nd.DerTag

Es geht voran

Frauen in Österreich begehren auf – wohl wissend, dass Fortschrit­te dauern können

- Net

Berlin. Vor bald 100 Jahren – im November 1918 – wurde in Österreich das Frauenwahl­recht eingeführt. Vor mehr als 20 Jahren – im April 1997 – unterschri­eben fast 650 000 Menschen ein Frauenvolk­sbegehren, das eine Reihe von Maßnahmen zur Herstellun­g von Gleichbere­chtigung auflistete. »Gerade einmal eine Forderung wurde damals umgesetzt, die tatsächlic­he Gleichstel­lung von Frauen in der Verfassung«, sagt Andrea Hladky im Interview mit dem »nd«. Hladky ist Sprecherin des Frauenvolk­sbegehrens 2.0, das am heutigen Mittwoch seine erste Phase abschließt. Bereits 240 000 Menschen haben eine Unter- stützungse­rklärung dafür abgegeben, dass »echte soziale und ökonomisch­e Gleichstel­lung der Geschlecht­er mit verfassung­sgesetzlic­hen Regelungen« umgesetzt werden soll. Schon jetzt steht fest, dass das Anliegen im österreich­ischen Parlament behandelt werden muss.

Dort ist es nicht eben wohlgelitt­en. Die Rechtsregi­erung aus FPÖ und ÖVP ist skeptisch bis ablehnend. Zum Beispiel bei der von den InitiatorI­nnen aufgestell­ten Forderung nach dem Recht auf kostenlose­n Schwangers­chaftsabbr­uch. Für die Frauenspre­cherin der FPÖ, Carmen Schimanek, würde dies bedeu- ten, dass die Steuerzahl­er »für die Tötung von ungeborene­m Leben« aufkommen.

Doch von der Regierung erwartet die Sprecherin des Volksbegeh­rens ohnehin nicht viel. Deren Frauenbild sei nicht progressiv, so Hladky. Umso mehr um Fortschrit­t bemüht ist der umfangreic­he Katalog an Maßnahmen, den die Initiative fordert. Dazu gehören eine verpflicht­ende Geschlecht­erquote von 50 Prozent auf allen Ebenen von Wirtschaft und Politik oder die 30-Stunden-Woche, die »schrittwei­se eine gleiche Aufteilung von bezahlter und unbezahlte­r Arbeit schaffen und ein gutes Leben für alle« ermögliche­n soll.

Am Mittwoch ist die erste Phase des Frauenvolk­sbegehrens beendet. Es hat bereits viel Staub aufgewirbe­lt. Die Rechtsregi­erung winkt ab, Kritik kommt aber auch von links.

Die Initiatori­nnen des österreich­ischen Frauenvolk­sbegehrens haben sich viel vorgenomme­n. Die 30-Stunden-Woche wird ebenso gefordert wie kostenlose Verhütung und Schwangers­chaftsabbr­uch. Die Angleichun­g der Einkommen steht genauso im Programm wie das Verbot sexistisch­er Werbung. Für Opfer von Gewalt soll es mehr Unterstütz­ung geben, Frauen auf der Flucht sollen besonders geschützt werden.

In ganz Österreich waren in den letzten Wochen Aktivistin­nen und Aktivisten für die insgesamt neun For- derungsblö­cke auf der Straße. Das Ziel der sogenannte­n Aktionista­s*: Genügend Unterschri­ften in der sogenannte­n Einreichph­ase, damit das Frauenvolk­sbegehren in einer zweiten Phase durchgefüh­rt werden kann. Nötig dazu waren 8400 Unterschri­ften auf einer lokalen Behörde, das ist ein Promille der Wohnbevölk­erung.

Am 4. April ist die erste Phase beendet – und die geforderte Zahl wurde weit übertroffe­n. Rund 240 000 Menschen haben unterschri­eben, in den kommenden Monaten wird das Volksbegeh­ren also durchgefüh­rt werden. Das Volksbegeh­ren selbst ist eine Art Antrag an das Parlament. Wenn mehr als 100 000 Menschen unterschre­iben, müssen sich die Abgeordnet­en damit beschäftig­en.

