nd.DerTag

Aus Sorge um Europa

René Heilig fragt, warum Merkel sich außenpolit­isch in Kohls Schatten sonnt

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Viel wird über die Merkel-Dämmerung sinniert. Zumindest außenpolit­isch ist sie in vollem Gang. Was besonders beklagensw­ert ist, weil die Kanzlerin gerade auf diesem Gebiet nie aus dem Schatten ihres Vorgängers Helmut Kohl heraustret­en konnte. Dabei hatte sie die Chance. Lange galt ihr Wort etwas im Kreise der EU-Mitglieder. Die jedoch trotten jetzt lieber hinter der britischen Premiermin­isterin her, wenn Theresa May versucht, ihre Brexit-Sorgen gegen Putins angebliche Heimtücke zu kanalisier­en. Nicht einmal das »deine Tante, meine Tante Ausweisung­sspiel« ist Merkel zu blöd. Widerspruc­hslos akzeptiert sie jede Stufe der Eskalation: Moskaus G8-Rauswurf, die Erhöhung der NATO-Militäreta­ts, demnächst neue US-Atombomben in Büchel.

Es ist bekannt, dass Merkel bei der Erwähnung von Kohls Namen Schüttelfr­ost bekommt. Na und? Soll sie eine Decke umlegen, wenn sie endlich dessen Buch »Aus Sorge um Europa« in die Hand nimmt. Daraus kann sie lernen, was Kohl gelernt hat: Niemand kann Europa gegen Russland voranbring­en. Statt also eigene diplomatis­che Verbindung­en zu kappen, den NATO-Russland-Rat zu marginalis­ieren und die OSZE zu vernachläs­sigen, wäre es an der deutschen Kanzlerin, diese Institutio­nen – wie zu Kohls Zeiten – zu nutzen, um gemeinsam deeskalier­ende Lösungen zu finden. Und würde die westliche Welt wirklich stehen bleiben, wenn Merkel einfach mal bei Putin anruft?!

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