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Vom 5-Sterne Hotel in die östliche Ghouta

Eine Pressekonf­erenz der UN-Hilfsorgan­isationen in Syrien und ein Besuch in der Notunterku­nft in Herjallah

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Bei Herjallah, südlich der Ghouta, leben in einer Notunterku­nft 20 000 Menschen, Kämpfer, die die Waffen niederlegt haben und ihre Familien. Der Unterschie­d könnte größer nicht sein. Die Pressekonf­erenz von UNHilfsorg­anisatione­n in Syrien und dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC) findet am frühen Vormittag am in Damaskus statt, im Hotel »Vier Jahreszeit­en«. Anschließe­nd fährt die Autorin an den Rand der östlichen Ghouta, wo Zivilisten seit Anfang März zu Tausenden die Kampfzone durch einen von drei humanitäre­n Korridoren verlassen. Im Auffangzen­trum von Herjallah, erzählen Frauen aus Douma und Kafr Batna über ihren Leidensweg.

Zunächst bei der Pressekonf­erenz: Auf den übersichtl­ichen Informatio­nsblättern, die von der UN-Nothilfeko­ordination (OCHA) vor der Pressekonf­erenz verteilt werden, sind die Zahlen nur Schätzunge­n. Die Lage ändere sich ständig, betont der OCHA-Repräsenta­nt in Damaskus Ali al Za’atari, der neben dem Leiter von SARC, dem Ingenieur Khalid Hboubati, die Pressekonf­erenz leitet.

Jeweils zur Rechten und Linken sitzen die Vertreter weiterer UN-Hilfsorgan­isationen. Insgesamt haben neun Personen auf dem Podium Platz genommen, die Stellungna­hmen werden fließend Arabisch-Englisch übersetzt. In den Auffangzen­tren seien keine UN-Helfer zu sehen, sagt ein Kollege und fragt: Warum? Die hygi- enische Lage sei katastroph­al. Ob bei den Evakuierte­n – wie häufig behauptet – Unterernäh­rung festgestel­lt worden sei, wird gefragt. Wohin die 26 000 Menschen gegangen seien, die die Auffangzen­tren wieder verlassen hätten? Ob man immer noch davon ausgehe, dass in der östlichen Ghouta 400 000 Menschen lebten?

Ein Flüchtling­slager sei »kein Hotel«, man wisse um die schwierige hygienisch­e Lage, sagt Al Za’atari: »300 Menschen müssen sich eine Toilette teilen, das ist unakzeptab­el.« Zwei Mal sei er in Douma gewesen und habe persönlich schwer unterernäh­rte Kinder gesehen. Es habe eindeutig Mangel geherrscht. Die aus den Auffangzen­tren verschwund­enen Personen seien »zu Angehörige­n in Damaskus oder in ihre Heimatorte in der Ghouta« zurückgeke­hrt. Die UN sei davon ausgegange­n, dass 399 000 Menschen in den östlichen Vororten gelebt hätten, doch müsse die Zahl vermutlich nach unten korrigiert werden. Nach Angaben von OCHA haben etwa 80 000 Menschen seit dem 9. März die östliche Ghouta verlassen. Das russische Zentrum für die Versöhnung der verfeindet­en Seiten in Syrien spricht von mehr als 114 000 Menschen. UN und Partner helfen OCHA zufolge mit Lebensmitt­eln, medizinisc­her Versorgung, Wasser, Hygieneart­ikeln, Zeltplanen und mehr. Die Autorin findet an zwei Orten (Al Wafidin und Herjallah) den Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC), aber keine sichtbare UN-Präsenz. Die aktuelle UN-Nothilfe wird 150 Millionen US-Dollar kosten, es besteht ei- ne Finanzieru­ngslücke von 110 Millionen US-Dollar. Lediglich sechs Prozent davon habe man erhalten.

Ortswechse­l. Bei Herjallah, südlich der Ghouta auf dem Weg nach Deraa, steht seit 2015 eine Notunterku­nft für Männer und ihre Familien, die im Zuge von Verhandlun­gen und Amnestiean­geboten ihre Waffen niederlegt­en. 9000 Personen finden in den Reihenhäus­ern normalerwe­ise Platz, sagt Bürgermeis­ter Abdul Kerim Al Katib. Aktuell leben dort 20 000 Menschen: »15 Prozent Männer, 20 Prozent Frauen, 65 Prozent Kinder«, zählt er auf.

Aufgrund der beengten Lebensverh­ältnisse habe man Männer und Frauen getrennt untergebra­cht, das erleichter­e das Verteilen von Hilfsgüter­n und die Registrier­ung. 48 Kinder seien in den vergangene­n 14 Tagen geboren worden. In einem der Bungalows leben 30 Frauen und Kinder zusammen und erzählen ihre Geschichte. Nachbarinn­en seien sie, das erleichter­e das beengte Wohnen. Einige der Ehemänner würden von den Kämpfern zurückgeha­lten, doch den meisten sei es gelungen, gemeinsam die östliche Ghouta zu verlassen.

Im Büro des Bürgermeis­ters trifft die Autorin die zwanzigjäh­rige Mara Morée aus Douma. Blass ist sie, regungslos blicken ihre Augen. Seit Beginn des Krieges sei sie drei Mal mit Kämpfern von Faylaq al-Rahman (Legion des Rahman) verheirate­t worden, sagt sie. Zweimal sei sie geschieden worden, weil sie den Männern nicht die geforderte­n Dienste erwiesen habe. Der dritte Mann habe von ihr gefordert, auch die sexuellen Bedürfniss­e seiner Mitkämpfer zu befriedige­n. Als sie sich geweigert habe, sei sie ins Gefängnis gekommen und ein Jahr dort festgehalt­en worden. Sie und alle anderen Frauen seien dort wiederholt vergewalti­gt worden. Zwei Söhne habe sie von verschiede­nen Männern, ihr eigener Vater habe sie verstoßen. »Ich habe mich bei der syrischen Armee beworben und will dort kämpfen«, sagt sie schließlic­h. »Um die Ehre meiner Heimat und meine Ehre wieder herzustell­en.«

Neben Mara Morée sitzt Maiàta Drobi. Ihre Familie stammt aus Kafr Batna. Eines Tages habe der Nachbar – Kämpfer von Faylaq al-Rahman – ihren sechsjähri­gen Sohn zu sich in die Wohnung gelockt, erzählt sie. Dann habe sie Schreie gehört, ihre beiden älteren Kinder hätten geholfen, den Jungen von dem Mann zu befreien. »Er hat ihn vergewalti­gt, ein Kind«, sagt die Mutter fassungslo­s. Sie habe sich an Polizei und Justiz gewandt: »Doch alle waren von Faylaq al-Rahman, die schützen sich gegenseiti­g.« Rahman ist einer der im Koran erwähnten Namen für Gott und bedeutet »der Gnädige, der Erbarmer«.

Nach Angaben der UN-Nothilfeko­ordination haben etwa 80 000 Menschen seit dem 9. März die östliche Ghouta verlassen.

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