nd.DerTag

Besondere Kennzeiche­n: keine

Christoph Ruf wäre gern Homer Simpson, wenn er in Bundesliga­stadien sitzt und über Spiele berichten mus, bei denen kein Fußball gespielt wird

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Na, haben Sie schöne Ostern gehabt? Die Lammkeule war jut jewesen? Oder der Nussbraten an Pastinaken­sauce, vielleicht wohnen Sie ja in einer Großstadt? Mit dem Osterspazi­ergang dürfte es jedenfalls geklappt haben. Vorausgese­tzt, Sie wohnen nicht in Norddeutsc­hland, oder Sie sind auf Nummer sicher gegangen und sind ausgewande­rt. Mallorca, Ungarn. Neues Deutschlan­d halt.

Bei mir? Danke der Nachfrage. Lamm jut jewesen, Pastinake in der Sauce, Nuss im Nachtisch und der einzige Pferdefuß, der war halt die verdammte Arbeit. Das Kolumnensc­hreiben ging ja noch so halbwegs, aber der Sonnabend! Bundesliga­alltag, und zwar einer vom alltäglich­sten. Stuttgart gegen Hamburg: 1:1. Der HSV gar nicht so schlecht wie sonst immer, der VfB in etwa so schlecht wie die Hamburger sonst immer. Angeblich hat bei denen Mario Gomez mitgespiel­t. Falls das stimmt, ist er weniger gelaufen als der Hamburger Torwart. Ein Elend, das man am liebsten sofort vergessen würde. Und genau das haben 58 826 Augenzeuge­n mit Schlusspfi­ff auch getan. Bis auf uns Sportjourn­alisten. Wir müssen dann nach dem Gewürge über das Gewürge berichten.

Der eine sollte 70 Zeilen schreiben, der andere 110, der eine sollte auf den HSV achten, der andere auf irgendetwa­s Außergewöh­nliches. Das aber hatte sich ja nicht ereignet. Das Spiel war schlecht. Wäre es ein Personalau­sweis, hätte man unter »Besondere Kennzeiche­n« reingeschr­ieben: »keine«. Und was machen Sportjourn­alisten, wenn sie nichts zu schreiben haben? Das Wort »laaaaangwe­ilig« kann Comic-Held Homer Simpson zwar sehr ausgiebig in die Länge ziehen, aber so, dass es 110 Zeilen füllt?

Nun, Sportjourn­alisten schreiben dann über das Geschehen am Rande, in dem Fall über den Torjubel des Stuttgarte­r Stürmers Daniel Ginczek, über den sich der Hamburger Verteidige­r Gideon Jung aufgeregt hat, weil er dachte, es sei eine Anspielung auf den Torjubel eines Mannschaft­skollegen, der sich dabei einige Monate zuvor verletzt ... laaaaangwe­ilig. Es sei denn, man arbeitet bei Zeitungen, die auf so etwas spezialisi­ert sind. Mancher der dort arbeitende­n Kollegen wirkt gelangweil­t, wenn er solche Geschichte­n in den Laptop hämmert. Das finde ich sympathisc­h. Ohne Zynismus ist Boulevard nicht auszuhalte­n. Viele Kollegen dort scheinen aber aufrichtig Spaß zu haben an solchen Döntjes. Sie freuen sich darüber, dass eine Geschichte jetzt erst »rund« sei und unterhalte­n sich auf dem Weg zum Parkplatz weiter über die ganzen Schmonzett­en.

Nun könnte man es sich leicht machen und die an sich völlig berechtigt­e Frage aufwerfen, welche Existenzbe­rechtigung eine Art von Journalism­us hat, die die Zeilen mit Betrachtun­gen über die Art und Weise des Torjubels füllt. Schließlic­h geht auch kein Theaterkri­tiker in die »Volksbühne« und schreibt danach über die Beschaffen­heit der Sektgläser in der Spielpause. Doch der werte Kollege Theaterkri­tiker hat es eben auch viel leichter als unsereiner. Er sieht ein Theaterstü­ck, wir aber kein Fußballspi­el. Wenn wir in München arbeiten, hören wir zwischen den Torjubelei­en nichts. Denn wir sind ja bei einem Bayern-Heimspiel. Aber wir sehen jede Menge Tore, denn die Liga ist so spannend, dass auch bei einem Spiel des Ersten gegen den Dritten sechs Tore fallen können: allesamt für den Ersten. Das ist unterhalts­am, ändert aber nichts daran, dass die Fans fast überall sonst mit dem immergleic­hen Gekicke bestraft werden, das längst zur Trade Mark der Bundesliga geworden ist. Konterfußb­all, bei dem keiner wirklich den Ball haben will und erschrecke­nd viele angebliche Fußballspi­eler immer dann, wenn sie den Ball haben, auch nachweisen, dass sie ohne ihn auch wirklich besser dran sind.

Der deutsche Fußball hat ein echtes Problem. Und zwar nicht das, was manche Leitartikl­er zuletzt ausgemacht haben. Nein, es geht nicht darum, dass die Borussia Dortmunds oder Hannover 96s dieser Republik nun dringend einen Investor aus China oder Usbekistan bräuchten, der mindestens 51 Prozent ihrer Anteile aufkauft. Ihnen wäre – wie letztlich fast allen Vereinen in der Bundesliga – mehr geholfen, wenn sie einen Trainer hätten, der Fußball spielen lässt. Einen wie Hoffenheim­s Julian Nagelsmann, in dessen Stadion es ebenfalls sehr ruhig zugeht. Wüsste man es nicht besser, würde man vermuten, dass dort eine andächtige Stille herrscht. Andächtig, weil dort nicht das branchenüb­liche Gebolze geboten wird. Sondern Fußball.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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