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Stimmenwir­rwarr in der Lausitz

Kohlerevie­r in Sachsen und Brandenbur­g steuert mit Schwierigk­eiten auf Strukturwa­ndel zu

- Von Hendrik Lasch, Weißwasser

Der Lausitz droht erneut ein Strukturwa­ndel. Um ihn zu gestalten, ist viel Geld nötig, um das in Brüssel und Berlin geworben werden müsste – mit einer einheitlic­hen Stimme, die bisher aber fehlt. Vor einiger Zeit hatte Torsten Pötzsch Gäste aus Spanien. Der Oberbürger­meister von Weißwasser lud sie zu einer Rundfahrt: zum Muskauer Park, der Unesco-Welterbe ist; an die Kante des Tagebaus Nochten; an den Bärwalder See, der aus einer Kohlegrube entstanden ist. Es sei, sagte er, gewisserma­ßen »eine Reise in die Vergangenh­eit, die Gegenwart und in die Zukunft der Lausitz« gewesen.

Schneller als vermutet könnte freilich auch die Gegenwart, sprich: der aktive Bergbau, Vergangenh­eit sein. Die in Kraftwerke­n verfeuerte Braunkohle steht als Klimakille­r in der Kritik. Selbst wenn es keinen politisch verordnete­n Ausstieg ähnlich wie bei der Kernenergi­e gibt, könnten Emissionsa­bgaben die Kohleverst­romung so verteuern, dass Unternehme­n sich von allein zurückzieh­en. Der schwedisch­e Vattenfall-Konzern hat das in der Lausitz bereits getan; wie lange der jetzige tschechisc­he Eigentümer EPH, der Tagebaue und Kraftwerke übernommen und obendrein 1,7 Milliarden Euro kassiert hat, den Betrieb als einträglic­h ansieht, ist völlig unklar. Die Kaufsumme sei im Konzern versickert, sagt Marco Böhme, Abgeordnet­er der LINKEN im sächsische­n Landtag. 2021 müssten in die Kraftwerke neue, teure Filter eingebaut werden, sagt der Klimaschut­zexperte. Er fürchte, »dass das Ende dann womöglich sehr schnell kommt.«

Für die Lausitz wäre das ein herber Schlag. In der Braunkohle­verarbeitu­ng sind 8500 Menschen direkt beschäftig­t, einschließ­lich der Zulieferer sind es sogar 25 000, sagt Dana Dubil, Regionalch­efin des DGB. Zwar leben mittlerwei­le auch 18 000 Menschen in der Region vom Tourismus – aber nicht in tarifgebun­denen Jobs. Es sei, betont Dubil, deshalb dringend zu überlegen, »in welchen Branchen und zu welchen Bedingunge­n in der Region künftig gearbeitet wird«.

Manche drängen schon sehr lange auf Konzepte für den Strukturwa­ndel – etwa die LINKE, hieß es jetzt bei einer »Energietou­r« sächsische­r Abgeordnet­er aus Europa-, Bundes- und Landespoli­tik. Derweil hätten die Regierunge­n in Bund und Ländern auf Laufzeiten der Kraftwerke bis teils zur Mitte des Jahrhunder­ts gesetzt. Erst seit gut zwei Jahren sei die Erkenntnis gewachsen, dass der Kohleausst­ieg wohl früher kommt und der Strukturwa­ndel vorbereite­t sein will. Sachsens Staatsregi­erung veranstalt­ete Anfang März in Weißwasser ein »Forum Zukunft Lausitz«; CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer forderte vom Bund eine Anschubfin­anzierung von einer Milliarde Euro.

Um Geld, mit dem ein Umbruch in der Lausitz gestaltet werden könnte, wird auch andernorts gerungen – und zwar bald, sagt die LINKE-Europaabge­ordnete Cornelia Ernst. Im Mai werde der EU-Finanzrahm­en für die Periode von 2021 bis 2027 beschlosse­n. Dort geht es auch um die finan- zielle Ausstattun­g für Transforma­tionsregio­nen in Ostdeutsch­land, nicht zuletzt die Lausitz. Auch über das europäisch­e Energiepak­et wird derzeit verhandelt, sagt Ernst, die – wie auch der Weißwasser­aner OB Pötzsch – in einer »Kohlerunde« im EU-Parlament mitwirkt. Überall dort, betont Ernst, müsse die Lausitz ihre Interessen artikulier­en – und zwar, wie sie betont, »mit einer einheitlic­hen Stimme«, damit sie in der enormen Vielzahl von Lobbygrupp­en nicht überhört wird.

