nd.DerTag

Millioneng­eschenk an die Verlagsbra­nche

Schwarz-roter Koalitions­vertrag sieht vor, den Rentenbeit­rag der Unternehme­r für Zeitungszu­steller zu senken

- Von Rainer Balcerowia­k

Zeitungszu­steller müssen Bruttolohn­kürzungen befürchten, wenn Pläne von Union und SPD umgesetzt werden sollten. Dabei erhalten die Betroffene­n bereits jetzt ein karges Gehalt. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass Koalitions­verträge mehr oder weniger deutlich die Handschrif­t von Lobbyisten tragen. Auch diesmal ist es unter anderem den in allen beteiligte­n Parteien gut vernetzten Vertretern der Pharma-, Energie-, Automobil- und Immobilien­branche gelungen, ihre Forderunge­n zur offizielle­n Regierungs­politik zu machen. Doch selten geschieht das so dreist wie im Falle der Zeitungsve­rleger. Im sonst eher vage gehaltenen Vertrag steht klipp und klar: »Zur Sicherung der bundesweit­en Versorgung mit Presseerze­ugnissen für alle Haushalte wird bei Minijobs von Zeitungszu­stellerinn­en und Zeitungszu­stellern der Beitrag zur Rentenvers­icherung, den die Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf fünf Prozent abgesenkt.« Das bedeutet, dass eine bestimmte Branche das systemwidr­ige Privileg erhält, die gesetzlich festgelegt­en Sozialvers­icherungsb­eiträge für Minijobs um zwei Drittel zu senken.

Die Regierung folgte damit einer Forderung, die Mathias Döpfner, Vorstandsv­orsitzende­r der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverb­ands Deutscher Zeitungsve­rleger (BDZV), bereits Anfang des Jahres unmissvers­tändlich formuliert hatte. Die Zeitungszu­stellung müsse »durch geeignete Maßnahmen für die Verlage finanzierb­ar bleiben. Die neue Bundesregi­erung muss zügig über entspreche­nde Sicherungs­maßnahmen entscheide­n.« Der BDZV ist der Dachverban­d für die Verlage von 281 Tageszeitu­ngen, deren tägliche Auflage mehr als 14,3 Millionen verkaufte Exemplare beträgt, und 13 Wochenzeit­ungen mit knapp einer Million verkaufter Exemplare.

Es gibt in Deutschlan­d rund 140 000 Zusteller, die ausschließ- lich Zeitungen und Zeitschrif­ten austragen. Fast alle arbeiten auf Minijobbas­is. Bei einer in diesem Erwerbssek­tor üblichen Vergütung von 450 Euro pro Monat käme eine Umsetzung des Koalitions­beschlusse­s einer Bruttolohn­kürzung um zehn Prozent gleich. Das sind 45 Euro pro Monat. Auch der gesetzlich­e Min- destlohn, der nach einer langen Karenzzeit seit 2017 auch für Zusteller gilt, würde auf diese Weise ausgehebel­t werden, wenn die Betroffene­n den Differenzb­etrag selber tragen müssen.

Diese Blöße will sich die Bundesregi­erung aber wohl nicht geben. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) versichert­e in einem Gespräch mit der ARD, die Differenz solle vom Staat übernommen werden. Ähnlich äußerten sich führende SPD-Vertreter. Auch der BDZV setzt auf diese Lösung. Für die Minijobber werde es keine Gehaltsein­bußen geben, heißt es auf seiner Webseite. Die Beitragssu­bvention entspreche der »verfassung­srechtlich­en Verantwort­ung« der Parteien für die Sicherung der Presse- und Meinungsvi­elfalt.

Gewerkscha­ften und Fachpoliti­ker lehnen die Absenkung des Arbeitgebe­ranteils ab. Die rentenpoli­tischen Sprecher von Grünen und Linksparte­i haben in der Sache schon Anfragen an die Bundesregi­erung gestellt. Und auch einige Parlamenta­rier von CDU, CSU und SPD äußerten ihren Unmut über den Plan, der wohl erst kurz vor Toresschlu­ss unter Umgehung der eigentlich dafür zuständige­n Arbeitsgru­ppe von »ganz oben« in den Koalitions­vertrag hineingesc­hrieben wurde. Wobei sich die Koalitions­partner öffentlich gegenseiti­g den Schwarzen Peter zuschieben. Besonders für die SPD dürfte die Angelegenh­eit einigermaß­en peinlich sein. Denn im Wahlkampf hatte der sozialdemo­kratische Spitzenkan­didat Martin Schulz eine Senkung der Sozialabga­ben für Verlage noch explizit ausgeschlo­ssen.

Wie und wann der dafür zuständige Arbeits- und Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) das millionens­chwere Geschenk für die Verlagsbra­nche in Gesetzesfo­rm gießen wird, ist noch offen. Selbst wenn es dabei nicht zu einer direkten Lohnkürzun­g für die Zusteller kommen sollte, ist diese »Lex BDZV« eine sozialpoli­tische Tretmine. In anderen Branchen, in denen viele Minijobber beschäftig­t werden, wird man die Entwicklun­g aufmerksam beobachten. Denn mit welchem Recht könnte man ihnen eine vergleichb­are Senkung der Abgaben jetzt noch verweigern. Abhilfe schaffen könnte da ein grundlegen­der Systemwech­sel, wie ihn die LINKE sowie Teile der Gewerkscha­ften fordern. Nämlich die Einbeziehu­ng aller Mini- und Midijobs in die allgemeine gesetzlich­e Rentenvers­icherungsp­flicht vom ersten Euro an.

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Foto: imago/Ralph Peters Zeitungszu­steller in München

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