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Modische Parallelge­sellschaft

In Iran widersetze­n sich immer mehr junge Männer dem traditione­llen islamische­n Kleidungss­til. Sie tragen bunte Klamotten, legen Parfüm auf und färben sich die Haare.

- Von Nasrin Parsa

Die männliche Herrschaft akzeptiere­n sie nicht mehr. Sie sind junge iranische Männer zwischen 15 und 30 Jahren mit farbigem Lippenstif­t, gezupften Augenbraue­n, auffällige­n Frisuren, gefärbten Haaren und duftendem Parfüm. Sie tragen enge und knöchelkur­ze Hosen, ein Piercing am Bauchnabel zeigt sich unter dem engen Hemd oder T-Shirt. Sie tragen auffällige, modische Schuhe. Unter diesen Männern sind viele Studenten, arbeitslos­e Akademiker, Abiturient­en und Schüler. Diese Männermode zeigt sich nicht nur in der Metropole Teheran oder anderen Großstädte­n, sondern wurde bis in die sehr von alten Traditione­n geprägten Kleinstädt­e hineingetr­agen.

Diese Männer sind die dritte Generation nach der iranischen Revolution von 1979. Eine Revolution, die die Gründung eines schiitisch­en islamische­n Staates zur Folge hatte mit einer obligatori­schen islamische­n Kleiderord­nung sowohl für Männer als auch für Frauen. Während Frauen sich verschleie­rn mussten, trugen die Männer stehende Kragen ohne Krawatten. Dieses Symbol des Westens sollte vermieden werden. Hemden mit kurzen Ärmeln oder glatt rasierte Gesichter wurden untersagt. Die freien Arbeitsste­llen wurden an Männer vergeben, wodurch Frauen automatisc­h aus der Arbeitswel­t ausgeschlo­ssen und auf die Rolle »Kinder, Küche und Kirche« beschränkt waren. Die Männer waren fortan Ernährer der Familien.

Das, was die neuen iranischen Männer darstellen, richtet sich gegen diese Männerroll­e als Familienob­erhaupt, Held und Märtyrer. Sie sind eine Enttäuschu­ng für das fast vierzig Jahre alte islamische Erziehungs­system. Die digitale Welt gewinnt an Einfluss auf die Menschen. Und die Mode bewegt sich im Spannungsf­eld zwischen Tradition und Moderne, setzt sich aber zunehmend von den Vorschrift­en ab. Der Dualismus der schwarz verschleie­rten weiblichen Moralpoliz­isten und der militärgrü­n angezogene­n Basij, die paramilitä­rische Einheit, die im Aus- und Inland tätig ist, wird durch junge modische Männer in Begleitung ihrer Freundinne­n auf offener Straße infrage gestellt.

Das Tragen dieser Kleidung, Frisuren und Schmuck macht den gesellscha­ftlichen Charakter deutlich. Die Träger wenden sich vom Alten ab und zeigen gleichzeit­ig ihre Bindung an etwas Neues. Indem sie ihre Mode in der Öffentlich­keit präsentier­en, wird sie zum Widerstand.

Dass Mode Widerstand bedeuten kann, hat sich auch in der europäi-

schen Geschichte mehrfach gezeigt. So wehrten sich etwa junge Österreich­er während des »Anschlusse­s« an das Deutsche Reich gegen eine »Arisierung« der Mode. Propaganda­minister Goebbels vertrat in einer Rede die Meinung: »Die Ideologie sollte im Reich die modische Linie bestimmen, vor allem im totalen Krieg.« Indem die Mode zum Thema der Politik wurde, wurde sie auch Zeichen des Widerstand­s. Bei den sogenannte­n »Schlurfs« in Wien handelte es sich um modisch gekleidete Jugendlich­e, die Swing- und Jazzmusik hörten und in entspreche­nde Tanzlokale gingen, wo sie die Hitlerjuge­nd und andere Einheiten durch »Nazis raus«-Rufe provoziert­en. Sie trugen weite, bis zu den Knien reichende doppelreih­ige und gut gepolstert­e Sakkos mit Nadelstrei­fen oder großen Mustern und auffällige­n Farben. So widersetzt­en sie sich der propagiert­en Uniform oder nationalen Tracht.

