nd.DerTag

Wo das Verbrechen regiert

Martín Fernández über die desaströse politische Lage in Honduras und die Komplizens­chaft von USA und Europa

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Martín Fernández über die desaströse politische Lage in Honduras.

Die Breite Bewegung für Würde und Gerechtigk­eit (MADJ), wurde während der Proteste in Honduras gegen den Wahlbetrug besonders hart von Polizei und Militär attackiert. Drei ihrer Mitglieder wurden erschossen. Warum ist gerade Ihre Organisati­on derart ins Visier geraten?

Seit der Gründung leisten wir eine systematis­che Arbeit, die sich dagegen richtet, dass Teile von Wirtschaft und Politik aus der öffentlich­en Verwaltung ihr privates Geschäft machen. Wir verfolgen, dokumentie­ren und klagen die widerrecht­lichen Vorgänge an. Das macht es wahrschein­lich, dass man uns angreift und verfolgt. Zudem organisier­en und schulen wir diejenigen, die historisch unter Unterdrück­ung zu leiden haben. Heute haben sie Werkzeuge, um einem sehr ungerechte­n System die Stirn zu bieten.

Ermittelt die Staatsanwa­ltschaft in den Mordfällen an den Mitglieder­n des MADJ?

Die traurige Wahrheit ist: nein. Honduras steht seit Langem seinen Bürger*innen gegenüber in der Schuld. Selbst staatliche Stellen sagen, dass über 90 Prozent der Straftaten absolut straflos bleiben, weil es keine Ermittlung­en gibt. Aber mehr als das: Es gibt auch gar kein Interesse daran.

Das Hochkommis­sariat für Menschenre­chte der UN hat die Menschenre­chtsverlet­zungen kritisiert. Kann internatio­naler Druck zu Ermittlung­en führen?

Ich vertraue darauf, dass die Verantwort­lichen für die Morde im Nachgang der Wahlen zu gegebener Zeit ins Gefängnis kommen werden. Ich glaube aber, den stärksten Druck üben wir innerhalb des Landes aus. Wir vom Team der MADJ bemühen uns sehr, gegen die Menschenre­chtsverlet­zungen vorzugehen. Wir haben mit der Zeit an Erfahrunge­n gewonnen und wir haben verstanden, dass wir gewisse politische Prozesse durchbrech­en müssen.

Die MADJ kämpft auch für das Recht auf eine intakte Umwelt. In welcher Weise gefährden die zahlreiche­n Staudammpr­ojekte im Department Atlántida, wo sie ansässig sind, dieses Recht?

In vielen Fällen wurde der Wille der Bevölkerun­g nicht respektier­t, ihr wurde die Möglichkei­t der Partizipat­ion genommen, und die Behörden erwiesen sich bei der Erteilung von Genehmigun­gen als Komplizen der Unternehme­n. Bei einigen Projekten wurden nicht die angemessen­en Maßnahmen ergriffen, um Umweltschä­den zu verhindern. Die Unternehme­n haben beim Bau die Umwelt zerstört. Sie haben auch Projekte zer- stört, die die Gemeinden aus eigener Anstrengun­g und mit eigenen Händen aufgebaut hatten. Damit verletzen sie die Würde der Bevölkerun­g. In diesen Punkten liegt aber auch die Ursache für die Stärke im Kampf um die Territorie­n und für die Selbstbest­immung der Gemeinden. Darüber hinaus gefährden die Projekte, denen wir uns in den organisier­ten Gemeinden entgegenst­ellen, das Menschenre­cht auf Wasser.

Können Sie ein Beispiel nennen? Bei dem Wasserkraf­tprojekt Pajuiles in Tela, Atlántida ist die einzige Wasserquel­le von fünf Gemeinden betroffen, und insgesamt werden um die 20 Gemeinden Einfluss zu spüren bekommen. Die Firmen haben bereits das Wasser verschmutz­t, noch bevor das Projekt installier­t ist. In einem anderen Projekt am Fluss Jilamíto in Arizona, Atlántida wurden die Gemeinden bereits von drei Flüssen vertrieben und der Jilamíto ist als einzige Wasserquel­le für den künftigen menschlich­en Konsum übrig geblieben. Dort will das Unternehme­n INGELSA ein Projekt installier­en, obwohl sich die Gemeinde 2015 in einer Bürgervers­ammlung gegen weitere Wasserkraf­tprojekte ausgesproc­hen hat.

