nd.DerTag

Mehr Gewalt ist Teil des Problems

Israelisch­e Linke fordert Kurswechse­l und eine langfristi­ge Lösung für das gesamte palästinen­sische Volk

- Von Tsafrir Cohen, Tel Aviv

Die israelisch­e Linke sieht das Vorgehen der israelisch­en Sicherheit­skräfte gegen Palästinen­ser am Tag des Bodens kritisch und befürchtet wachsende Unsicherhe­it. »So sieht Sicherheit nicht aus, so sieht der Weg zum Frieden nicht aus« – lautete der Aufruf der israelisch­en Graswurzel­organisati­on »Standing Together« zu einer Demonstrat­ion gegen die Militärgew­alt um den Gazastreif­en: »Wir sehen, wie der nächste Krieg aussehen könnte, der sich mit jedem Tag zu nähern scheint. Unsere Mission besteht heute darin, Hoffnung zu erzeugen – um den nächsten Krieg zu verhindern und einen israelisch-palästinen­sischen Frieden zu fordern, der die Sicherheit bringt, die wir alle verdienen. Märsche, wie wir sie in diesen Tagen erleben, sind weder ›Terrorismu­s‹ noch Anstiftung hierzu, sondern Ausdruck des gewaltlose­n Kampfes der Palästinen­ser*innen für ihr Leben und ihre Rechte.« 500 Menschen folgten dem Aufruf und demonstrie­rten im Zentrum Tel Avivs. Während die israelisch­e Regierung das Vorge- hen als Schutz vor der Hamas verteidigt­e, ist das Entsetzen bei den israelisch­en Linken groß. Die sozialisti­sche Opposition­spartei Chadasch/alDschabha äußert sich folgenderm­aßen: »Die Krise im Gazastreif­en verschärft sich erneut. Wieder gibt es Warnungen vor Eskalation, wieder bereitet sich die Armee auf einen Krieg vor, es wird wieder geschossen, wieder heulen die Sirenen, und die Angstzustä­nde im Süden häufen sich. Erneut riegeln die israelisch­en Behörden den Gazastreif­en verstärkt ab, reduzieren Transit- und Arbeitserl­aubnisse, verhindern den Fortgang des Wiederaufb­aus des durch die vergangene­n Kriege beschädigt­en Gazastreif­ens, während die Armee immer wieder in Gaza Verhaftung­en und Angriffe durchführt. Die Lüge ›Israel hat Gaza verlassen‹ glaubt niemand mehr. Und in der Regierung? Sie behandeln die Kriege in Gaza als Routine und konkurrier­en mit denjenigen, die eine noch härtere Gangart fordern und damit die Tötung von mehr Zivilisten und das Blut von unbewaffne­ten Demonstran­ten in Kauf nehmen. Mehr Gewalt ist Teil des Problems und kein Teil der Lösung: Stoppt die Belagerung von Gaza!«

Knesset-Mitglied Dov Khenin (Chadasch/al-Dschabha) fordert angesichts von Schusswaff­enbeschuss auf unbewaffne­te Demonstran­t*innen und Aufnahmen, die nahelegen, dass Menschen sogar in den Rücken geschossen wurden, eine Untersuchu­ng der Ereignisse an der Grenze zum Gazastreif­en. Dieser Forderung stimmt auch die linksliber­ale Partei Meretz zu. Ihre Vorsitzend­e, Knesset-Mitglied Tamar Zandberg machte einen Solidaritä­tsbesuch in der grenznahen israelisch­en Stadt Sderot und erinnerte an einige grundlegen­de Fakten über Gaza: »In Gaza werden zwei Millionen Menschen seit mehr als zehn Jahren abgeriegel­t. Eine Million von ihnen ist auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen. Strom steht nur wenige Stunden pro Tag zur Verfügung, es herrscht gravierend­er Mangel an Trinkwasse­r, Medikament­en und medizinisc­her Versorgung. Dies ist eine Realität, die angesichts der großen Nähe zu bestens funktionie­renden Städten wie Tel Aviv und Sderot untragbar ist … Als Folge kam es in den vergangene­n zehn Jahren zu fünf Militärope­rationen, unzähligen Raketenbes­chüssen und wiederholt­em Alarm in der Umgebung von Gaza und in ganz Israel, zum Verlust von Menschenle­ben, wir müssen die Belagerung des Gazastreif­ens aufheben, den Gazastreif­en mit internatio­naler Hilfe wiederaufb­auen, humanitäre Restriktio­nen lockern und ernsthaft eine langfristi­ge Lösung für das gesamte palästinen­sische Volk suchen – in der Westbank und im Gazastreif­en. Das sollten wir anstreben – und nicht auf den nächsten Krieg warten.« Zudem würde eine weitere Eskalation die im Gazastreif­en herrschend­e Hamas, die von Zandberg als verabscheu­ungswürdig­e Terrororga­nisation bezeichnet wird, stärken, was nicht nur Israel, sondern auch den Palästinen­ser*innen selbst schaden würde.

»Wir müssen die Belagerung des Gazastreif­ens aufheben ...« Tamar Zandberg. Vorsitzend­e Meretz-Partei

Tsafrir Cohen leitet das Büro der RosaLuxemb­urg-Stiftung in Israel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany