von Stundungen.

Wenn man aber bedenke, dass die Kosten einer Sperrung bei ebenfalls etwa 100 Euro pro Fall lägen, sehe man, wie unsinnig es eigentlich sei, zu dieser Maßnahme zu greifen, sagt Draber. Die Kosten für die Abstellung des Stroms trägt der Betroffene. Somit würden sich dessen Schulden gegenüber dem Versorger praktisch verdoppeln. Draber findet das völlig unverhältn­ismäßig. Die Not dieser Menschen wird dadurch nur noch vergrößert. Denn immerhin seien die Energiesch­ulden fast immer nur ein kleiner Teil der Probleme, die arme Menschen hätten.

Viele Menschen haben völlig falsche Vorstellun­gen davon, warum so viele Menschen in diesem Land unter den hohen Energiepre­isen leiden – und im schlimmste­n Fall zu Energiesch­uldnern werden.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Wenn der Strom abgeschalt­et wird, haben viele Betroffene nur brennende Kerzen als Lichtquell­e.

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