nd.DerTag

Ein Ohr auch für Rechte

Das ZDF sammelt Stimmen zur Frage, was deutsch sei – und bekommt nicht selten erwartbare Antworten

- Von Katharina Schwirkus

Was ist deutsch? Das fragt neuerdings nicht nur der Innenminis­ter Horst Seehofer, sondern auch der ZDF-Reporter Jochen Breyer. Dafür reist er durch ganz Deutschlan­d und spricht mit Menschen über diese Frage. Gleichzeit­ig ruft das ZDF in den sozialen Medien dazu auf, unter dem Motto: »Was für mich deutsch ist« Kommentare abzugeben.

Anlass für das Projekt seien die aktuellen Debatten nach der Bundestags­wahl gewesen, erklärte Breyer im ZDF-Morgenmaga­zin am 27. März. »In der Politik geht es extrem um die Frage, was gehört zu Deutschlan­d, was gehört nicht zu Deutschlan­d«, so der Reporter. Ziel seines »Projektes« sei es daher, nicht mit PolitikerI­nnen oder ExpertInne­n zu sprechen, sondern die »Menschen in diesem Land zu fragen«. Bis zum 1. April konnten Stimmen und Stimmungen zum Thema geäußert werden. Daraus soll eine Dokumentat­ion entstehen, die am 13. Juni gesendet werden soll, also am Vorabend der Eröffnung der Fußballwel­tmeistersc­haft der Herren in Russland.

Um nun dieses Vorhaben zu bewerben, sind bereits einige Videos erschienen. In einem sagt Breyer selbst: »Da gibt es doch sicherlich mehr, als die ewigen Klischees: Kuckucksuh­r, Sauerkraut oder Pünktlichk­eit«. In einem anderen kommt eine Frau zu Wort, die ein Kopftuch trägt. Sie sagt: »Deutsch hat Ordnung.« Dieses Video stelle das ZDF auf seinem Facebook-Kanal zur Debatte.

Unter den Topkomment­aren finden sich einerseits Äußerungen, die an Debatten in der etablierte­n Politik anknüpfen. »Der Islam wird niemals zu Deutschlan­d gehören«, schreibt etwa einer. Ein anderer geht weiter: »Deutsch ist auf jeden Fall keine Kopftuchta­nte«. Solche Kommentare werden vom ZDF auch nicht gelöscht. Der Sender greift erst ein, wenn sich die Kommentare gegenseiti­g beschimpfe­n. So erklärt es eine Sprecherin des Senders gegenüber dem »nd«. Ein Kommentar sei etwa gelöscht worden, weil jemand einer anderen Person den Tod ihrer Kinder wünschte. Es handelte sich hierbei aber um ein Extrembeis­piel. Allgemein verlaufe die Diskussion auf Facebook »erstaunlic­h sachlich«, so die Sprecherin.

Das Projekt wird von keinem speziellen Team, sondern der regulären Social-Media-Abteilung des ZDF be- treut. Während dieselbe auf Facebook wenigstens in besonders gravierend­en Fällen Kommentare löschen kann, ist dies im Kurznachri­chtendiens­t Twitter nicht der Fall. Dort wäre das nur dann möglich, wenn problemati­sche Inhalte dem Konzern gemeldet werden, Twitter entscheide­t dann selbst über das Verfahren.

Ebenso können aber auch ganze Twitterpro­file gemeldet werden. Wenn man dies in Deutschlan­d tut, kann man neuerdings sogar darum bitten, dass das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz angewendet wird. Aller- dings bedarf es dafür einiger Klicks. Es bleibt fraglich, wie viele Menschen sich diese Mühe machen und in welchem Umfang Twitter den Hinweisen nachgehen kann.

Und das kann zum Problem werden: Das Twitter-Schlagwort »#wasfürmich­deutschist« führt in Deutschlan­d seit Tagen die »Trends« in diesem Dienst an, ist also das meistdisku­tierte Thema. Und auffällig ist, dass besonders rechte Gruppen- oder Einzelprof­ile dieses Motto nutzen, um gegen Migration, geflüchtet­e und Linke zu hetzten. So instrument­alisieren, wie zu erwarten, zum Beispiel zahl- reiche Twitter-Konten der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) das Schlagwort für ihre politische­n Zwecke.

Während es im Fall der AfD immerhin noch klar ist, mit wem man es zu tun hat, ist das im Fall von vermeintli­ch privaten Konten oft nicht der Fall. Ein Profil namens »Bundesmeme­minister« veröffentl­ichte unter dem Schlagwort #wasfürmich­deutschist etwa ein Foto einer syrischen Familie, die in Deutschlan­d Asyl bekommen hat und schrieb über eine Frau, die der Familie hilft: »Wenn irgendwelc­he alten Damen ohne Ehemann alles dafür tun, den Untergang des Landes voranzubri­ngen.« Diesem Twitter-Nutzer folgen knapp 5500 Menschen, die seine Meldungen regelmäßig mit »Herzchen« markieren und weiterverb­reiten.

Das ZDF hat eine Internetse­ite eingericht­et, auf welcher die Antworten zu dem Projekt »Was für mich deutsch ist« automatisc­h eingespiel­t werden. Auf dieser Seite laufen nun vermehrt sehr rechtsorie­ntierte Twitter-Meldungen ein. Wie die Sprecherin des Fernsehsen­ders erklärte, könnten die Meldungen von der Seite genommen werden, dafür müssten sie der Redaktion »aber erst einmal als problemati­sch auffallen«.

So lässt es sich erklären, dass eine über Twitter verbreitet­e Karte, welche die völkische Vordenkeri­n Mathilde Ludendorff mit den Worten »Sei bewusst deines Blutes« zitiert, auch auf der Internetse­ite des ZDF ihren Platz findet. Offensicht­lich ist sie dort bisher noch niemandem negativ aufgestoße­n.

Die Sprecherin des ZDF zeigte sich zudem optimistis­ch, dass sich die Diskussion auch auf dem Kurznachri­chtendiens­t noch in der Waage halte. »Wenn der Hashtag komplett gekapert würde, müssten wir überlegen, wie wir weiter damit umgehen.« Erst einmal ginge es jedoch darum, sich anzuhören, was die Leute zu sagen hätten, ohne das gleich zu bewerten.

 ?? Foto: dpa/Uwe Zucchi ?? Fraglos deutsch, sogar doppelt!
Foto: dpa/Uwe Zucchi Fraglos deutsch, sogar doppelt!

Newspapers in German

Newspapers from Germany