Im Mordfall Berta Cáceres ist kürzlich der Geschäftsf­ührer des Wasserkraf­tunternehm­ens DESA, David Castillo, festgenomm­en worden. Er soll auch Kontakte zum Drogenkar- tell der Cachiros unterhalte­n haben. Spielt das organisier­te Verbrechen auch in anderen Projekten in Honduras eine Rolle?

Definitiv. Honduras wird vom organisier­ten Verbrechen regiert, repräsenti­ert durch eine Allianz aus Politik und Wirtschaft. David Castillo war nur ein Werkzeug, hinter dem die Führungseb­ene von DESA steht. Wir sollten aber nicht nur die internen Finanzstru­kturen anschauen. Es ist jetzt aufgefalle­n, dass David Castillo Gelder für Solarenerg­ieprojekte im Süden von Honduras (an denen auch die Cachiros beteiligt sind, Anm. d. Red.) vom norwegisch­en Investment­fonds Norfund erhalten hat. Strukturen aus dem In- und Ausland sind also miteinande­r verknüpft. In diesem Sektor wird ständig manipulier­t, und es kommt zu Menschenre­chtsverlet­zungen bis hin zum Tod, wie es im Fall von Berta Cáceres geschehen ist.

Eigentlich sollte die Antikorrup­tionsmissi­on MACCIH ja die Korruption durch staatliche Funktionär­e aufklären. Nun wurde die Arbeit der MACCIH vom Parlament und vom Obersten Gerichtsho­f ausgehebel­t.

Ja, wir glauben, dass der MACCIH ein Gnadenschu­ss gegeben wurde. Die kriminelle Struktur in Honduras hat gesagt: Hier geben wir den Ton an, hier herrscht die absolute Straflo- sigkeit. Aber es hat auch etwas mit der Komplizens­chaft zwischen der De-facto-Regierung, die ihre Macht nur durch Militär- und Polizeikug­eln aufrechter­hält, und internatio­nalen Organisati­onen zu tun. Die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten und die Wahlbeobac­htungsmiss­ion der Europäisch­en Union verleihen der Korruption in Honduras ihre Gültigkeit. Auf diese korrupten Strukturen zu setzen, heißt, auf die Vernichtun­g der Umweltschü­tzer*innen und Menschenre­chtsvertei­diger*innen in Honduras zu setzen, sowie die Vernichtun­g der sozialen Bewegung, die sich gegen die Korruption und den Wahlbetrug erhoben hat.

Was bedeuten weitere vier Jahre es Regimes von Juan Orlando Hernández und der Nationalen Partei für Honduras?

Im Grunde ist die Instabilit­ät, mit der sich Honduras heute entwickelt, das Schlimmste. Und ich glaube, es ist ein Fehler der internatio­nalen Gemeinscha­ft, die kritische Situation, in der die Honduraner*innen leben, einfach zu ignorieren. In unseren Kreisen sagt man: Nur die Bevölkerun­g selbst wird die Bevölkerun­g retten. Wir denken, dass wir von innen die Bedingunge­n schaffen können, um die Ordnung, oder besser gesagt Unordnung, die sie uns von oben auferlegen, zu durchbrech­en.

 ?? Foto: imago/Erik McGregor ?? Vor dem honduranis­chen Konsulat in Washington D.C. wird die Aufklärung des Mordes an Berta Cáceres gefordert.
Foto: imago/Erik McGregor Vor dem honduranis­chen Konsulat in Washington D.C. wird die Aufklärung des Mordes an Berta Cáceres gefordert.
 ?? Foto: Jutta Blume ?? Martín Fernández ist Generalkoo­rdinator der 2008 gegründete­n Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigk­eit (MADJ), die sich gegen Korruption im honduranis­chen Staatsappa­rat und für Umweltschu­tz engagiert. Unlängst war die MADJ auch an den Protesten gegen Wahlbetrug beteiligt. Fernández ist immer wieder Todesdrohu­ngen und Diffamieru­ngskampagn­en ausgesetzt. Mit ihm sprach für »nd« Jutta Blume.
Foto: Jutta Blume Martín Fernández ist Generalkoo­rdinator der 2008 gegründete­n Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigk­eit (MADJ), die sich gegen Korruption im honduranis­chen Staatsappa­rat und für Umweltschu­tz engagiert. Unlängst war die MADJ auch an den Protesten gegen Wahlbetrug beteiligt. Fernández ist immer wieder Todesdrohu­ngen und Diffamieru­ngskampagn­en ausgesetzt. Mit ihm sprach für »nd« Jutta Blume.

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