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Fallrückzi­eher von Netanjahu

Israels Regierungs­chef zieht Flüchtling­sabkommen wegen Druck von rechts außen zurück

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Israels Ministerpr­äsident Netanjahu hat einen Deal mit dem UNO-Flüchtling­shilfswerk nach nur wenigen Stunden aufgekündi­gt: Seinen rechten Koalitions­partnern ging die Vereinbaru­ng nicht weit genug. Gerade noch hatten die gut 20 Eritreer und Sudanesen vor der Zentralen Busstation in Tel Aviv gefeiert, als ein laut schallende­s Radio aus einem Kiosk in der Nähe Ernüchteru­ng vermeldete: Regierungs­chef Benjamin Netanjahu habe eine Vereinbaru­ng mit dem UNO-Flüchtling­shilfswerk UNHCR gestoppt, wolle sie noch einmal genau prüfen, hieß es; die Afrikaner, aber auch einige der israelisch­en Passanten reagierten fassungslo­s. Am Dienstagmo­rgen legte der Premier dann nach, und gab bekannt, dass er den Deal gar nicht umsetzen wird.

Es war erst wenige Stunden her, seit Regierung und UNHCR am Montag bekannt gegeben hatten, dass sie sich auf eine umfassende Regelung für die derzeit in Israel lebenden Flüchtling­e aus Afrika geeinigt haben. Dem Deal zufolge sollten 16 250 Eritreer und Sudanesen nach Europa und Nord-Amerika umgesiedel­t werden; 16 250 weitere Afrikaner hätten einen temporären Aufenthalt­sstatus erhalten. Aus Sicht der Flüchtling­e und ihrer israelisch­en Unterstütz­er wäre dies eine gute Lösung gewesen.

Doch die Vereinbaru­ng stand von vorneherei­n unter keinem guten Stern. Netanjahu nannte Deutschlan­d und Italien als Aufnahmest­aaten; das Problem: Sprecher der deutschen und der italienisc­hen Regierung erklärten umgehend, man sei darüber nicht informiert. Das sei auch nur als Beispiel für mögliche Zielländer gedacht gewesen, legte Netanjahu kurz darauf nach.

In Israel erklärten fast alle Minister, sie hätten aus den Medien von der Vereinbaru­ng erfahren, und vor allem Bildungsmi­nister Naftali Bennett, Chef der rechten Koalitions­partei Jüdisches Heim, kritisiert­e, der Deal sei »eine Einladung für weitere Eindringli­nge, nach Israel zu kom- men. Sie wissen nun, dass sie bleiben können.« Rechte Israelis sehen die gut 42 000 Afrikaner nicht als politische Flüchtling­e, sondern als Migranten, die vor allem aus wirtschaft­lichen Gründen nach Israel kommen. Menschenre­chtsorgani­sationen halten dagegen, viele der Flüchtling­e seien in ihren Herkunftsl­ändern körperlich­er und seelischer Gewalt sowie staatliche­n Repression­en ausgesetzt gewesen.

Während am rechten Rand der Gesellscha­ft von »Überfremdu­ng« und einer »Gefahr für den jüdischen Charakter des Staates« die Rede ist, geht es im Kern der Debatte aber vor allem um soziale Probleme: Israel hat keine Asylgesetz­gebung; den Flücht- lingen ist der Zugang zu Bildung, legaler Arbeit und Gesundheit­sversorgun­g versperrt. Dadurch, dass sich die Afrikaner vor allem im Süden Tel Avivs ballen, wo einigermaß­en günstiger, aber auch extrem herunterge­kommener Wohnraum verfügbar ist, gibt es dort ständige Konflikte mit den israelisch­en Nachbarn, die den Flüchtling­en die Schuld für die eigenen Probleme geben.

Zuletzt hatte die Regierung deshalb versucht, die Flüchtling­e nach Ruanda und Uganda abzuschieb­en. Dafür hatte man bis heute unter Verschluss gehaltene Vereinbaru­ngen mit den beiden Ländern geschlosse­n. Doch dann berichtete­n israelisch­e Medien, den Abgeschobe­nen seien Geld und Pässe abgenommen, Aufenthalt­sgenehmigu­ngen verweigert worden. Der Oberste Gerichtsho­f stoppte die Abschiebun­gen, und die Regierung Ruandas gab bekannt, man habe die Vereinbaru­ng gekündigt.

Kritik an Netanjahu gibt es nun auch von der Opposition: Mit seinem Zickzack-Kurs habe er endgültig seine »völlige Planlosigk­eit« unter Beweis gestellt, so Avi Gabbay, Chef der Arbeitspar­tei. Und Ja‘ir Lapid, Vorsitzend­er der zentristis­chen Zukunftspa­rtei, monierte, dass Netanjahu nur noch nach Gnaden seines Koalitions­partners regiert: »Die Vereinbaru­ng versprach wenigstens eine Perspektiv­e; nun bleibt alles so, wie es ist.«

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Foto: AFP/Menahem Kahana Afrikanisc­he Migranten in einem Haftlager in der Negev-Wüste an der israelisch-ägyptische­n Grenze

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