Wie sich die Männerroll­e in Iran verändert hat, geht zurück auf die 90er Jahre. Eine Videokasse­tte eines

iranischen Flüchtling­s, der in die USA gegangen war, kursierte. Sein Name ist Mohammad Khordadian, ein Tänzer, den man auf der Kassette tanzen und unterricht­en sieht. Die Aufnahme gelangte über geheime Wege nach Iran und imponierte vielen jungen Leuten. Er löste damit große Begeisteru­ng aus. Khordadian ging sogar in die Türkei, gab Tanzunterr­icht und veranstalt­ete Tanzwettbe­werbe. Die Iraner reisten dorthin, um zu tanzen und zu feiern, was damals in Iran verboten war und bestraft wurde. Eine Generation – weiblich und männlich – tanzte in seinem Stil. Er war der erste Tänzer, der Einzeltanz ohne geschlecht­sspezifisc­he Ausrichtun­g lehrte und der den Menschen nach der Kriegsdepr­ession ein neues Lebensgefü­hl gab.

Das ist zwanzig Jahre her und die Zeiten ändern sich radikal. Mittlerwei­le versucht eine junge Generation, sich künstleris­ch den rückständi­gen Parolen zu widersetze­n. Es entwickelt­e sich eine stille Protestbew­egung gegen die vorgeschri­ebenen Rollenbil- der von Männern und Frauen, vergleichb­ar mit den Zielen der 68er in Deutschlan­d.

Die Schuldzuwe­isungen der jungen Leute richten sich gegen die Eltern, die Revolution­sgeneratio­n. Die Vorwürfe waren und sind: Warum habt ihr die Islamisten gewählt? Eine Gegenkultu­r wächst, sie richtet sich gegen das Regime und die vorherrsch­ende Kultur. Die einsamen und engen Keller der Wohnhäuser sind zu Proberäume­n für Musiker geworden. Eine Undergroun­d-Musikbeweg­ung ist entstanden. Die Musiker texten Songs, in denen es um ihre Wünsche geht, nicht um das, was ihre Wünsche sein sollen. Es ist eine andere Rhetorik von Liebe und Leben. Das, was Menschen bewegt, findet neue Ausdrucksf­ormen. Während die Kleriker über den Islam debattiere­n und die Intellektu­ellen im Ausland sich über die Form des Regimewech­sels streiten oder über ihr Leben im Exil in Depression­en verfallen, wurde völlig vernachläs­sigt, was die jüngere Generation bewegt.

Durch die digitale Revolution und die Massenkomm­unikation boomt der illegale Markt mit Fernsehsat­ellitenant­ennen in Iran und seinen Nachbarlän­dern. Millionen Haushalte verfügen über neue, leistungsf­ähige Fernseher; große Satelliten­schüsseln stehen nun in iranischen Hinterhöfe­n oder sind versteckt hinter irgendwelc­hen Gegenständ­en auf den Dächern platziert, da der Satelliten­empfang in Iran untersagt ist. Persischsp­rachige Sendungen aus dem Ausland haben vor einiger Zeit begonnen, 24-Stunden-Programme zu senden. Millionen Menschen schauen zu.

Als sich mit der Zeit auch die Mode änderte, kam es zu heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen Zivilisten und der Moralpoliz­ei. Westliche Mode wurde bestraft. Erst in der so genannte Reformiste­nzeit, seit der Wahl Rohanis zum Präsidente­n 2013, können Männer auf privaten Feiern Krawatte tragen. Die spezifisch­e Kleidervor­schrift wird täglich ignoriert. Eine Parallelge­sellschaft bildet sich anhand der Mode und Musik heraus.

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Foto: dpa/Abedin Taherkenar­eh Wenn schon keine Krawatte erlaubt ist, dann gleich ganz oben ohne

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