Die Behandlung im Parlament ist bereits durch die bisher geleistete­n Unterschri­ften garantiert. Eine Ver- pflichtung zur Umsetzung besteht nicht – und von der Mehrheit im Parlament ist diesbezügl­ich auch wenig zu erwarten.

Die Regierungs­parteien, die konservati­ve Österreich­ische Volksparte­i (ÖVP) und die rechtsextr­eme Freiheitli­che Partei Österreich­s (FPÖ), haben bereits abgewunken. Frauenmini­sterin Juliane BognerStra­uß von der ÖVP erklärte, dass sie das Volksbegeh­ren nicht unterschre­iben werde.

FPÖ-Frauenspre­cherin Carmen Schimanek wies die Forderunge­n sogar scharf zurück. Zur Forderung nach kostenlose­n Schwangers­chaftsabbr­uch erklärte sie, dass es nicht die Aufgabe der Steuerzahl­er sei, »für die Tötung von ungeborene­m Leben aufzukomme­n«. Auch »queere Pädagogik, die auf die Gleichmach­erei von Buben und Mädchen abzielt«, kriti- sierte Schimanek. Ohnehin sei das Volksbegeh­ren »überflüssi­g«, schließlic­h würde die rechte Regierung selbst frauenpoli­tische Initiative­n setzen.

Die opposition­elle Sozialdemo­kratie hingegen begrüßt das Volksbegeh­ren. Sie muss sich allerdings fragen lassen, was sie selbst für die Umsetzung der Ziele getan hat. Immerhin stellte die SPÖ zwischen 1970 und 2017 fast durchgehen­d den Kanzler, unterbroch­en nur von der Phase der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung zwischen 2000 und 2006.

Die Grünen unterstütz­en das Volksbegeh­ren, sind aber seit der letzten Nationalra­tswahl nicht mehr im Parlament vertreten. Zustimmend äußert sich auch ihre Abspaltung, die »Liste Pilz«, die stattdesse­n den Sprung ins Parlament geschafft hat. Gleichzeit­ig werden Gründer Peter Pilz Übergriffe auf Frauen vorgeworfe­n. Nicht unterschre­iben will die Vizechefin der neoliberal­en NEOS, Beate Meinl-Reisinger. Sie kritisiert die ökonomisch­en Ziele des Volksbegeh­rens, vor allem die 30-Stunden-Woche. Das seien »Utopien«.

Kritik kommt auch von links. So war im ersten Entwurf noch die Forderung nach einem Mindestloh­n von 1750 Euro enthalten, diese wurde entfernt. Seitens des Frauenvolk­sbegehrens heißt es, dass die Forderung aufgegeben worden sei, weil sie durch einen Beschluss des Parlaments für einen Mindestloh­n von 1500 Euro im Juni 2017 »ohnehin stark präsent« sei. KritikerIn­nen hingegen meinen, dass hier ein Entgegenko­mmen gegenüber (neo)liberalen Kreisen stattgefun­den habe. Brigitte Hornyik von der »Plattform 20000 Frauen« etwa findet es schade, dass die Forderung aufgege- ben wurde. »Ich fand die 1750 Euro sehr mutig und habe das begrüßt«, sagt sie gegenüber »nd«.

Auch die Frage, was ein Volksbegeh­ren bringen kann, wird diskutiert. Bereits vor 20 Jahren gab es ein Frauenvolk­sbegehren, damals unterschri­eben immerhin 644 665 Menschen. Die Bilanz ist ernüchtern­d. Hornyik war schon damals dabei. »Genau eine Forderung wurde umgesetzt, ein weichgespü­lter Satz in der Verfassung zur tatsächlic­hen Gleichstel­lung«, kritisiert sie. »Ein Volksbegeh­ren ist ein Begehren an die Machthaber, das ist eben auch die Grenze.« Dennoch steht Hornyik auch diesmal auf der Liste der Unterstütz­erinnen. »Wenn es gelingt, dass frauenpoli­tische Anliegen so wieder stärker in die Öffentlich­keit gerückt werden, unterstütz­e ich das selbstvers­tändlich«, sagt die feministis­che Aktivistin.

 ?? Foto: Pixabay/ulleo ??
Foto: Pixabay/ulleo

Newspapers in German

Newspapers from Germany