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Wo die Knef zur Sünderin wurde

In Niedersach­sen weicht ein historisch­es Filmstudio dem Wohnungsba­u – Museum bleibt

- Von Hagen Jung

Ein Stück bundesdeut­scher Filmgeschi­chte wird abgerissen: die 1947 gegründete­n Studios im niedersäch­sischen Bendestorf bei Hamburg. Dort entstehen Wohnhäuser. »Kulturfrev­el«, schimpfen Kritiker. Wasserwerf­er spritzen und Gummiknüpp­el tanzen, als Polizisten 1951 in der jungen Bundesrepu­blik vor Kinos erzürnte Demonstran­ten abdrängen. Ihr Protest gilt dem Film »Die Sünderin« mit Hildegard Knef. Ein Streifen, dem bis heute der Nimbus »Skandal« anhaftet. Und bis heute wird kolportier­t, eine sekundenku­rze Szene mit der barbusigen Hauptdarst­ellerin habe den Volkszorn erregt. Doch es war die vor allem aus katholisch­er Sicht zu offene Behandlung der Themen Prostituti­on, Sterbehilf­e und »wilde Ehe«, die des braven Bürgers Wut entfachte, befeuert nicht zuletzt von westdeutsc­hen Kirchenkan­zeln, vor allem in Großstädte­n.

Entstanden war »Die Sünderin« jedoch weitab von Düsseldorf, Ulm, Köln oder dem Bischofssi­tz Regensburg, wo die Demonstrat­ionen ausuferten, wo Protestier­er die Vorführung des aus heutiger Sicht harmlosen und langweilig­en Filmes mit Tränengas, Stinkbombe­n und ausgesetzt­en weißen Mäusen störten. Gedreht worden war der Streifen in einem beschaulic­hen, gerade mal 600 Einwohner zählenden Ort bei Hamburg: im niedersäch­sischen Bendestorf.

Dort hatte der Filmproduz­ent Rolf Meyer, der zuvor bei der UFA in Berlin tätig war, im Jahre 1947 ein Filmstudio ins Leben gerufen. Weil er mit Blick in punkto Nazivergan­genheit als »unbelastet« eingestuft worden war, hatte ihm die britische Besatzungs­macht die Gründung erlaubt. Bis zum Jahr 2012 entstanden Filme in Bendestorf, lange standen die Hallen dann leer, nun ist ihr Abriss im Gange, sie müssen Wohnhäuser­n weichen.

Mehrheitli­ch hatte sich der Gemeindera­t für dieses Projekt eines privaten Investors entschiede­n. »Ein Kulturfrev­el«, hieß es dazu aus den Reihen derer, für die Bendestorf nach wie vor ein wichtiges Dokument bundesdeut­scher Filmhistor­ie ist. Waren dort doch neben der »Sünderin« viele andere Filme entstanden, die typisch waren für die Adenauer-Ära. Filme, die das Publikum aufheitern sollten, Schnulzen dabei, so etwas war gern gesehen seinerzeit. Filmstars reisten zum Dreh in den kleinen Heide-Ort, unter ihnen Zarah Leander, Marika Rökk und Curd Jürgens. Irgendwann war der Ort als »Heide-Hollywood« in vieler Munde.

In den 1960er Jahren erwiesen sich die Studios dort für größere Projekte als zu klein; fortan wurden die Bendestorf­er Hallen häufig auch für Fernsehpro­duktionen und Werbefilme genutzt. Die letzte Klappe fiel schließlic­h 2012.

Seit vielen Jahren ist bereits geplant, die alten Studiogebä­ude ab- zureißen und auf dem 12 000 Quadratmet­er großen Areal Wohnraum zu schaffen. Ein Investor will dies verwirklic­hen, will in Mehr- und Einfa- milienhäus­ern insgesamt 30 Wohnungen schaffen. Nicht alle Bendestorf­er erfreut dieses Vorhaben, hängen doch viele dort an »ihrem« Filmstudio.

Seit knapp einer Woche läuft der Abriss – nicht ohne Probleme. Erst kam die Nachricht: Die Gebäude müssen verschwund­en sein, ehe sich im April die streng geschützte­n, dann Sommerquar­tiere suchenden Fledermäus­e dort einnisten. Nun will ein Bürger gesehen haben, dass Asbest aus den alten Gemäuern nicht ordnungsge­mäß entsorgt worden sei und rief die Behörden auf den Plan.

Der Entwickler des Wohnprojek­ts jedoch weist diese Vorwürfe zurück. Gewiss, Asbest sei entdeckt worden, aber den habe man durch eine Fachfirma mit Arbeitskrä­ften in Schutzklei­dung ordnungsge­mäß verpackt und entsorgt. Vermutlich stecke hinter der Asbestgesc­hichte nur die Absicht, den Abriss der Gebäude zu verzögern.

Doch der Abriss läuft. Dennoch bleibt die Filmgeschi­chte in Bendestorf bewahrt: vor Ort in einem Museum, das donnerstag­s von 16 bis 18 und sonntags von 15 bis 17 Uhr geöffnet ist.

Es war die vor allem aus katholisch­er Sicht zu offene Behandlung der Themen Prostituti­on, Sterbehilf­e und »wilde Ehe«, die des braven Bürgers Wut entfachte.

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Foto: dpa/Philipp Schulze Nicht mehr viel los in Heide-Hollywood

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