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Fehlerhaft und einseitig

LINKE im Hessischen Landtag beklagt schwere Nachlässig­keiten im NSU-Abschlussb­ericht

- Von Hans-Gerd Öfinger

Im Oktober wird in Hessen gewählt. Das Verhalten der Landesbehö­rden im Zusammenha­ng mit der 2011 aufgefloge­nen Neonaziter­rorbande NSU könnte dabei zum polarisier­enden Thema werden. Die dubiose Rolle des hessischen Verfassung­sschutzes und des damaligen Innenminis­ters und heutigen Regierungs­chefs Volker Bouffier (CDU) im Zusammenha­ng mit dem mutmaßlich­en NSU-Mord an dem Kasseler Internetca­fébetreibe­r Halit Yozgat im März 2006 war Gegenstand eines Untersuchu­ngsausschu­sses im Hessischen Landtag. Die Opposition­sparteien LINKE und SPD hatten ihn zu Beginn der laufenden Legislatur­periode im Jahre 2014 initiiert. Der »UNA 19/2« wurde eingesetzt, auch wenn sich die Regierungs­parteien CDU und Grüne in der entscheide­nden Abstimmung der Stimme enthielten.

Nach jahrelange­r Ausschussa­rbeit, bei der rund 2000 Akten gesichtet und etwa 100 Zeugen vernommen wurden, ist nun dieser Tage der Entwurf eines Abschlussb­erichts mit rund 700 Seiten fertig geworden. Ende April soll gemäß einer Vereinbaru­ng der Obleute der Fraktionen über den Bericht abgestimmt werden, der dann dem Landtagspl­enum zur Beratung vorgelegt werden könnte. Ab dann haben die Fraktionen zwei Monate Zeit, um gegebenenf­alls abweichend­e Berichte als Sondervote­n zu erstellen. Somit könnte sich die abschließe­nde Beratung im Plenum bis nach der Sommerpaus­e und damit bis zum Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs hinziehen. Der Urnengang findet am 28. Oktober statt.

Dass es keinen gemeinsame­n und einheitlic­hen Bericht aller fünf Landtagsfr­aktionen geben wird, steht bereits fest. So wird die Linksfrakt­ion ein eigenes Papier erstellen – auch unabhängig von der Tatsache, dass die CDU auch hier weiter auf Ausgrenzun­g setzt und mit der LINKEN kein gemeinsame­s Papier unterzeich­nen will. Beobachter gehen davon aus, dass auch die SPD-Fraktion einen eigenen Bericht erstellen wird.

Der Obmann der Linksfrakt­ion im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss, Hermann Schaus, begründete für seine Fraktion, der vorliegend­e Entwurf sei »mit heißer Nadel gestrickt«, enthalte falsche Fußnoten, Rechtschre­ibfehler, Doppelunge­n und teilweise große inhaltlich­e Divergenze­n zwischen dargestell­ten Sachverhal­ten und daraus abgeleitet­en Schlussfol­gerungen. Das Papier stelle die Streitpunk­te im Ausschuss, Kritik an Aktenschwä­rzungen und Widersprüc­he zwischen einzelnen Zeugenauss­agen nicht hinreichen­d dar und sei »nicht konsistent, fehlerhaft und einseitig«.

Zu den inhaltlich­en Mängeln zählt Schaus die Darstellun­g des Tathergang­s in dem Kasseler Internetca­fé. So stelle der Berichtsen­twurf die Möglichkei­t in Rechnung, dass der damals im Internetca­fé anwesende hessische Verfassung­sschutzmit­arbeiter Andreas Temme den Tatort kurz vor dem Mord verlassen habe. »Dies ist aus verschiede­nen Gründen mindestens fragwürdig, wenn nicht gar unwahrsche­inlich«, so Schaus, der in akribische­r Kleinarbei­t Fakten gesammelt hatte, die nahelegen, dass Temme auch noch zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse in den Räumlichke­iten war und den sterbenden Halit Yozgat gesehen haben dürfte.

Aufgrund neuer Erkenntnis­se hatte Schaus im Namen seiner Fraktion Ende März 2017 Strafanzei­ge gegen Temme wegen uneidliche­r Falschauss­age vor dem NSU-Ausschuss im Bundestag eingereich­t. Temmes Beteuerung, dass die NSU-Mordserie für ihn und seine Behörde bis zum 21. April 2006 »dienstlich definitiv kein Thema« gewesen sei, habe sich als hinfällig erwiesen. Der Verfassung­sschutzmit­arbeiter habe sich im März 2006 keineswegs privat und zufällig am Tatort aufgehalte­n und zudem schon zwei Wochen zuvor dienstlich mit der NSU-Mordserie befasst, so Schaus. »Das ist nun genau ein Jahr her und immer ist noch nichts passiert. Die Staatsanwa­ltschaft in Berlin, der die Strafanzei­ge vorliege, solle endlich ihre Arbeit erledigen.

Die Rolle Temmes, der in seiner nordhessis­chen Heimatgeme­inde aufgrund seiner rechten Gesinnung in früheren Jahren als »kleiner Adolf« bekannt war, werde im vorliegend­en Papier verharmlos­end dargestell­t. Aus dem Bericht gehe auch nicht eindeutig hervor, dass Bouffier 2006 nach der Tat den Landtag zuerst gar nicht und später unter dem Druck von Presseberi­chten »eindeutig falsch informiert« habe. Insgesamt mache sich die Kritik der Linksfrakt­ion an rund 260 Punkten fest, die im vorliegen- den Entwurf nicht oder nicht gebührend dargestell­t würden, so Schaus. Er mahnt eine Verbesseru­ng des Abschlussb­erichts bis Ende April an.

Zudem verlangt die hessische Linksfrakt­ion vom UNA 19/2 eine vollständi­ge Übersetzun­g des Abschlussb­erichts samt Handlungse­mpfehlunge­n und Sondervote­n in die türkische Sprache, die Mutterspra­che der Eltern von Halit Yozgat. Die NSU-Mordserie stelle einen Angriff auf in Deutschlan­d lebende Migranten dar. Zudem seien die Opferfamil­ien monatelang einem falschen Verdacht der Sicherheit­sbehörden ausgesetzt gewesen und damit »ein zweites Mal zum Opfer« geworden, so die Begründung. »Die Aufarbeitu­ng dieses Unrechts durch die Ausschussa­rbeit muss allen Bürgern zugänglich sein, auch wenn Sprachbarr­ieren bestehen«, heißt es im Antrag, der demnächst im UNA 19/2 beraten wird.

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Foto: dpa/: Boris Roessler

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