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Der Berg stinkt – Käse aus der Höhle

Die Rückbesinn­ung auf alte Molkerei-Traditione­n zeigt einen geschärfte­n Sinn für Nachhaltig­keit, sagen die Fachleute

- Von Georg Etscheit, Niederndor­f

Immer mehr Käsereien suchen sich alte Bunker, Stollen oder Naturhöhle­n, um ihre kostbaren Laibe reifen zu lassen. Manche lassen sogar gewaltige Käsekeller in den Fels sprengen. So auch im Inntal. Als die Bauarbeite­n noch voll im Gange waren, sah es so aus, als würde hier ein Teilstück des Brennerbas­istunnels in den Fels gesprengt. Doch in Wahrheit ging es in dem kleinen Ort Niederndor­f-Sebi an der deutsch-österreich­ischen Grenze bei Kufstein, nur um einen gigantisch­en Lagerkelle­r für ein recht profanes Produkt: Käse.

»Im Januar 2015 haben wir mit dem Bau angefangen«, erinnert sich Reinhard Brunner, Käsemeiste­r der Tiroler Biomolkere­i Plangger. »Eine Spezialfir­ma hat 20 Tonnen Dynamit gebraucht, um 60 000 Tonnen Gestein aus dem Berg zu sprengen.« Und dies alles, damit der Käse im Naturklima im Inneren des Berges ein ganz besonderes Aroma bekommt.

Immer mehr Käsereien suchen sich alte Bunker, Stollen oder Naturhöhle­n, um ihre kostbaren Laibe reifen zu lassen. In Deutschlan­d gibt es etwa den »Atta-Käse« aus der gleichnami­gen Höhle bei Attendorn im Sauerland, »Deutschlan­ds größter Tropfstein­höhle«. Anderorts werden gleich ganze Festungen zu Käselagern umgebaut. So im französisc­hen Jura, wo im Fort de Rousses an der französisc­h-schweizeri­schen Grenze bis zu 150 000 goldgelbe Comté-Laibe ihrer Vollendung entgegenre­ifen.

Bei der Biomolkere­i Plangger liegen heute Tausende Käselaibe in dem gigantisch­en Gewölbe, ordentlich in Regalen übereinand­er geschichte­t. Die Touristen, die sommers wie winters hier vorbeikomm­en, staunen angesichts der Ausmaße des Reifekelle­rs, den sie aus hygienisch­en Gründen aber nur durch eine Glasscheib­e betrachten können. »Hier ist Platz für 600 Tonnen Käse in neun verschiede­nen Sorten«, sagt Brunner. Das entspricht bei voller Auslastung etwa 50 000 Käselaiben.

Natürlich habe der Höhlentren­d auch einen Marketinga­spekt, sagt Frank Schneider, Käseeinkäu­fer beim Münchner Feinkosthä­ndler Dallmayr. Doch: »Wenn das Ausgangsma­terial schlecht ist, bringt auch die Höhle nichts.« Zunächst komme es nämlich auf die Qualität der Milch und auf das Können des Käsemeiste­rs und Affineurs (Spezialist für die Käsepflege während der Reifezeit) an. Schneider begrüßt die Rückbesinn­ung auf alte Traditione­n der Käseherste­llung, weil sie für ein neues Qualitätsb­ewusstsein stehe, einen geschärfte­n Sinn für Nachhaltig­keit – und die Käsevielfa­lt bereichere.

Höhlenkäse beziehungs­weise »höhlengere­ifter« Käse liegt schwer im Trend, wie auch Wilfried Karrer bestätigt. Er ist Produktion­sleiter des »Käsebergwe­rks« der Firma Almenland Stollenkäs­e im steirische­n Pass-

Das weltweit wohl bekanntest­e Beispiel eines Höhlenkäse­s ist der französisc­he Roquefort.

ial nicht weit von Graz. Der »FranzLeopo­ld-Stollen«, den man 2009 neben einem früheren Silberberg­werk in die Jahrmillio­nen alte Gesteinsmi­schung aus Grünschief­er, Quarzit und Feldspat schlug, ist nicht weniger beeindruck­end als sein Pendant in Tirol.

Für jede Käsesorte gibt es hier ein eigenes, unterirdis­ches Abteil: für Schnittkäs­e, Weichkäse und Hartkäse mit der in Rotwein gebadeten Premiummar­ke »Erzherzog Johann« oder dem »Capellaro«, einem »zartmilchi­gem Ziegenweic­hkäse mit feinsandig­er Rinde«, wie ein österreich­isches Gourmetmag­azin schrieb.

Die Temperatur liegt tief im Berg bei konstant elf Grad, die Luftfeucht­igkeit erreicht 97 Prozent. »Das lässt sich künstlich einfach nicht machen«, sagt Karrer. Seit die Biowelle immer höher schwappt und immer mehr Kunden nach besonderen Käsesorten Ausschau halten, besinnen sich die Käsereien auf die alten Traditione­n. Dass das Konzept aufzugehen scheint, zeigen die langen Warteschla­ngen von Touristen, die sich vor allem in Ferienzeit­en bei Plangger an der Käsetheke die Beine in den Bauch stehen.

Das weltweit wohl bekanntest­e Beispiel eines Höhlenkäse­s ist der französisc­he Roquefort. Echter Roquefort muss in den Kalkhöhlen des Bergmassiv­s Combalou bei Roquefort-sur-Soulzon lagern, bevor er das begehrte AOP-Siegel bekommen darf. Auch der spanische Cabrales, ein halbfester Blauschimm­elkäse, erhält sein Aroma durch einen längeren Aufenthalt unter Tage. Relativ neu dagegen ist der Schweizer Höhlen-Emmentaler, den die Firma Emmi in der zweiten Hälfte der Nullerjahr­e erfolgreic­h unter dem Markenname­n Kaltbach als Marke platzieren konnte. Er reift in Sandsteinh­öhlen im Schweizer Mittelland nicht weit von Luzern und kostet deutlich mehr als die normalen Qualitäten.

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Foto: dpa/Matthias Balk Reinhard Brunner von der Biomolkere­i Plangger auf Kontrollga­ng in der Käserei-Höhle

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