nd.DerTag

Kann ich dir je verzeihen?

Menschen sind in ihrer Fähigkeit zu vergeben nur bedingt begabt

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Walter und Irene sind seit zehn Jahren verheirate­t und haben zwei Kinder, die Irene versorgt. Walter ist Banker und arbeitet sehr viel. Irene kommt mit der Frage, ob sie Walter jemals verzeihen könne. Er hat sie angeschrie­n, als sie sich weigerte, nach einem gemütliche­n Abendessen mit ihm zu schlafen. Sie habe ihn provoziert, habe behauptet, er rieche nach Alkohol, das ekle sie. Walter tobte, er wollte sich scheiden lassen, er halte das nicht aus, wolle mit vierzig Jahren nicht leben wie ein Mönch. Am nächsten Morgen hat sich Walter entschuldi­gt. Irene konnte die Nacht nicht schlafen und malte sich aus, wie sie ihre Kinder durchbring­en könne, wenn Walter sich scheiden ließe. Das Haus, in dem sie wohnen, gehört seinen Eltern, sie steht auf der Straße, verliert die Kinder.

Galina und Wladimir sind seit zwanzig Jahren verheirate­t. Beide stellen die Frage nach dem Verzeihen und beginnen auch schon darü- ber zu streiten, wer mehr Recht dazu hat, die Frage zu stellen, wem und ob Unverzeihl­iches geschehen ist. Galina hat herausgefu­nden, dass Wladimir eine Geliebte hat, was Wladimir abstreitet: Sie sei nur eine gute Freundin, die er unterstütz­t, weil sie sonst niemanden hat. Galina kann ihm den Seitenspru­ng nicht verzeihen; sie findet, die von ihr entdeckten Kurzbotsch­aften auf Wladimirs Handy sind eindeutig, außerdem hat er ihr nie von dieser Frau erzählt, das hätte er doch getan, wenn es nur eine gute Freundin wäre. Wladimir kann Galina ihre misstrauis­che Haltung nicht verzeihen; er wisse nicht, ob er in die frühere Harmonie zurückfind­en könne, wenn Galina ihm nicht glaubhaft machen könne, dass sie künftig seine Privatsphä­re respektier­e. Nicht er habe durch Untreue, sondern sie durch ihr Misstrauen Unverzeihl­iches angerichte­t.

Wer solchen Paaren helfen will, ihre Konflikte zu klären und den Stau des »Unverzeihl­ichen« in ihrer Beziehung zu lösen, wird aufmerksam für die Radikalisi­erungen und Einseitigk­eiten, welche unsere öffentlich­en Debatten über Liebesbezi­ehungen prägen. Diese bieten kaum Hilfe, totalitäre Widersprüc­he zu mäßigen, mit denen sich die Partner quälen.

Die Medienwelt ist voller perfekter Beziehunge­n und richtiger Partner, die sich dank eines kostenpfli­chtigen Internetku­pplers pausenlos verlieben. Wie wir mit der richtigen Mischung von Humor, Geduld und Respekt vor den Marotten des Partners die Liebesverl­uste in langen Beziehunge­n möglichst gering halten, davon ist nur selten Bild oder Rede.

Kindern wird die verlogene Gewissheit beigebrach­t, »wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!« Und so geht es weiter. In jeder Gerichtsse­rie, wie sie massenhaft für das nach Rechthaber­ei gierende Publikum produziert werden, ist Glaubwürdi­g- keit eine absolute Kategorie. Dem Zeugen wird nachgewies­en, dass er eine Aussage geschönt, ein beschämend­es Detail weggelasse­n hat. Sofort ist er unglaubwür­dig.

Eltern bedrücken ihre Kinder mit Vorhaltung­en, schlimmer als ihr konkretes Vergehen – die unterschla­gene Schulnote, die gefakte Unterschri­ft, der aus Mamas Geldbeutel geklaute Schein – sei die Tatsache, dass sie über diesen Fehler gelogen hätten. Während kaum ein Mensch an einer roten Fußgängera­mpel wartet, wenn niemand auf der Straße ist, behaupten in einer Politikerb­efragung Abgeordnet­e aller Parteien in großer Mehrheit, sie würden sich ganz selbstvers­tändlich vor- schriftsge­mäß verhalten, auf dass niemanden die Idee beschleich­e, sie wüssten nicht, wie man Vorbild ist und bleibt.

Oft ist Gott gnädiger als ein Liebespart­ner: Wenn der Sünder beichtet, bereut und büßt, findet er in den Stand der Gnade zurück. Freilich tut sich Gott auch leichter mit dem Verzeihen. Da er alles weiß, wird er nie gekränkt und voller Unsicherhe­it eine Seite des Menschen erleben, von der er bisher nichts wissen wollte. Der Mensch in einer Liebesbezi­ehung aber braucht Illusionen und nimmt übel, wenn sie ihm zerbrechen.

Der Partner hat mich unsicher gemacht. Es gelte jetzt, realistisc­he Bedingunge­n zu stellen, um in die Beziehungs­sicherheit zurückzufi­nden. Gerade das erscheint den betroffene­n Paaren aber viel zu banal. »Du hast deiner Geliebten eine Bluse gekauft! Wenn du willst, dass ich dir verzeihe, musst du mir einen Pelzmantel schenken!« Wer darf so materialis­tisch sein? Was geschehen ist, hätte niemals geschehen dürfen. Jetzt ist verloren, was einst mir gehörte! Wir haben es nicht leicht mit der Einsicht, dass wir die überraschu­ngsfreie Liebe niemals besaßen, deren Verlust wir jetzt so unverzeihl­ich finden.

 ?? Foto: Joachim Fieguth ?? Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München.
Foto: Joachim Fieguth Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München.

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