Stimmenwirrwarr in der Lausitz
Kohlerevier in Sachsen und Brandenburg steuert mit Schwierigkeiten auf Strukturwandel zu
Der Lausitz droht erneut ein Strukturwandel. Um ihn zu gestalten, ist viel Geld nötig, um das in Brüssel und Berlin geworben werden müsste – mit einer einheitlichen Stimme, die bisher aber fehlt. Vor einiger Zeit hatte Torsten Pötzsch Gäste aus Spanien. Der Oberbürgermeister von Weißwasser lud sie zu einer Rundfahrt: zum Muskauer Park, der Unesco-Welterbe ist; an die Kante des Tagebaus Nochten; an den Bärwalder See, der aus einer Kohlegrube entstanden ist. Es sei, sagte er, gewissermaßen »eine Reise in die Vergangenheit, die Gegenwart und in die Zukunft der Lausitz« gewesen.
Schneller als vermutet könnte freilich auch die Gegenwart, sprich: der aktive Bergbau, Vergangenheit sein. Die in Kraftwerken verfeuerte Braunkohle steht als Klimakiller in der Kritik. Selbst wenn es keinen politisch verordneten Ausstieg ähnlich wie bei der Kernenergie gibt, könnten Emissionsabgaben die Kohleverstromung so verteuern, dass Unternehmen sich von allein zurückziehen. Der schwedische Vattenfall-Konzern hat das in der Lausitz bereits getan; wie lange der jetzige tschechische Eigentümer EPH, der Tagebaue und Kraftwerke übernommen und obendrein 1,7 Milliarden Euro kassiert hat, den Betrieb als einträglich ansieht, ist völlig unklar. Die Kaufsumme sei im Konzern versickert, sagt Marco Böhme, Abgeordneter der LINKEN im sächsischen Landtag. 2021 müssten in die Kraftwerke neue, teure Filter eingebaut werden, sagt der Klimaschutzexperte. Er fürchte, »dass das Ende dann womöglich sehr schnell kommt.«
Für die Lausitz wäre das ein herber Schlag. In der Braunkohleverarbeitung sind 8500 Menschen direkt beschäftigt, einschließlich der Zulieferer sind es sogar 25 000, sagt Dana Dubil, Regionalchefin des DGB. Zwar leben mittlerweile auch 18 000 Menschen in der Region vom Tourismus – aber nicht in tarifgebundenen Jobs. Es sei, betont Dubil, deshalb dringend zu überlegen, »in welchen Branchen und zu welchen Bedingungen in der Region künftig gearbeitet wird«.
Manche drängen schon sehr lange auf Konzepte für den Strukturwandel – etwa die LINKE, hieß es jetzt bei einer »Energietour« sächsischer Abgeordneter aus Europa-, Bundes- und Landespolitik. Derweil hätten die Regierungen in Bund und Ländern auf Laufzeiten der Kraftwerke bis teils zur Mitte des Jahrhunderts gesetzt. Erst seit gut zwei Jahren sei die Erkenntnis gewachsen, dass der Kohleausstieg wohl früher kommt und der Strukturwandel vorbereitet sein will. Sachsens Staatsregierung veranstaltete Anfang März in Weißwasser ein »Forum Zukunft Lausitz«; CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte vom Bund eine Anschubfinanzierung von einer Milliarde Euro.
Um Geld, mit dem ein Umbruch in der Lausitz gestaltet werden könnte, wird auch andernorts gerungen – und zwar bald, sagt die LINKE-Europaabgeordnete Cornelia Ernst. Im Mai werde der EU-Finanzrahmen für die Periode von 2021 bis 2027 beschlossen. Dort geht es auch um die finan- zielle Ausstattung für Transformationsregionen in Ostdeutschland, nicht zuletzt die Lausitz. Auch über das europäische Energiepaket wird derzeit verhandelt, sagt Ernst, die – wie auch der Weißwasseraner OB Pötzsch – in einer »Kohlerunde« im EU-Parlament mitwirkt. Überall dort, betont Ernst, müsse die Lausitz ihre Interessen artikulieren – und zwar, wie sie betont, »mit einer einheitlichen Stimme«, damit sie in der enormen Vielzahl von Lobbygruppen nicht überhört wird.
Das aber ist ein Problem. Derzeit spricht die Lausitz nicht mit einer, sondern mit vielen sich teilweise widersprechenden Stimmen. Nicht nur wird die Kohleregion von der Grenze zweier Bundesländer durchzogen, die es bisher nicht vermocht haben, sich auf länderübergreifendes Vorgehen oder gar einen Staatsvertrag zu eini- gen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Planungsrunden und Denkwerkstätten, in denen mal die Wirtschaft, mal die Bürgermeister, mal die Landkreise und ihre Wirtschafts- und Tourismusförderer dominieren. Kathrin Kagelmann, Abgeordnete der LINKEN in sächsischem Land- und im Kreistag Görlitz, beklagt die »Zerrissenheit der Region«, die für eine gemeinsame Interessenvertretung hinderlich sei. In weiten Teilen der Bevölkerung beobachtet sie außerdem eine »mentale Schwermut«, weil nach 1990 erneut ein Strukturumbruch ansteht – für den manchem die Kraft fehlt.
Es gibt freilich auch Engagement aus der Bürgerschaft – Initiativen wie »Lausitzer Perspektiven« oder »Eine Spinnerei – vom nachhaltigen Leben«. Sie entwickeln eigene Ideen für die Zukunft der Lausitz – finden damit aber zu wenig Gehör. »Wir gelten nicht als ernsthafte Partner«, sagt Friederike Böttcher aus der »Spinnerei«, die gar von »Paralleluniversen« spricht. Böttcher ist auch im Bündnis »Strukturwandel jetzt« aktiv, das sich gegen die Erweiterung des Tagebaus Nochten wehrt – und von vielen in der Region als Quertreiber gesehen wird. Veranstaltungen, zu denen das Bündnis einlädt, würden von Kommunalpolitik und Wirtschaft geschnitten; zu deren Runden werde man nicht eingeladen, klagt Sprecher Adrian Rinnert. Versuche, die Stimmen der Lausitz zu bündeln, sieht er deshalb eher skeptisch. »Das ist wie auf dem Schulhof«, sagt er: »Wenn dort jemand fordert, alle mögen mit einer Stimme reden, landen viele im Schwitzkasten.«
Aus Brüsseler Perspektive freilich sei eine Bündelung der Interessen unabdingbar, betont Ernst: »drei bis vier Punkte, auf die sich alle einigen können«. Womöglich fiele das leichter, wenn das so errungene Geld gleichmäßig unter den Interessengruppen aufgeteilt werde: je ein Viertel für die Förderung der Wirtschaft, die Forschung, den Ausbau der Infrastruktur und für bürgerschaftliche Projekte, wie Marco Böhme anregt. Allerdings müssten die Fördertöpfe so gestaltet sein, dass sie auch für NichtProfis zugänglich seien. Derzeit gebe es auf Bundesebene zwei Fonds mit zusammen 11,3 Millionen Euro, hieß es bei der Energietour. Einerseits sei das viel zu wenig für den Strukturwandel. Andererseits sei die Beantragung so kompliziert, dass 2017 nur eine Viertelmillion Euro abflossen.