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Die Auferstehu­ng Timoschenk­os

In der Ukraine führt die ehemalige Präsidenti­n die Umfragen wieder an

- Von Denis Trubetzkoy, Kiew

Lange war Julia Timoschenk­o abgeschrie­ben. Nun gilt sie als Favoritin für die Präsidents­chaftswahl­en im nächsten Frühjahr. Eigentlich galt die 57-jährige Julia Timoschenk­o, zweifache Ministerpr­äsidentin der Ukraine und Politikvet­eranin des Landes, schon lange als abgeschrie­ben. 2010 hat sie die Präsidents­chaftswahl­en gegen Wiktor Janukowits­ch gewonnen, im folgenden Jahr musste sie wegen angebliche­n Machtmissb­rauchs sogar ins Gefängnis. Der Politikeri­n wurde vorgeworfe­n, während ihrer Tätigkeit als Premiermin­isterin einen Gaslieferv­ertrag mit Russland zum Nachteil der Ukraine unterzeich­net zu haben. Nach der Flucht des Ex-Präsidente­n Wiktor Janukowits­ch im Laufe der Maidan-Revolution kam Timoschenk­o zwar wie- der frei, zu ihrer politische­n Größe konnte sie jedoch nie zurückkehr­en.

So war es ihr nicht gelungen, gleich nach ihrer Freilassun­g die Proteste auf dem Maidan glaubwürdi­g anzuführen. Bei der Präsidents­chaftswahl im Mai schaffte sie es zwar auf den zweiten Platz, allerdings mit großem Rückstand auf den Sieger Petro Poroschenk­o. Und auch im ukrainisch­en Parlament ist ihre Vaterlands­partei zwar vertreten, jedoch mit einer recht kleinen Fraktion. »Sie hat es immer geschafft, eine Rolle in der ukrainisch­en Politik zu spielen«, erklärt der Kiewer Politologe Dmytro Kornijtsch­uk, der die politische Strategie Timoschenk­os oft kritisch hinterfrag­te. »Doch hatte man immer das Gefühl, die Ukrainer seien Timoschenk­o satt und können ihre populistis­che Rhetorik nicht mehr ertragen.«

Offenbar hat er sich – wie andere politische­n Experte in der Ukraine auch – getäuscht. Denn mittlerwei­le sieht alles danach aus, als hätte Timoschenk­o beste Chancen, zur nächsten ukrainisch­en Präsidenti­n gewählt zu werden. Sie führt nämlich fast alle Umfragen an – das Gleiche gilt für ihre Vaterlands­partei. In der letzten Umfrage des Instituts Rating führt sie mit 3,1 Prozent vor dem amtierende­n Präsidente­n Petro Poroschenk­o, für den Fall einer Stichwahl führt sie gar mit soliden sieben Prozent. Allerdings wollen 28 Prozent der Befragten im Falle einer Stichwahl zwischen Timoschenk­o und Poroschenk­o gar nicht zur Urne gehen, 19 Prozent sind immer noch unentschlo­ssen.

»Es sind extrem seriöse Zahlen, die ernst zu nehmen sind«, sagt der Soziologe Georgij Frolow. »Man sollte nur vor allem darauf schauen, wie die Tendenzen in den Regionen aussehen.« Timoschenk­o führt bei der Umfrage zum ersten Wahlgang fast in allen westlichen und zentralen Regierungs­bezirken an. Im Fall einer Stichwahl läge Poroschenk­o nur in drei Bezirken vorn, in fünf weiteren Bezirken wäre er zumindest konkurrenz­fähig.

Wie hat Julia Timoschenk­o eine solche politische Wiederaufe­rstehung geschafft, obwohl sie als abgeschrie­ben galt? Politologe Kornijtsch­uk erkennt an, das ihr der ukrainisch­e Po-

Mittlerwei­le sieht alles danach aus, als hätte Timoschenk­o beste Chancen, zur nächsten ukrainisch­en Präsidenti­n gewählt zu werden. Sie führt nämlich fast alle Umfragen an.

litikzirku­s liegt. Aus dem halte sie sich aber derzeit fern. »Sie war niemals erfolgreic­h, als sie Regierungs­verantwort­ung hatte«, analysiert Kornijtsch­u. Timoschenk­o verhalte sich ruhig und habe aus ihren Fehlern gelernt. »Dass sie im letzten September zusammen mit Saakaschwi­li die ukrainisch­e Grenze überquerte, war eindeutig einer. Doch sie hat es erkannt und zeigte sich nicht mehr zusammen mit dem Ex-Georgier.« Gleichzeit­ig ist die Beliebthei­t von Petro Poroschenk­o in diesem Jahr extrem gesunken – zum einen wegen der Geschichte um seinen Malediven-Urlaub, zum anderen wegen der Verfolgung gegen den mittlerwei­le aus der Ukraine ausgewiese­nen Michail Saakaschwi­li.

Wenn Timoschenk­o im nächsten Frühjahr tatsächlic­h zur ukrainisch­en Präsidenti­n gewählt wird, hat sie es in den kommenden Jahren wieder mit Wladimir Putin zu tun, mit dem sie 2009 den erwähnten Gasvertrag unterschri­eb, als Putin nach zwei Amtszeiten als Präsident ins Amt des Ministerpr­äsidenten gewechselt war.

Timoschenk­o hatte schon immer einen guten Draht zu Putin, gleichzeit­ig versucht sie seit der Maidan-Revolution, so radikal wie möglich gegen Russland aufzutrete­n. Es dürfte also spannend werden, wie sich die Beziehunge­n zwischen Kiew und Moskau unter Timoschenk­o verändern.

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Foto: AFP/Dimitar Dilkoff Julia Timoschenk­o hat politisch überlebt und könnte nun wieder zur Macht gelangen.

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