Ein Ohr auch für Rechte
Das ZDF sammelt Stimmen zur Frage, was deutsch sei – und bekommt nicht selten erwartbare Antworten
Was ist deutsch? Das fragt neuerdings nicht nur der Innenminister Horst Seehofer, sondern auch der ZDF-Reporter Jochen Breyer. Dafür reist er durch ganz Deutschland und spricht mit Menschen über diese Frage. Gleichzeitig ruft das ZDF in den sozialen Medien dazu auf, unter dem Motto: »Was für mich deutsch ist« Kommentare abzugeben.
Anlass für das Projekt seien die aktuellen Debatten nach der Bundestagswahl gewesen, erklärte Breyer im ZDF-Morgenmagazin am 27. März. »In der Politik geht es extrem um die Frage, was gehört zu Deutschland, was gehört nicht zu Deutschland«, so der Reporter. Ziel seines »Projektes« sei es daher, nicht mit PolitikerInnen oder ExpertInnen zu sprechen, sondern die »Menschen in diesem Land zu fragen«. Bis zum 1. April konnten Stimmen und Stimmungen zum Thema geäußert werden. Daraus soll eine Dokumentation entstehen, die am 13. Juni gesendet werden soll, also am Vorabend der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft der Herren in Russland.
Um nun dieses Vorhaben zu bewerben, sind bereits einige Videos erschienen. In einem sagt Breyer selbst: »Da gibt es doch sicherlich mehr, als die ewigen Klischees: Kuckucksuhr, Sauerkraut oder Pünktlichkeit«. In einem anderen kommt eine Frau zu Wort, die ein Kopftuch trägt. Sie sagt: »Deutsch hat Ordnung.« Dieses Video stelle das ZDF auf seinem Facebook-Kanal zur Debatte.
Unter den Topkommentaren finden sich einerseits Äußerungen, die an Debatten in der etablierten Politik anknüpfen. »Der Islam wird niemals zu Deutschland gehören«, schreibt etwa einer. Ein anderer geht weiter: »Deutsch ist auf jeden Fall keine Kopftuchtante«. Solche Kommentare werden vom ZDF auch nicht gelöscht. Der Sender greift erst ein, wenn sich die Kommentare gegenseitig beschimpfen. So erklärt es eine Sprecherin des Senders gegenüber dem »nd«. Ein Kommentar sei etwa gelöscht worden, weil jemand einer anderen Person den Tod ihrer Kinder wünschte. Es handelte sich hierbei aber um ein Extrembeispiel. Allgemein verlaufe die Diskussion auf Facebook »erstaunlich sachlich«, so die Sprecherin.
Das Projekt wird von keinem speziellen Team, sondern der regulären Social-Media-Abteilung des ZDF be- treut. Während dieselbe auf Facebook wenigstens in besonders gravierenden Fällen Kommentare löschen kann, ist dies im Kurznachrichtendienst Twitter nicht der Fall. Dort wäre das nur dann möglich, wenn problematische Inhalte dem Konzern gemeldet werden, Twitter entscheidet dann selbst über das Verfahren.
Ebenso können aber auch ganze Twitterprofile gemeldet werden. Wenn man dies in Deutschland tut, kann man neuerdings sogar darum bitten, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz angewendet wird. Aller- dings bedarf es dafür einiger Klicks. Es bleibt fraglich, wie viele Menschen sich diese Mühe machen und in welchem Umfang Twitter den Hinweisen nachgehen kann.
Und das kann zum Problem werden: Das Twitter-Schlagwort »#wasfürmichdeutschist« führt in Deutschland seit Tagen die »Trends« in diesem Dienst an, ist also das meistdiskutierte Thema. Und auffällig ist, dass besonders rechte Gruppen- oder Einzelprofile dieses Motto nutzen, um gegen Migration, geflüchtete und Linke zu hetzten. So instrumentalisieren, wie zu erwarten, zum Beispiel zahl- reiche Twitter-Konten der Alternative für Deutschland (AfD) das Schlagwort für ihre politischen Zwecke.
Während es im Fall der AfD immerhin noch klar ist, mit wem man es zu tun hat, ist das im Fall von vermeintlich privaten Konten oft nicht der Fall. Ein Profil namens »Bundesmememinister« veröffentlichte unter dem Schlagwort #wasfürmichdeutschist etwa ein Foto einer syrischen Familie, die in Deutschland Asyl bekommen hat und schrieb über eine Frau, die der Familie hilft: »Wenn irgendwelche alten Damen ohne Ehemann alles dafür tun, den Untergang des Landes voranzubringen.« Diesem Twitter-Nutzer folgen knapp 5500 Menschen, die seine Meldungen regelmäßig mit »Herzchen« markieren und weiterverbreiten.
Das ZDF hat eine Internetseite eingerichtet, auf welcher die Antworten zu dem Projekt »Was für mich deutsch ist« automatisch eingespielt werden. Auf dieser Seite laufen nun vermehrt sehr rechtsorientierte Twitter-Meldungen ein. Wie die Sprecherin des Fernsehsenders erklärte, könnten die Meldungen von der Seite genommen werden, dafür müssten sie der Redaktion »aber erst einmal als problematisch auffallen«.
So lässt es sich erklären, dass eine über Twitter verbreitete Karte, welche die völkische Vordenkerin Mathilde Ludendorff mit den Worten »Sei bewusst deines Blutes« zitiert, auch auf der Internetseite des ZDF ihren Platz findet. Offensichtlich ist sie dort bisher noch niemandem negativ aufgestoßen.
Die Sprecherin des ZDF zeigte sich zudem optimistisch, dass sich die Diskussion auch auf dem Kurznachrichtendienst noch in der Waage halte. »Wenn der Hashtag komplett gekapert würde, müssten wir überlegen, wie wir weiter damit umgehen.« Erst einmal ginge es jedoch darum, sich anzuhören, was die Leute zu sagen hätten, ohne das gleich zu bewerten.