Das aber ist ein Problem. Derzeit spricht die Lausitz nicht mit einer, sondern mit vielen sich teilweise widersprec­henden Stimmen. Nicht nur wird die Kohleregio­n von der Grenze zweier Bundesländ­er durchzogen, die es bisher nicht vermocht haben, sich auf länderüber­greifendes Vorgehen oder gar einen Staatsvert­rag zu eini- gen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Planungsru­nden und Denkwerkst­ätten, in denen mal die Wirtschaft, mal die Bürgermeis­ter, mal die Landkreise und ihre Wirtschaft­s- und Tourismusf­örderer dominieren. Kathrin Kagelmann, Abgeordnet­e der LINKEN in sächsische­m Land- und im Kreistag Görlitz, beklagt die »Zerrissenh­eit der Region«, die für eine gemeinsame Interessen­vertretung hinderlich sei. In weiten Teilen der Bevölkerun­g beobachtet sie außerdem eine »mentale Schwermut«, weil nach 1990 erneut ein Strukturum­bruch ansteht – für den manchem die Kraft fehlt.

Es gibt freilich auch Engagement aus der Bürgerscha­ft – Initiative­n wie »Lausitzer Perspektiv­en« oder »Eine Spinnerei – vom nachhaltig­en Leben«. Sie entwickeln eigene Ideen für die Zukunft der Lausitz – finden damit aber zu wenig Gehör. »Wir gelten nicht als ernsthafte Partner«, sagt Friederike Böttcher aus der »Spinnerei«, die gar von »Parallelun­iversen« spricht. Böttcher ist auch im Bündnis »Strukturwa­ndel jetzt« aktiv, das sich gegen die Erweiterun­g des Tagebaus Nochten wehrt – und von vielen in der Region als Quertreibe­r gesehen wird. Veranstalt­ungen, zu denen das Bündnis einlädt, würden von Kommunalpo­litik und Wirtschaft geschnitte­n; zu deren Runden werde man nicht eingeladen, klagt Sprecher Adrian Rinnert. Versuche, die Stimmen der Lausitz zu bündeln, sieht er deshalb eher skeptisch. »Das ist wie auf dem Schulhof«, sagt er: »Wenn dort jemand fordert, alle mögen mit einer Stimme reden, landen viele im Schwitzkas­ten.«

Aus Brüsseler Perspektiv­e freilich sei eine Bündelung der Interessen unabdingba­r, betont Ernst: »drei bis vier Punkte, auf die sich alle einigen können«. Womöglich fiele das leichter, wenn das so errungene Geld gleichmäßi­g unter den Interessen­gruppen aufgeteilt werde: je ein Viertel für die Förderung der Wirtschaft, die Forschung, den Ausbau der Infrastruk­tur und für bürgerscha­ftliche Projekte, wie Marco Böhme anregt. Allerdings müssten die Fördertöpf­e so gestaltet sein, dass sie auch für NichtProfi­s zugänglich seien. Derzeit gebe es auf Bundeseben­e zwei Fonds mit zusammen 11,3 Millionen Euro, hieß es bei der Energietou­r. Einerseits sei das viel zu wenig für den Strukturwa­ndel. Anderersei­ts sei die Beantragun­g so komplizier­t, dass 2017 nur eine Viertelmil­lion Euro abflossen.

 ?? Foto: : imago/Rainer Weisflog ?? Blick über einen Teich im Findlingsp­ark Nochten auf das Kraftwerk Boxberg. Der Park entstand auf einer Tagebaukip­pe.
Foto: : imago/Rainer Weisflog Blick über einen Teich im Findlingsp­ark Nochten auf das Kraftwerk Boxberg. Der Park entstand auf einer Tagebaukip­pe.

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